Türkei unter Erdoğan: Islamische Verfassung gefordert

Der Parlamentspräsident will mit dem Säkularismus Schluss machen. Soll die Scharia künftig wieder zur Grundlage des Rechts werden?

Eine Atatürk-Statue im Dämmerlicht

Hat diese Statue von Staatsgründer Atatürk noch eine Zukunft? Foto: reuters

ISTANBUL taz | Erstmals hat ein wichtiger türkischer Politiker die Einführung einer „islamischen Verfassung“ gefordert. „Wir sind ein islamisches Land“, sagte der Präsident des türkischen Parlaments, İsmail Kahraman, in einer Rede am Montagabend, „deshalb sollten wir eine religiöse Verfassung bekommen“. Vor dem Parlament wurden Protestierende am Dienstag mit Tränengas auseinandergetrieben, es gab mehrere Festnahmen.

Seit Gründung der Republik 1923 gilt die Türkei als säkularer Staat. Die aus dem Osmanischen Reich hervorgegangene Republik ersetzte die Scharia durch ein an westeuropäischen Vorbildern angelehntes Bürgerliches Gesetzbuch. In der Präambel der jetzigen Verfassung heißt es: „Heilige religiöse Gefühle dürfen keine Rolle in staatlichen Angelegenheiten und der Politik spielen, so wie es das Prinzip des Säkularismus vorsieht.“

Damit will die seit 13 Jahren regierende islamische AKP von Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan jetzt Schluss machen. Seit seinem Wahlsieg 2011 redet Erdoğan von der „Neuen Türkei“, die er und seine Partei schaffen wollen. Die säkulare Republik soll durch einen „modernen islamischen Staat“ ersetzt. AKP-Ideologen reden seit Längerem darüber, dass die Republik ein „Irrtum der Geschichte“ gewesen sei, der korrigiert werden müsse. Die Türkei solle wieder da anknüpfen, wo das Osmanische Reich 1918 aufgehört habe.

Diese Debatte wird nun konkreter. Seit Erdoğan 2014 zum Präsidenten gewählt wurde, fordert er, die parlamentarische Demokratie durch eine autoritäre Präsidialdemokratie zu ersetzen, in der der Präsident das letzte Wort hat. Nun hat Kahraman erstmals öffentlich gesagt, was Säkulare seit Langem befürchten. Die neue Verfassung soll nicht nur autoritär, sondern auch islamisch werden. Das wird wohl bedeuten, dass die Scharia wieder zur Grundlage des Rechts werden soll.

Keine Zweidrittelmehrheit

Der Chef der säkularen Oppositionspartei, Kemal Kılıçdaroğlu, widersprach Kahraman vehement und warf der AKP vor, sie würde den sozialen Frieden bedrohen. In der Tat dürfte mindestens die Hälfte der Bevölkerung eine islamische Verfassung ablehnen. Der Säkularismus gehört zu den Pfeilern der Republik und ist für die meisten Türken selbstverständlich.

Deshalb wird eine Verfassungsänderung selbst für die mit absoluter Mehrheit regierende AKP schwierig. Im Parlament fehlen ihr über 50 Stimmen für die notwendige Zweidrittelmehrheit. Im türkischen Recht gibt es aber auch die Möglichkeit, bei einer 60-Prozent-Mehrheit eine neue Verfassung zur Volksabstimmung vorzuschlagen. Dafür fehlen der AKP nur 13 Stimmen.

Der Oppositionschef warf der AKP vor, sie würde den sozialen Frieden bedrohen

Derzeit diskutiert die Regierung darüber, die Immunität der Abgeordneten aufheben zu lassen, die beschuldigt werden, Terroristen zu unterstützen. Das zielt auf die knapp 70 Abgeordneten der kurdisch-linken HDP, denen die Regierung vorwirft, sie würden die „PKK-Terroraktionen“ politisch unterstützen. Wird das Parlament so von Oppositionellen „gesäubert“, würde die AKP wohl mindestens das 60-Prozent-Quorum erreichen.

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