Türkische Opposition: Gefragter Autokrat Erdogan
Die Solidarisierung mit der türkischen Opposition wirkt routiniert und formelhaft. Dabei kommt es jetzt darauf an, sie wirklich zu unterstützen.

D er Vorsitzende der bedrängten türkischen Oppositionspartei CHP, Özgür Özel, tourte in den vergangenen Wochen durch Europa und suchte Unterstützung: zuerst bei der Tagung der sozialistischen Internationale in Sofia, wo er sich mit Spaniens Ministerpräsident Pedro Sánchez traf, zuletzt am Wochenende auf dem Parteitag der SPD, wo er als Gast mit einer eindringlichen Rede zu Verteidigung der Demokratie in der Türkei auftrat. Man klopfte ihm zwar überall auf die Schulter und der SPD-Parteitag solidarisierte sich dann auch einstimmig mit dem verhafteten Istanbuler Bürgermeister Ekrem İmamoğlu, aber das war es dann auch.
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan steckt seine Kritiker in den Knast, na ja, das kennt man schon. Und dass der Autokrat am Bosporus es mit der Demokratie wohl nicht so genau nimmt, ist auch nicht neu. Die Verhaftung von İmamoğlu im März sorgte zwar zunächst für einiges Aufsehen in Europa, doch das war auch bald wieder vorbei. Die Parteifreunde von der SPD steckten gerade mitten in den Koalitionsverhandlungen, und die EU hatte mit Trump und Putin genug zu tun und konnte sich nicht auch noch um Erdoğan kümmern.
So ist es bis heute geblieben; Erdoğan setzt seine Zerschlagung der Opposition mittels einer willfährigen Justiz ungestört fort. Es gibt keine Sanktionsdrohungen aus Brüssel. Erdoğan ist trotz seiner autokratischen, undemokratischen Politik gefragt wie lange nicht. Er hält die Migranten von Europas Grenzen fern, er könnte zwischen Russland und der Ukraine Friedensverhandlungen moderieren, und er befehligt die größte Nato-Armee diesseits des Nordatlantiks.
Der Mann wird gebraucht, wie der neue Kanzler Merz längst erkannt hat, schließlich sorgt er für Stabilität an der Südostgrenze der Nato. Doch die von Erdoğan garantierte Stabilität steht auf tönernen Füßen. Er hat die Unterstützung der Mehrheit im Land verloren. Wenn man sich schon nicht für die Demokratie einsetzen will, sollte man gerade im Interesse langfristiger Stabilität die Alternativen zu Erdoğan nicht vorzeitig fallen lassen.
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