Türken in Deutschland: Opas Heimat
Die rechtsextremen Fantasien von „Remigration“ wecken in migrantischen Communitys Erinnerungen an schlechte Zeiten. Ein Familienbesuch.
R inteln an der Weser hat eine historische Altstadt mit denkmalgeschützen Fachwerkhäusern und engen, kopfsteingepflasterten Gassen aus dem Mittelalter. Rinteln ist eine ehemalige Universitätsstadt, ziemlich bekannt auch für die Hexenverfolgungen und so einigen Enthauptungen seinerzeit auf dem Marktplatz. Und obwohl die Rintelner bereits an der Kirche St. Nikolai die weiße Flagge gehisst hatten, mussten sie leider ihre so geliebte Weserbrücke 1945 in die Luft sprengen. Damit die Amerikaner nicht auch noch in die Nordstadt einmarschierten. In den 1980er Jahren war sogar Willy Brandt (SPD), der vierte Bundeskanzler der Bundesrepublik, auf dem Marktplatz und hielt eine Rede, um die Rintelner für mehr Demokratie zu begeistern.
Und genau auf diesem Marktplatz sitzt nun Hakki Yildiz mit seinen Freunden bei einem Bäcker mit dem Blick zur evangelischen Stadtkirche St. Nikolai, einem Findlingsbrunnen und dem Standesamt, eine Mischung aus Steinhaus und Fachwerkbau. Sie sitzen öfter hier – über ihre Auswanderungspläne jedoch sprechen sie zum ersten Mal im Detail.
Yildiz und seine Freunde haben eine Sache gemeinsam: Sie kamen in den 1970ern als türkische Gastarbeiter nach Rinteln.
Das erste Gastarbeiterabkommen wird 1955 mit Italien abgeschlossen. Darauf folgen weitere Länder. Im Jahr 1961 wird mit der Türkei als einem der letzten Länder ein weiteres Abkommen abgeschlossen. Es steckt schon im Wort Gastarbeiter: Diese Menschen sollten vorübergehend als Gäste in Deutschland bleiben und arbeiten. Und nach getaner Arbeit wieder gehen. Doch daraus wurde nichts. Die Gäste werden Dauergäste und Deutschland wird wie unbemerkt zum Einwanderungsland.
So leben nun insgesamt 1,5 Millionen Türkeistämmige verteilt in Deutschland. Unter anderem auch in der historischen Altstadt Rinteln. Laut der Einwohnerstatistik von Dezember 2022 wohnen dort 27.301 Einwohner, davon werden 3.019 Menschen als Ausländer bezeichnet. Also diejenige, die nicht die deutsche Staatsbürgerschaft besitzen.
Ein Freund von Hakki Yildiz
Und noch eine weitere Sache haben diese älteren Herren zwischen 75 und 80 Jahren gemeinsam: Sie fühlen sich inzwischen unsicher in Deutschland. Als die Männer von den Deportationsfantasien und dem geheimen Treffen der AfD hören, spüren sie Angst und es stellt sich schnell die Frage: Was tun, wenn die AfD an die Macht kommt? Vor allem entsteht der Gedanke: Lieber selbst abhauen, bevor man abgeschoben wird. Einer der Herren mit einem von Nikotin gelb verfärbten Schnurrbart spielt mit seiner Tesbih – der Gebetskette – in der Hand und sagt: „Lieber geh ich selbst, bevor ich mich abschieben lasse. Wir sind schließlich nicht heimatlos. Schaut doch, Hüseyin, der ist mit seiner Familie schon letztes Jahr zurückgekehrt. Der hat alles richtig gemacht.“ Die anderen nicken. Yildiz auch.
Der Gastarbeiter Hakki Yildiz ist mein Opa und ich bin dank ihm gebürtige Rintelnerin. Er kam nämlich 1970 nach Deutschland. Alles geschah dabei recht zufällig. In der Türkei schrieb er sich auf die Gastarbeiterliste und kurze Zeit später saß er im Flieger und kam nach Hamm. Dort arbeitete er in einem Bergwerk. Der Großteil seiner Kollegen waren Deutsche, mit denen er aber kaum Kontakt hatte. „Schon allein die sprachlichen Barrieren standen mir im Weg“, sagt er. „Die dachten, ich würde bald das Land verlassen. Ehrlich gesagt, dachte ich das auch.“ Tut er aber nicht. Im Jahr 1971 zieht Yildiz von Hamm nach Rinteln. Er arbeitete in einer Fabrik, die Heizungskörper herstellten. Dort sollte er bis zu seiner Rente bleiben. „Nichts war klar, wir wurden dahin geschickt, wo es Arbeit gab, und so kam ich zufällig nach Rinteln“, erzählt Yildiz. „Ich kannte diesen Ort nicht. Man sagte nur, Rinteln sei schön klein und sicher für die Kinder.“ Ein Jahr später holt er seine Frau Emine und die Kinder nach Deutschland.
Viel gearbeitet und gut verdient
Das Gesundheits- und Bildungssystem sei so viel besser in Deutschland und die Zukunft der Kinder so viel sicherer: „Ich habe gut verdient, ich habe aber auch viel gearbeitet. Wir Gastarbeiter haben die Aufgaben gemacht, die die Deutschen nicht machen wollten. War auch in Ordnung für uns. Jeder hatte was von diesem Gastarbeiterabkommen. Nur waren wir eigentlich keine Gäste mehr, sondern inzwischen systemrelevante Arbeitnehmer“, sagt Yildiz.
Auch die türkischen Medien berichten im Januar über die geheimen Deportationspläne der AfD. In ganz Deutschland strömen Tausende Menschen auf die Straßen und demonstrieren gegen rechts. Auch in Rinteln protestiert man gegen die AfD.
Weiter ist das Thema aktuell, die Angst aber nicht mehr so groß. Yildiz bestellt sich eine weitere Tasse Kaffee, seine Freunde sind inzwischen weg. Er möchte noch die restliche Mittagssonne auf dem Marktplatz genießen, bevor die weiterzieht und der Marktplatz schattig wird. „Ich habe meine Jugend hier verbracht, ich habe hart gearbeitet. Es hieß, der beste Weg, sich zu integrieren, sei durch harte Arbeit. Und das tat ich. Zwei meiner Kinder sind hier geboren, sie sind Deutsche. Ich bin ein Teil von Deutschland. Ich habe dazu beigetragen, dieses Land wieder aufzubauen. Und jetzt soll ich vertrieben werden? Ist das der Dank für all die Jahre harter Arbeit?“
Ob dieses Thema ihn traurig mache? Das bejaht er. Ob er wütend sei? Das bejaht er auch: „Die Deutschen sind immer davon ausgegangen, dass wir irgendwann wieder zurückgehen, dass Deutschland ein Einwanderungsland wurde, geschah unabsichtlich“, sagt Yildiz. Auch Ausländerhass habe es schon immer gegeben. Man solle sich doch nur die ganzen rassistischen Einzelfälle anschauen.
Yildiz erinnert sich: „Als 1993 das Haus in Solingen in Brand gesetzt wurde, hatten wir hier auch alle Angst. Es brach Panik aus. Solingen ist nur zwei Stunden entfernt. Wir dachten, wir könnten die nächsten sein.“ Und es sei ja schon sehr auffällig, dass diese Einzelfälle meistens in kleinen deutschen Städten passieren.
Die Abschiebepläne und die immer mehr werdenden AfD-Sympathisanten würden genau dieses Gefühl wieder aufleben lassen. „Wir wurden nie angenommen hier in der Gesellschaft. Auf der Arbeit waren die meisten meiner Kollegen Türken, Kurden und Italiener gab es auch. Wir wurden ausgeschlossen. Wir waren die Gastarbeitergruppe. Und dann gab es die Deutschen, die sprachen nie mit uns. Wir machten die Drecksarbeit und die beobachteten uns dabei. Aber es ist auch viel nicht kommuniziert worden, also von diesen Politikern.“ Er trinkt noch einen Schluck von seinem Kaffee. „Ich versteh das ja, wir sind Gäste, die nie gingen. Ich wurde schon oft als Dreckstürke beschimpft. Ich hatte das damals alles nicht wirklich verstanden. Konnte auch kaum Deutsch. Ich nickte immer höflich in der Hoffnung, dass sie mir nichts antun würden“, erzählt Hakki Yildiz. „Aber wir hatten auch nette deutsche Nachbarn, die sich um die Kinder kümmerten und mit uns versuchten ins Gespräch zu kommen“, erzählt Yildiz. Sein Deutsch ist bis heute nicht perfekt, aber er kann sich inzwischen verständigen.
Eine Ehe zwischen den Welten
Unweit des Marktplatzes wohnt Tatjana A. mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern. Ich kenne sie noch aus der Schule. Wir waren im selben Jahrgang und haben zusammen Abitur gemacht.
Auch sie ist – wie ich – gebürtige Rintelnerin und im Gegensatz zu mir ist sie der Stadt treu geblieben: Sie hat ihre Ausbildung in Rinteln gemacht und arbeitet nun als Bankkauffrau. Ihren Mann lernte Tatjana A. in der Türkei kennen. Er kommt eigentlich aus Adana. Als sie heiraten, zieht auch er nach Rinteln.
Natürlich war es für ihn erst mal gewöhnungsbedürftig, er hatte aber keine wirklichen Schwierigkeiten, sich in Rinteln zu integrieren. Das liege auch zum großen Teil daran, dass Tatjana A. eben deutsch ist. Ihre Familie ist deutsch, ihre Freunde sind deutsch, sie selbst ist deutsch. So ist ihr Mann auch immer unter Deutschen und gezwungen, Deutsch zu sprechen. „Das kann man von den meisten aus der türkischen Community nicht behaupten.“ Tatjana A. sieht insgesamt eher wenig Annäherung zwischen Deutschen und Türkeistämmigen.
„Für manche sind sie immer noch Ausländer. Sie werden leider immer alle über einen Kamm geschoren: Ausländer ist gleich Ausländer“, sagt sie. Es gibt so viele Regeln, an die man sich halten muss. Sie selbst versucht, eine Vermittlerin zu sein zwischen der deutschen und der türkischen Gesellschaft. „Ich bin auch aktiv in der Moschee, genau genommen bin ich der zweite Vorstand der Frauen.“ Sie macht eine Pause und sagt: „Ich bin eine der wenigen Deutschen.“ Bei den Deutschen ist sie deutsch, mit den Türken kann sie wunderbar schwarzen Tee trinken und plaudern. Ihr Mann hingegen empfinde das Leben in Deutschland als sehr monoton. „Roboterleben“ nenne er das. Tatjana A. lacht: „Inzwischen verstehe ich, was er meint. Hier will man nicht gestört werden, Sonntagsruhe ist ja auch noch so ein Begriff. Ich weiß nicht, wie es in größeren Städten ist, aber hier hält man sich eben an die Regeln, um nicht aufzufallen.“
Tatjana A.
Dennoch ist die Zukunft für Tatjana A. und ihre Familie ungewiss. Auch sie war schockiert, als sie von den Deportationsplänen der AfD hörte: „Ich dachte, das kann doch nicht wahr sein, das ist bestimmt ein Scherz“, sagt sie. Sie wirkt noch immer fassungslos. Hier auf dem Marktplatz gab es erst vor Kurzem eine Demo gegen rechts. Das war gut und wichtig. Natürlich war sie selbst auch dabei. „Ich war beeindruckt zu sehen, dass der ganze Marktplatz voll mit Menschen war. Das hat mir Hoffnung gemacht“, sagt sie. Laut der Lokalpresse haben über 500 Menschen an dieser Demonstration teilgenommen. In einer Kleinstadt, in der man kaum demonstriert, kann man dies als einen demokratischen Erfolg bezeichnen.
Ihr Mann und sie reden zwar über eine mögliche Auswanderung nach Adana, aber fest steht das noch nicht. Am meisten machen sie sich Sorgen um die Zukunft der Kinder. Die Bildung spielt eine große Rolle. Sie haben ein Haus gekauft, das sie abzahlen müssen, und das Gesundheitssystem ist eben in Deutschland doch besser aufgestellt als in der Türkei. Dies sind wichtige Aspekte für Tatjana A. und ihren Mann.
„Aktuell könnte ich Rinteln nicht einfach so den Rücken kehren, weil ich noch einen kleinen Teil Familie hier habe und vor allem meine Freunde. Und natürlich meine Absicherung durch die Arbeit“, sagt sie. Dennoch fragt sich Tatjana A., was ihre Kinder in der Zukunft für Probleme haben könnten: „Meine Tochter zum Beispiel, sie hat nichts von den türkischen Genen ihres Vaters geerbt. Sie ist blond und blauäugig. Niemand würde auf die Idee kommen, dass sie halb Türkin ist. Mit dem Namen könnte sie dann Probleme haben“, sie spricht weiter: „Aber mein Sohn wird vielleicht wegen seines Aussehens und wegen seines Namens Schwierigkeiten haben“, sagt sie: „Vielleicht sind wir bis dahin ja auch schon in der Türkei, oder noch besser, diese Diskussionen werden erst gar nicht mehr geführt in Deutschland, wer weiß.“
Ayten Türkmen hingegen möchte gar nicht an eine Auswanderung denken. Zurückkehren in die Heimat? Dieses Thema stand bei Familie Türkmen nie zur Debatte. In unserer Familie, Ayten Türkmen ist meine Mutter. Für uns war die Türkei bislang nur ein Urlaubsort.
Meine Mutter und ich überqueren zusammen die Weserbrücke, unter uns fließt die Weser. Wir sprechen zum ersten Mal miteinander über die Themen Auswandern, Heimat und ihre Erfahrung in Deutschland. Wir sind auf dem Weg in die Reinigung und Änderungsschneiderei meiner Eltern. Die betreiben sie nun seit 20 Jahren. Eigentlich ist meine Mutter ausgebildete Krankenschwester.
Fünf Jahre alt war meine Mutter, als sie nach Rinteln kam. „Dein Opa arbeitete bereits zwei Jahre hier, und als feststand, dass Deutschland doch besser zum Leben war, holte er mich, Mama und deinen Onkel auch nach Rinteln“, sagt sie, während wir an dem Kinocenter Rinteln vorbeigehen. Das einzige Kino in Rinteln, bis in die 1960er Jahre soll es ein Tanzlokal gewesen sein.
Heute würde man Mobbing sagen
Sie kann sich erinnern, wie sie damals in der Schule vorgestellt wurde. Damals konnte sie noch kein Deutsch. Aber Wörter wie „Ja“, „Nein“, „Ausländer“ und „Gastarbeiterkind“ verstand sie. Die Lehrerin sagte: „Liebe Mitschüler, das ist Ayten, sie ist ein Gastarbeiterkind und sie versteht kein Deutsch.“
Sie wurde als „Kümmeltürke“ beschimpft und ausgeschlossen, weil sie eben anders war. Sie hatte andere Klamotten an und einige der Kinder behaupteten, sie würde nach Knoblauch stinken. „Natürlich ist das alles nicht so spurlos an mir vorbeigegangen. Ich war noch ein Kind und verstand vieles nicht. Heute würde man es Mobbing nennen oder Rassismus“, erzählt sie mir und macht eine kleine Pause, während sie die Tür zu der Reinigung aufschließt. „Damals wussten wir nichts von Rassismus und ich fühlte mich nicht wohl, als wäre ich eine Art Fremdkörper, der das Gleichgewicht einer Gesellschaft stören würde. Ich verstand auch nicht, warum wir hier sein mussten“, sagt sie.
Und nun scheint genau dieses Gefühl wieder da zu sein: ein Fremdkörper in der Gesellschaft. „Es macht mir Angst. Natürlich will ich Deutschland nicht verlassen. Deutschland ist mein Zuhause und die Heimat von euch, also dir und deinem Bruder. Derya, sollten wir uns hier nicht wohlfühlen?“, fragt sie mich und schaut mich nachdenklich an. In ihrer Hand hat sie noch die Schlüssel, sie legt sie auf den Tresen in der Reinigung ab. Es riecht nach frischer Wäsche. Die Heißmangel läuft auf Hochtouren, Papa muss bereits im Laden gewesen sein.
Ayten Türkmen sagt: „Klar, dein Papa und ich überlegen schon auch ernsthaft, in die Türkei zu ziehen. Wir haben doch eine Wohnung dort und die Familie. Aber ich will dich ja nicht hier lassen. Dann würde ich mich immer um dich und deinen Bruder sorgen. Ja doch, diese Gedanken machen mir auch Bauchschmerzen.“ Bis auf die allerersten Kindheitsjahre hat sie nie wirklich in der Türkei gelebt. Die Politik ist dort eine ganz andere. Meine Mama fühlt sich verantwortlich, hier in Deutschland zu bleiben und für ihre Rechte zu kämpfen.
Ich erinnere mich, dass meine Mutter sich vor einigen Jahren auch politisch engagieren wollte. Auch wenn meine Großeltern nie berechtigt waren, in Deutschland zu wählen, hatten sie immer eine starke politische Haltung. Meine Oma zum Beispiel ist großer SPD-Fan. Und meine Mutter schwärmt noch heute von Willy Brandt und seinem Besuch auf dem Rintelner Marktplatz. „Er war der erste Promi, den ich je in meinem Leben gesehen habe“, erinnert sie sich. Begeistert von Brandts Rede wollte sie auch Mitglied in der SPD Rinteln werden. In der Hoffnung, die türkische und deutsche Gesellschaft näher zueinanderzubringen. Die SPD Rinteln lehnte sie jedoch ab, weil meine Mutter nicht im Besitz der deutschen Staatsbürgerschaft war.
Ayten Türkmen
Das waren nun mal die Regeln – bis 2024. Denn am 26. Juni tritt das Gesetz zur Modernisierung des Staatsangehörigkeitsrechts in Kraft, und somit soll auch für Türkeistämmige eine doppelte Staatsbürgerschaft möglich sein.
„Hätte ich den deutschen Pass, könnte ich natürlich auch wählen gehen. Aber ich habe keine politischen Rechte. Ich kann demonstrieren, klar. Aber ich darf noch nicht wählen. Bis ich meinen deutschen Pass habe, und das wird noch ungefähr ein bis zwei Jahre dauern, liegt mein Schicksal in den Händen derjenigen, die politisches Mitgestaltungsrecht haben. Also zum Beispiel in deinen Händen, Derya“, sagt Mama lachend zu mir und fügt hinzu: „Ich hoffe sehr, dass diese Vertreibungspläne wirklich nur Naziträumereien bleiben. Aber sollte es hart auf hart kommen, dann werden dein Vater und ich natürlich abhauen müssen. Du und dein Bruder, ihr könnt natürlich gerne mitkommen.“
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Inzwischen ist mein Opa zu Hause. Er war noch in der Moschee. Hat dem Hoça beim Gebet zugehört und dann selbst gebetet. Dort trifft er auch noch mal auf Bekannte. Aber die meisten seiner Freunde sind verstorben oder bereits zurück in die Heimat gegangen. Mein Opa und ich sitzen vor dem Fernseher und schauen türkische Nachrichten. „Da wurde ja auch wieder gewählt“, sagt er und wedelt mit der Fernbedienung. Er will wissen, wie die Situation in der Türkei ist, damit er sich schon mal darauf einstellen kann, wenn es wieder zurück in die Heimat geht. „Mit den Nazis bleibe ich hier keine Sekunde länger, es reicht mir. Und in Solingen gab es wieder einen Brandanschlag, hast du davon gehört?“, ruft er fragend.
Seine Frau wiederum ist kein Fan von den Exitplänen ihres Mannes. Sie will in Rinteln bleiben. Man hätte sie ja wohl bereits längst vertrieben, hätte man sie nicht gewollt, ist sie der festen Überzeugung. Doch Hakki Yildiz hat seine ganz eigenen Pläne: „Wenn wir alle abgeschoben werden, bedeutet das, dass wir alle zusammen, also die komplette Familie, in die Türkei ziehen müssen. Einer der wichtigsten Gründe, warum ich Deutschland noch nicht verlassen habe, sind ja meine Kinder und Enkelkinder“, sagt er, während er im Fernsehen den fröhlich winkenden türkischen Politikern zuschaut.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen
Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren
Energiewende in Deutschland
Erneuerbare erreichen Rekord-Anteil
Tod des Fahrradaktivisten Natenom
Öffentliche Verhandlung vor Gericht entfällt
Wahlprogramm der FDP
Alles lässt sich ändern – außer der Schuldenbremse
Lateinamerika und Syrien
Assads Freunde