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Trump-Biografie von Maggie HabermanDem Gesetz einen Schritt voraus

Die „New York Times“-Korrespondentin Maggie Haberman legt mit „Täuschung“ eine herausragende Biografie über Donald Trump vor. Sie kommt zur richtigen Zeit.

Donald Trump 1989 in seinem Büro in den Trump Towers mit schön ­bescheidener Wand­dekoration Foto: Jack Manning/NYT/Redux/laif

Es ist nicht gerade so, als gäbe es noch nicht genügend Lesestoff über Donald Trump. Abgesehen davon, dass er spätestens seit 2016 permanent die Medien der Welt beschäftigt, besitzt der Stapel an Trump-Büchern mittlerweile fast Kniehöhe. Alleine die Reporterlegende Bob Woodward, der gemeinsam mit seinem Partner Carl Bernstein weiland Richard Nixon zu Fall brachte, hat drei Bücher über Trump verfasst.

Michael Wolff veröffentlichte schon 2018 einen Reißer mit pikantem Material aus dem West Wing und die Washington-Korrespondentin des New Yorker, Susan Glasser, fasste erst im vergangenen Jahr ihre Einsichten aus vier Jahren intensiver Trump-Berichterstattung zusammen.

Trotzdem ist man seit Monaten darauf gespannt, was die langjährige Trump-Korrespondentin der New York Times, Pulitzer-Preisträgerin Maggie Haberman, in ihrer Biografie zu dem Thema wohl beizutragen hat. Schließlich gibt es wohl niemanden in den USA, die sich so lange, so intensiv mit dem Phänomen Trump beschäftigt hat.

Um es gleich vorweg zu nehmen, ein Enthüllungsbuch ist das 800 Seiten starke Werk nicht. Sicher, es gibt Anekdoten über Trump, die es bislang noch nirgends zu lesen oder zu hören gab. Dass er beispielsweise sehr ernsthaft in Erwägung gezogen hat, das Weiße Haus nicht zu räumen; dass er überlegt hat, mexikanische Drogenlabors zu bombardieren; dass er Memoranden die Toilette hinunterspülte und dass er die Biografin Maggie Haberman ganz schamlos anlog, als sie nach geheimen Dokumenten fragte, die, wie man heute weiß, Trump illegal aus dem Weißen Haus entfernte.

Keine Quelle unbefragt gelassen

Doch wenn man das Werk Habermans in erster Linie auf den Nachrichtenwert abklopft, dann entgehen einem die Gründe, warum dieses Buch aus der stetig wachsenden Trump-Literatur heraussticht. Zuvorderst ist da wohl die Akribie der Times-Reporterin zu nennen. Maggie Haberman, die für die Times Trump seit den ersten Anzeichen begleitet, dass er für die Präsidentschaft kandidieren könnte, hat gründlich ihre Aufzeichnungen aus all den Jahren ausgewertet, keine Quelle unbefragt gelassen, kein Detail und keine Beobachtung ausgespart.

Das Buch

Maggie Haberman: „Täuschung. Der Aufstieg Donald Trumps und der Untergang Amerikas“. Aus dem Ameri­kanischen. Siedler Verlag, München 2022, 832 Seiten, 36 Euro

So steht das Buch als die autoritative Chronik der Trump-Präsidentschaft gewiss allein. Und die kommt genau zum richtigen Zeitpunkt. Auf der Zielgeraden zu den amerikanischen Zwischenwahlen, bei denen sich zeigen wird, ob Amerika die Trump-Ära je wird überwinden können, tut es gut, diese Epoche Revue passieren zu lassen und sich zu vergegenwärtigen, wie tiefgreifend das Land und seine politische Kultur sich in so kurzer Zeit verändert haben.

Indem Haberman mit der Brisanz der Tagesjournalistin erzählt, erinnert sie etwa daran, was für ein Schock es seinerzeit noch war, als Trump per Exekutivanordnung die Einwanderung aus sieben vornehmlich muslimischen Ländern über Nacht unterband und damit sogar seine eigenen Behörden überrumpelte. An das Chaos, das danach an den Flughäfen ausbrach, weil nicht geregelt war, was mit denen passieren soll, die sich seinerzeit noch im Transit befanden, und an die Verzweiflung derer, die Verwandte in diesen Ländern hatten.

Auch Trumps prä-politische Karriere im Blick

Ebenso hilfreich ist es, sich an die Details des Machtkampfs von Trump mit dem damaligen FBI-Chef James Comey zu erinnern, der verzweifelt versuchte, die Unabhängigkeit der Agentur vom Weißen Haus zu wahren. Dass Trump schließlich Comey und seinen gesamten Stab zum Rücktritt zwingen konnte, liest sich heute wie ein warnendes Lehrstück dafür, wie einer wie Trump es schaffen kann, die Institutionen einer demokratischen Gesellschaft auszuhöhlen.

Das wirklich hervorstechende an Habermans Buch im Vergleich zu den Mitbewerbern ist jedoch, wie sie Trumps präpolitische Karriere mit seinem Leben als Kandidat und Amtsinhaber verknüpft.

Beinahe die Hälfte des monumentalen Werks beschäftigt sich mit Trumps Laufbahn als New Yorker Immobilien-Mogul und Reality-TV-Star. Und Habermans gründliche Beschäftigung mit diesem Aspekt von Trump erhellt in vielerlei Hinsicht, warum der mutmaßliche Präsidentschaftskandidat für das Jahr 2024 so tickt, wie er nun einmal tickt.

Das New York der 70er und 80er Jahre, das Trump hervorgebracht hat, war ein anarchischer Ort. Die Politik hatte die Kontrolle über die Stadt verloren, die wirtschaftlich am Ende war, der Boden war bereitet für allerlei Glücksritter und halbseidene Figuren wie Trump und Zeitgenossen wie Rudy Giuliani, den späteren Gouverneur Andrew Cuomo oder den Mafia-Anwalt Roy Cohn. Sie alle hatten eines gemeinsam: Sie waren ruchlos und rücksichtslos auf das eigene Fortkommen bedacht und sie beugten Regeln und Gesetze, so weit sie nur damit davonkommen konnten.

Dabei entwickelte Trump einen entscheidenden Instinkt: Nämlich, dem Gesetz immer einen Schritt voraus zu bleiben. Schon damals wusste jeder, dass seine Geschäfte krumm waren, er prahlte sogar damit. Und er prahlte damit, dass es nie jemand schaffte, ihn wirklich zu belangen. Eine Fähigkeit, die ihm bis heute zugutekommt.

Demokratie am Rand des Abgrunds

Eine wirklich komplexe Theorie über die soziokulturellen Bedingungen, die einen Trump produziert haben und die mit ihm die pluralistische Gesellschaft und die Demokratie an den Rand des Abgrunds geführt haben, entwickelt Haberman aus diesem Material freilich nicht.

Lediglich dieses kurze Fazit hat sie zum Ende anzubieten: „Die politischen Veränderungen, die 2016 zunächst eine Auswirkung von Trumps charakterlich bedingtem Populismus zu sein schienen, wirkten nun wie Teile einer dauerhaften Neuausrichtung. Einer Neuausrichtung mit Koalitionen, die sich nicht länger an den alten Trennlinien Religion, Einkommen oder Ideologie orientierten, sondern die entlang von Bildungsniveau, Kultur und einer zunehmenden Stadt-gegen-Land-Geografie verliefen.“

Zudem konstatiert Haberman, dass Trump Verhaltensweisen im öffentlichen Leben salonfähig gemacht habe, die vorher undenkbar waren.

Das liegt alles auf der Hand. Weitergehende Analysen über den Zeitgeist und über das, was Trump über diesen aussagt, müssen andere anstellen. Aber Maggie Haberman hat dafür eine formidable Grundlage geschaffen. Wenn das Zitat des einstigen Washington Post-Herausgebers Philip Graham stimmt, dass Journalismus den ersten Entwurf der Geschichtsschreibung liefert, dann hat Haberman einen hervorragenden ersten Entwurf vorgelegt.

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4 Kommentare

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  • Im angezeigten Foto zeigt Trump bereits als Jugendlicher die (erworbene) aggressive Angespanntheit von heute. Wer/was hat ihn so geprägt ?

  • Toll, wenn man den Niedergang der USA personalisieren kann, um die Schuld nicht auch am System und - "Gott" bewahre - bei den Dems zu suchen. Die Reichen bestimmen die Politik. Mit der Supreme-Court-Entscheidung von 2014, wonach es bei Parteispenden keine Obergrenzen mehr geben darf, da Millionenspenden unter freier Meinungsäußerung fallen (corporations=people), wurde das System noch korrupter. Menschen haben überhaupt nur eine Chance, am Wahlkampf teilzunehmen, wenn sie Millionen einsammeln können; deshalb verbringen Politiker:innen auch mehr Zeit, Gelder für den nächsten Wahlkampf einzusammeln, als Politik zu machen. Trump hat mit seinem respektlosen Auftreten etwas den Schleier vor diesem System gelüftet. Und das gefällt wohl einigen Abgehängten, die sich mittels Trump an den Eliten rächen wollen. (Das ist eine mögliche Interpretation).

  • Leider wird nicht ein einziger Trumpist diese 800 Seiten lesen.



    Die es lesen werden es nur um sich in ihrer Meinung bestätigt zu fühlen.



    Vielleicht wird die Geschichtsschreibung in 50 Jahren das Buch zitieren als die antiquierte amerikanische Demokratie gänzlich aus der Zeit gefallen ist.

    • @Ramaz:

      Der Vorteil scheint mir aber doch zu sein, dass damit die eine Seite des sich bereits in vollem Gange befindlichen Kulturkampfes fundiert informiert ist, während die andere Seite auf ewig darauf hoffen muss, mit der Verweigerung von Wissen durchzukommen.