„Trostfrauen“-Mahnmal in Berlin: Am frühen Morgen abgeräumt
Gerade hatte ein Gericht dem Bezirk Mitte erlaubt, das „Trostfrauen“-Mahnmal zu entfernen, schon ist es weg. „Wie eine Entführung“, so AnwohnerInnen.
taz | Freitagmorgen, 7 Uhr: Rund 30 Polizisten in Kampfanzügen treffen in der Moabiter Birkenstraße ein. Was ist da los? Eine Kneipenschlägerei, die sich bis in die frühen Morgenstunden hingezogen hat? Ein Anschlag auf die S-Bahn? Nein, die Polizei ist zur Absicherung eines Einsatzes des grün regierten Bezirksamts Mitte ausgerückt. Will die Behörde gegen rechte Umtriebe vorgehen? Oder gegen Mietwucher?
Alles Fehlanzeige: Der Polizeieinsatz, der Anwohnern zufolge nur 15 Minuten dauert, gilt einer kleinen Frau, die an der Straßenkreuzung auf einem Stuhl sitzt – neben ihr ein weiterer, leerer Stuhl. Ein kleiner Vogel hat auf der Schulter der Frau Platz genommen, um sie herum liegen frische Blumen. Jetzt soll die Frau weg. Weil sie nach Ansicht des Bezirksamts schon zu lange dort gesessen hat. Genau gesagt, seit 2020.
Die Frau besteht auch nicht aus Fleisch und Blut, sondern aus Bronze. Sie ist eine Statue, die eine sogenannte Trostfrau darstellt, aufgestellt hat sie der Korea Verband e. V., der ganz in der Nähe seine Geschäftsstelle hat.
„Trostfrauen“ mussten im Zweiten Weltkrieg dem japanischen Militär sexuell zu Diensten sein. Sie kamen aus Japan selbst und aus verschiedenen asiatischen Staaten, die Japan im Krieg überfallen hatte, meist aus Korea. Sie lebten unter entsetzlichen Bedingungen und wurden viele Male am Tag vergewaltigt und geschlagen. Etliche der 200.000 Mädchen und Frauen überlebten das nicht.
Japan will keine Erinnerung
Seit Jahren erinnern solche Statuen in aller Welt an diese Verbrechen. Und wo immer sie aufgestellt werden, kann man sich auf Proteste der japanischen Regierung und ihrer Auslandsvertretungen einstellen – auch in Berlin war das so. Ihre Forderung: Die Statuen müssen weg! Erinnerungskultur ist im rechtskonservativ regierten Japan schwierig. „Ein weites Feld“, hätte Fontane gesagt.
Japan ordnet an, Berlin führt aus? Diesen Eindruck würden sowohl die CDU-geführte Senatskanzlei als auch das grün regierte Bezirksamt Mitte weit von sich weisen. Mitte hatte vor Gericht argumentiert, privat initiierte Kunst im öffentlichen Raum dürfe eben im Bezirk nur zwei Jahre lang stehen, um vielen Künstlern die Chance zu geben, ihre Kunstwerke zu präsentieren.
Eine entsprechende Verwaltungsvorschrift wurde allerdings erst erlassen, als der Bezirk den Abbau der „Trostfrau“ bereits angeordnet hatte und hier rechtssicher sein wollte. Auch den Eindruck, diese Verwaltungsvorschrift, die andere Bezirke nicht haben, sei eigens für diese Statue erlassen worden, würde Mitte natürlich weit von sich weisen.
Abriss einen Tag nach der Gerichtsentscheidung
Vor dem Abbau hatte das Berliner Verwaltungsgericht am vergangenen Montag den Eilantrag des Korea Verbands auf eine dauerhafte Standgenehmigung zurückgewiesen. Eine Beschwerde des Verbands lehnte das Oberverwaltungsgericht am Donnerstag ab, also genau einen Tag vor dem Abriss der Statue.
Das Verwaltungsgericht hatte allerdings in einem Punkt dem Korea Verband Recht gegeben: Das Bezirksamt sei nicht befugt, von ihm ein Zwangsgeld zu erheben, wenn er der Abbau-Verfügung nicht nachkomme. Stattdessen, so das Gericht, könne der Bezirk das Denkmal ja selbst abbauen.
Das hat er nun getan. Die koreanische Frau, von Anwohnern liebevoll „Ari“ genannt, wurde in ein schwarzes Tuch gehüllt und in Windeseile mit einem Hubwagen auf einen Lkw geladen. Eine Anwohnerin sagte der taz, die Szene hätte sie an eine Entführung erinnert. Polizisten hinderten Anwohner daran, zu filmen. Wollte das grüne Bezirksamt verhindern, dass Bilder seines Bildersturms im Netz auftauchen? Die Polizei vor Ort begründete das Filmverbot mit dem Schutz der Baufirma. Vor wem eigentlich?
Zurück an der Ecke Birkenstraße/Bremer Straße bleibt ein heller Fleck auf dem Boden. Anwohner haben ihn spontan mit Blumen und Aufschriften geschmückt. „Warum stört eine Friedensstatue gerade in Zeiten von Kriegen und Faschismus?“, steht auf einem Blatt Papier. Wohin die Statue gebracht wurde, ist dem Korea Verband bislang nicht bekannt.
„Wir hätten niemals gedacht, dass eine grüne Bezirksbürgermeisterin so reagiert“, sagt Nataly Jung-Hwa Han vom Korea-Verband der taz. „Ich dachte, die Grünen seien eine feministische Partei. Wir sind entsetzt und traurig und bekommen viel Zuspruch von den Anwohnern in Moabit.“ Ihr Verband plane nun, mit seinem Büro und dem von ihm geschaffenen Museum der Trostfrauen den Bezirk Mitte zu verlassen: „Wir wollen uns dort einen neuen Standort suchen, wo man unsere Arbeit wertschätzt.“
Die Jusos im Bezirk fordern Bezirksbürgermeisterin Stefanie Remlinger (Grüne) zum Rücktritt auf. Gemeinsam mit der Grünen Jugend im Bezirk verurteilen sie den Abbau der Statue als „Ausdruck einer Politik, die feministische Erinnerung marginalisiert und historische Verantwortung verdrängt. Gerade in Zeiten, in denen rechte Kräfte Geschichte umschreiben und feministische Perspektiven delegitimieren wollen, ist das ein fatales Signal.“
Die Grüne Jugend fordert zwar nicht Remlingers Rücktritt, Allerdings hält sie deren erneute Aufstellung für das Amt der Bezirksbürgermeisterin im kommenden Jahr für „völlig inakzeptabel.“
Die Linksfraktion Mitte kritisierte die Aktion und sprach von einem „fatalen politischen Signal“. In einer Mitteilung des Bezirksamtes heißt es lapidar: „Ungeachtet der Auseinandersetzungen hält das Bezirksamt Mitte die durch die Friedensstatue angestoßene Diskussion über sexuelle Gewalt gegen Frauen in kriegerischen Konflikten für wichtig.“
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