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Türkisch-armenische AnnäherungFrühlingsgefühle im Südkaukasus

Jürgen Gottschlich
Kommentar von Jürgen Gottschlich

Von den Verhandlungen erhoffen sich die Ar­me­nie­r:in­nen zahlreiche wirtschaftliche Vorteile. Für die Türkei geht es eher um Strategisches.

Kerzenmarsch zur Ehrung der gefallenen armenischen Soldaten im Krieg gegen Aserbaidschan Foto: Imago

V or einem Jahr schien es völlig ausgeschlossen, dass es in absehbarer Zeit noch einmal zu einer Normalisierung zwischen der Türkei und Armenien kommen könnte. Gerade erst hatte die Türkei maßgeblich dazu beigetragen, dass Armenien im Kampf um Bergkarabach eine demütigende Niederlage gegen Aserbaidschan hinnehmen musste.

Die Menschen hatten Angst, einige waren sogar in Panik, dass die türkische Armee das kleine Armenien ganz von der Landkarte tilgen könnte. So verständlich diese Ängste angesichts des Völkermordes an den Armeniern 1915 im Osmanischen Reich sind – realistisch waren sie zum Glück nicht.

Jetzt scheint es so, dass das jüngst noch völlig Abwegige Realität wird. Die Türkei und Armenien haben beschlossen, hochrangig über eine Normalisierung und die Öffnung der Grenze zu verhandeln. Armenien muss dafür den weitaus größeren Schritt tun. Das kleine Land hat den Krieg verloren, ist im Südkaukasus weitgehend isoliert, die Bevölkerung demoralisiert.

Darüber hinaus ist in der Türkei keine Rede davon, den Genozid an den Armeniern anzuerkennen, was frühere armenische Regierungen zur Bedingung für normale Beziehungen gemacht hatten.

Erdoğan hofft, im Westen zu punkten

Doch Armenien braucht aus wirtschaftlichen Gründen dringend eine Öffnung der Grenze. Umgekehrt spielt für die Türkei Armenien ökonomisch keine Rolle. Präsident Recep Tayyip Erdoğan hofft, durch eine Normalisierung mit den Nachbarn im Westen zu punkten. US-Präsident Joe Biden und die EU sollen auf den Versöhnungskurs gedrängt haben.

Außerdem hofft Erdoğan darauf, mit besseren Beziehungen zu Jerewan – auch in Konkurrenz zu Russland – im Südkaukasus insgesamt mehr Einfluss nehmen zu können als bislang nur als Verbündeter von Aserbaidschan.

Ungeachtet der Skepsis gegenüber der türkischen Politik kommt vielen ArmenierInnen die Grenzöffnung sehr zu­gute. Ein kleiner Grenzverkehr wäre möglich und damit die Chance, in der Türkei zu arbeiten. Auch wäre eine Grenz­öff­nung Voraussetzung für den Abbau der wechselseitigen Feindbilder.

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Jürgen Gottschlich
Auslandskorrespondent Türkei
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