Türkei baut umstrittenes Wasserkraftwerk: Heimliches Baggern am Staudamm
Die Türkei beginnt mit dem Bau des Ilisu-Staudamms, sagen Beobachter. Obwohl die Auflagen dafür nicht erfüllt sind, hält der deutsche Bundestag an den Kreditbürgschaften fest.
Der umstrittene Staudamm am Tigris, etwa 65 Kilometer von der syrischen Grenze entfernt, soll zur Stromproduktion dienen. Durch einen knapp zwei Kilometer breiten und 135 Meter hohen Damm soll der Tigris auf einer Länge von 135 Kilometern gestaut werden. Die geplante Leistung der Wasserkraftanlage liegt bei 1.200 MW - was etwa einem großen Steinkohlekraftwerk entspricht. Insgesamt würde der Ilisu-Staudamm 16 Prozent zur türkischen Stromerzeugung beitragen. Die Türkei hofft darauf, mit dem Projekt die wirtschaftliche Entwicklung der Region Südostanatolien voranzubringen und die Abhängigkeit von Öllieferanten aus dem Ausland zu verringern. Kritiker, die vor der Zerstörung von Natur- und Kulturgütern warnen, monieren, dass umweltschonendere Alternativen, etwa eine Verbesserung der Effizienz oder die Nutzung erneuerbarer Energien wie Wind, Sonne, Geothermie, Biomasse oder Kleinwasserkraftwerke nie geprüft wurden.
ISTANBUL taz Mit den Stimmen der Regierungsfraktionen CDU/CSU und SPD ist am Donnerstagabend ein Antrag der Linken zurückgewiesen worden, die gefordert hatten, eine Bürgschaft für den umstrittenen Staudammbau Ilisu in der Türkei zurückzuziehen.
Die Bürgschaft der Bundesregierung in Höhe von 190 Millionen Euro ist Teil der Projektfinanzierung des Großstaudamms am Tigris im Südosten der Türkei, die gemeinsam von Deutschland, Österreich und der Schweiz aufgebracht werden soll. Damit sichern die drei Länder das Engagement von deutschen, österreichischen und Schweizer Firmen, die den Riesendamm in der Türkei bauen sollen.
Das Projekt ist seit Jahren heftig umstritten. Zum einen müssten für den Damm fast 50.000 Menschen umgesiedelt werden, deren Dörfer in den Fluten versinken würden, zum anderen würde aber auch eine herausragende antike Stätte in Hasankeyf, einem Ort an einer Tigrisfurt, der seit 10.000 Jahren besiedelt ist, untergehen.
Die drei europäischen Länder haben versucht, die Kritiker des Projekts in der Türkei und Europa zu beruhigen, indem sie der türkischen Regierung rund 150 Auflagen gemacht haben, die erfüllt sein sollen, bevor mit dem Bau begonnen wird. Dazu gehört zum Beispiel, dass neue Dörfer für die betroffene Bevölkerung gefunden und angemessene Entschädigungen gezahlt werden. Auch Kulturgüter müssen umgesiedelt werden, um sie zu retten. Seitdem wird darüber gestritten, ob die Türkei diesen Auflagen nun nachkommt oder nicht.
Während die politisch Verantwortlichen in Ankara regelmäßig behaupten, es laufe alles nach Plan, haben Experten, die im Sommer zur Evaluierung vor Ort waren, festgestellt, dass fast keins der gemachten Versprechen bislang eingehalten wurde. Weder ist die Umsiedlung der Bevölkerung noch die Umsiedlung der Kulturexponate vorbereitet. Daraufhin wurde von den drei europäischen Regierungen der Türkei ein Ultimatum gestellt, das am Freitag kommender Woche abläuft. Vor zwei Tagen haben nun Staudammgegner von vor Ort über ihre Unterstützer in Deutschland und Österreich Fotos präsentiert, die eindeutig zeigen, dass am Tigris ungeachtet aller Versprechen der Türkei bereits gebaut wird.
Auf den Fotos ist eine Brücke erkennbar, die einen Teil des Tigris überspannt und nach Aussage der türkischen Wasserwerke für Baufahrzeuge gedacht ist. Den Wasserwerken obliegt die Leitung des Projekts. Außerdem wurde nach Angaben der Kampagne gegen den Staudamm der Tigris bereits teilweise aus seinem natürlichen Bett umgeleitet, was eindeutig eine Baumaßnahme sei. Sowohl die Linke wie auch die Grünen im Bundestag fordern jetzt, definitiv die Kreditbürgschaften zurückzuziehen und sich nicht länger von der türkischen Regierung "vorführen" zu lassen.
Am Freitag wurden in der Türkei zwei Mitglieder der örtlichen Bürgerinitiative gegen den Dammbau festgenommen, als sie sich in unmittelbarer Nähe der Baustelle aktuell informieren wollten. Andere Mitglieder von Nichtregierungsorganisationen, die sich gegen den Damm aussprechen, wurden erst gar nicht in die Nähe der Baustelle gelassen. Sie ist bereits weiträumig abgesperrt.
Diese Maßnahmen vor Ort zeigen nach Meinung des Sprechers der Ilisu-Kampagne Ulrich Eichelmann, dass die türkischen Offiziellen kurz vor Ablauf des Ultimatums "offenbar immer nervöser werden". Die Abstimmung im Bundestag ist derweil ein Indiz, dass die Bundesregierung trotz aller Kritik an den Bürgschaften für den Dammbau festhalten will.
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