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Türkische HaftbedingungenDer Traum von der Einheitstürkei

Per Dekret will die Regierung politische Häftlinge in Guantanamo-Manier zur Einheitskleidung zwingen und steht damit in Tradition mit den Putschisten von 1980.

Die Einheitskleidung soll Häftlinge vor der Verurteilung entwürdigen Foto: dpa

Es ist leider eine alte Gewohnheit in der Türkei, dass sowohl die Regierung als auch einflussreiche gesellschaftliche Gruppen, wie einst die Gülen-Bewegung, versuchen die Gesellschaft zu vereinheitlichen.

Auch wenn sich im Laufe der Jahrzehnte die politische Ausrichtung des Staates verändert hat, der Traum einer Einheitsgesellschaft ist geblieben und wurde um eine islamische Komponente erweitert.

Mit dem Notstandsdekret Nummer 696, welches die AKP-Regierung Ende Dezember verabschiedet hat, wurde die „Einheitskleidung“ für Strafgefangene eingeführt, wie sie als symbolische Maßnahme bereits nach dem Militärputsch 1980 eingeführt worden war.

Entwürdigung vor der Verurteilung

Häftlinge, die wegen Terrorismus und Vergehen gegen die verfassungsrechtliche Ordnung angeklagt sind, sollen künftig in Einheitskleidung zur Verhandlung aus dem Gefängnis gebracht werden. Wer sich weigert, hat Disziplinarstrafen zu erwarten.

Die Maßnahme betrifft über 50.000 Inhaftierte, darunter viele der rund 150 inhaftierten Journalisten sowie die 13 HDP-Abgeordneten.

Der Zwang zur Einheitskleidung hat eindeutig den Zweck, die Würde der Gefangenen zu brechen und sie im Voraus zu bestrafen. Die Maßnahme kann aber auch als Manifestation des Ziels betrachtet werden, die Türkei in eine „Einheits-Türkei“ zu verwandeln, offizielle Staatsideologie seit Republikgründung.

Die Idee von Einheit ist Staatsideologie

Der zentrale Leitgedanke der kemalistischen Republik lautete: „Eine Nation, ein Staat, eine Fahne, eine Sprache.“ Überall in Anatolien prangt dieser Spruch an Berghängen, Städten und zentralen Plätzen.

Als die vom kemalistischen System benachteiligten islamischen Gruppen mit dem Versprechen von Gleichberechtigung und Gerechtigkeit an die Macht kamen, kritisierten sie diesen Einheitsgedanken zunächst. Bedauerlicherweise verfielen sie bald selbst den Träumen des alten Systems.

Auf einem Fernsehkanal der seinerzeit mächtigen Gülen-Bewegung lief vor Jahren die Fernsehserie „Eine Türkei“. Die Serie brach alle Zuschauerrekorde und propagierte fragwürdige Inhalte. So zum Beispiel, dass kein Kurdenproblem existiere und es sich bei dem Konflikt lediglich um ein Terrorismus-Problem handele.

Hassdiskurs im Fernsehen

Die Terroristen seien zudem „heimliche Armenier“ oder „konvertierte Juden“ und die Kurden wären den Lügen des Westens zum Opfer gefallen, dem es lediglich um die Spaltung des Landes ginge. Die Serie zeigte fromme türkische Lehrer und Soldaten, die armen Kurden halfen. Dabei war die Sprache der Fernsehshow so rassistisch und polarisierend, dass Menschenrechtsorganisationen Strafanzeige gegen die Serie stellten.

Im Fernsehsender der Gülen-Bewegung, die offiziell Toleranz predigte und stets vom „interreligiösen Dialog“ sprach, lief jahrelang ein Hassdiskurs, der sich gegen fast alle gesellschaftliche Gruppen richtete. Und die AKP, die mit dem Versprechen an die Regierung kam, das vom Militärregime 1980 eingesetzte System zu revidieren, legt das Motto „Eine Nation, eine Fahne, ein Land, ein Staat“ neu auf.

In der Tradition der Putschisten

Das Militärregime vom 12. September 1980 hatte als eine der ersten Maßnahmen Einheitskleidung für Strafgefangene verordnet. Jahrelang wurde dagegen Widerstand geleistet, es gab Hungerstreiks und die Häftlinge erschienen in Unterwäsche bei Verhandlungen. Aufgrund des massiven Widerstands der Gefangenen und der Solidarität von Intellektuellen und Journalisten wurde die repressive Vorschrift neun Jahre später, 1989, auf Staatsratsbeschluss aufgehoben.

Nun will die AKP erneut diese Form der Repression gegen Tausende Gefangene einsetzen. Betroffen davon sind vor allem Journalisten, Autoren und Politiker, die wegen ihrer Worte und Schriften angeklagt sind. Die Regierung macht den Traum der Putschisten von 1980 zur eigenen Sache. Menschenwürde und Unschuldsvermutung werden missachtet.

Doch so wenig es im Lauf der Republikgeschichte gelang, die Gesellschaft in eine „Einheits-Türkei“ zu verwandeln, so wenig wird es gelingen, den Gefangenen die Einheitskleidung aufzuzwingen.

Die Türkei ist heute eine andere

Denn all die in der Türkei diskriminierten Gruppen haben ihre Forderungen nie aufgegeben und sich ihre Diversität und Identitäten bewahrt. Die Kurden, deren Existenz noch bis vor einem Vierteljahrhundert verleugnet wurde, haben die Anerkennung ihrer Identität durchgesetzt. Die Aleviten, die man zu Sunniten machen wollte, haben nicht Abstand von ihren Forderungen genommen. Und die Frauenbewegung hat mittlerweile bedeutende rechtliche und soziale Errungenschaften gegen den herrschenden männlichen Diskurs durchgesetzt.

Viele Inhaftierte wie der HDP-Vorsitzende Selahattin Demirtaş und der Journalist Deniz Yücel haben bereits angekündigt, sich nicht in Einheitskleidung stecken zu lassen. Außerdem gibt es Millionen Menschen außerhalb des Gefängnisses, die sich solidarisch mit den Gefangenen zeigen und gegen die Zwangsverordnung stehen.

Die Türkei ist heute, anders als 1980, den Beschlüssen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) verpflichtet. Das Notstandsdekret steht im Widerspruch zur Auffassung des EGMR und unter diesen Umständen ist die Einheitskleidungsvorschrift weder gesetzlich noch praktisch umsetzbar.

Aus dem Türkischen Sabine Adatepe

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