: Triumphatorin vom Grill
Der Grand Prix Eurovision 2002 hat ein strahlendes Gesicht: Wie aus einer übergewichtigen schüchternen Frau namens Rosa eine Showgröße und spanische Nationalheldin wurde
von ULRIKE FOKKEN
Sie hätte ihr Leben mit gebratenen Hähnchen verdienen können. Sogar in ihrer eigenen Braterei, dem „Asadero Rosa“ in Granadas Stadtteil Zaidin. Schließlich hatte ihr Vater gerade den Bratladen mit Außerhausverkauf eingerichtet, auf dass Rosa María López Cortés ein sicheres Einkommen habe. Denn Eduardo López sorgt für seine vier Kinder, vor allem für Rosa, seine einzige Tochter. Das hat er immer getan. Wenn er sie zu den Auftritten in die Bergdörfer gefahren hat, die Nächte auf dem durchgesessenen Sitz im Iveco Transporter ausgeharrt hat und Rosa nach ihren stundenlangen Auftritten auf Hochzeiten und Dorffesten in den Morgenstunden wieder nach Hause gefahren hat.
Und als seine Rosa mit 21 Jahren dort nicht mehr singen wollte, weil ihr der Hals nach achtstündigen Auftritten anschwoll, weil die Beine schmerzten und sie genug von den Betrunkenen hatte, erinnerte sich Eduardo López an das, was er am besten kann: Hähnchen braten. Denn mit der Hoheit über mehrere Asaderos in Granada hat er selbst seine Familie durchgebracht und es bis zum Haus in Armilla, einem Angestelltenvorort von Granada, gebracht.
Aber dann kam der 3. September 2001, und der Bratenduft verschwindet aus dem Leben von Rosa María López Cortés – einer jungen Frau mit 113 Kilo Gewicht, einer Brille, wie sie selbst Nana Mouskouri nicht mehr tragen würde, und Komplexen, die nicht nur daher rühren. Im Palacio de Congresos von Granada wird sie ausgewählt, an der „Operación Triunfo“ teilzunehmen, einer mehrwöchigen Grand-Prix-Vorentscheidung in Big-Brother-Manier, ausgestrahlt vom staatlichen spanischen Fernsehsender TVE. Mit ihrer enormen Stimme und ihrer Persönlichkeit überzeugt sie auch die Jury in Madrid und schließlich ein Millionenpublikum in der Endrunde Mitte März. Spanien weint und jubelt mit Rosa, als feststeht, dass sie heute Abend in Tallinn Spanien beim Grand Prix vertreten wird.
„Rosa hat eine großartige Stimme mit vielen Höhen und Tiefen, sie hat den Drang zum Aufstieg, und das Publikum kann sich mit ihr identifizieren“, hat ein Mitarbeiter der TV-Produktionsfirma Gestmusic, die die Rechte an Operación Triunfo hält, der spanischen Zeitung El País anvertraut. „Deshalb wurde sie gewählt. Sie hat enormes Potenzial.“ Ihre Stimme ist wirklich gewaltig. In einem früheren Jahrhundert wäre sie damit bei Hofe aufgetreten. Im Zeitalter des Pop begeistert sie aus dem Stand die Massen. Rosa überzeugt jeden davon, dass sie ohne technische Raffinessen den Ton trifft.
Seither sind die Spanier im Rosa-Fieber. Innerhalb von drei Wochen hat ihr Album „Rosa“ eine halbe Million Käufer gefunden. Bis zu ihrem Aufstieg aus dem tristen Kleineleuteviertel von Granada war sie eine Unbekannte. Wer nicht gerade eine Vorliebe für zu laute Feiern in andalusischen Dörfern hat, kannte Rosa nicht und hätte die übergewichtige junge Frau mit dem schüchternen Lächeln auf der Straße kaum wahrgenommen. Seit ihrem Sieg jedoch zeigt TVE jeden Abend nach den Hauptnachrichten einen Liveauftritt von Rosa mit ihrem Grand-Prix-Beitrag. Das Lied „Europe is living a celebration“ ist eingängig, poppig und rasant – ein Ohrwurm, den im Sommer alle Strandbars spielen werden.
„Nun lass mich endlich singen“, drängelt Rosa den Talkmaster in einer der beliebtesten Shows des spanischen Fernsehens. „Bist du so nervös?“ „Ja, darum will ich endlich singen, denn dann bin ich nicht mehr nervös“, zischelt Rosa in einem Dialekt, den das landesweite Fernsehpublikum sonst höchstens in Reportagen über Volksfeste und Brauchtum in Andalusien hört. Sie spricht, wie eben die Arbeiterinnen und Tagelöhner, die Marktfrauen, Kleinkrämer, Kellner und Handwerker in Granada sprechen – die Silben zusammenziehen, einen guten Teil der Konsonanten weglassen, dafür die Vokale strecken und diesen ganzen Wortbrei in einem melodiösen Schwall aus dem Mund fließen lassen. Beim andalusischen Dialekt klingen den wohl artikulierenden Spaniern die Vorurteile im Ohr, die Andalusier außerhalb ihrer Landesgrenzen immer ein wenig schrumpfen lassen. Sie gelten unter den Spaniern als rückständig, folkloristisch, faul, eigensinnig und auch ein bisschen blöd.
Rosa schrumpft nicht im Fernsehstudio von Madrid, sie gewinnt bei ihren Auftritten in der Öffentlichkeit an Selbstbewusstsein. Sie ist natürlich, in ihrer Schüchternheit dennoch unbefangen, und wenn sie dem spanischen Teeniestar Bustamante beständig das Knie tätschelt, ist das eine herzliche Geste andalusischen Überschwangs. Rosa ist so offensichtlich frei von Allüren und Dünkel, dass sie die Menschen in ihrer Umgebung als eine „buenísima persona“ bezeichnen, einen unheimlich guten Menschen.
Ich schäme mich wegen meiner hässlichen Zähne“, sagt Rosa, die deswegen beim Sprechen die Oberlippe über die Zähne zieht und das Kinn senkt, als könne sie so ihren wohl geformten Mund verstecken. „Deswegen spreche ich so schlecht. Aber wenn ich singe, vergesse ich das.“ Wenn sie singt, vergisst sie sogar den andalusischen Zungenschlag und der englische Titel würde sich bei allen Spaniern wie „Iurup iz livin a zelebreison“ anhören.
Rosa hat schon als Kind gesungen. Sie hat einfach angefangen zu singen, und die Nachbarn, Tanten und Verwandten waren begeistert. Ihre Mutter hatte Gänsehaut, wenn Rosa sang. Da war von Anfang an irgendetwas in der Stimme dieses kleinen, pummeligen Mädchens, das die Menschen berührte. Wenn die Nachbarn der Familie López Cortés in dem ärmlichen Stadtteil Zaidin feierten, kam immer irgendjemand rüber in die enge Wohnung und fragte, ob Rosita nicht mal eben bei ihnen singen könnte. Rosa sang. Sie hat bei Taufen gesungen, auf der Straße, im Supermarkt und in der Schule.
Und weil das Geld im Hause López trotz der gebratenen Hähnchen knapp ist und Eduardo López schon früh Großes für seine Tochter vorschwebt, organisiert er kleine bezahlte Auftritte in den Backgroundgruppen von Stars der andalusischen Volksmusik. Aus den Familienfeiern werden Hochzeiten und die Feste in den Dörfern der abgelegenen Bergregion Alpujarras. Im Chor auf einer wackeligen Holzbühne im Gemeindesaal würde Rosa ihre Schüchternheit verlieren, hofft Eduardo. Und Rosa wollte ja auch nichts als singen.
„Ich habe Gott angefleht, mich in einer voll besetzten Stierkampfarena singen zu lassen“, sagt Rosa, die ihre Auftritte vor dem Schlafzimmerspiegel geübt hat. Aber es bleiben acht Jahre lang die Feiern zu Ehren des Dorfpatrons und die Volksfeste in den Tälern der Sierra Nevada. Ihr Publikum liebt sie schon damals. Ein Lokaljournalist aus Granada erzählt, wie eine der Volksmusikgrößen der Chorsängerin Rosa in der Pause einmal die Bühne überließ. Rosa singt wie immer einige Lieder ihrer Lieblingssängerin Whitney Houston. Als der Lokalstar zurück auf die Bühne kommt, grölt das Publikum: „Hau ab – die Dicke soll zurückkommen!“
Rosa bleibt auch nach den Dorfriten schüchtern und übergewichtig. Aber sie tritt allein auf, mit eigenen kleinen Gruppen, und kurz bevor sie ganz mit der Tingelei aufhören will, reist sie noch mit ihrem Bruder Javi als „Roxa Duo“ durch die Provinz. Jedes Wochenende ist sie unterwegs, begleitet von Cousins, Onkeln, Tanten, Freunden und manchmal auch der Mutter, die das Repertoire von dreihundert Liedern nie ermüdet. Vater Eduardo chauffiert die ganze Sippschaft im Transporter.
Er liebt seine Kinder, und deswegen lässt er sie auch später nicht allein fahren, als Rosa und Javi längst einen Führerschein haben könnten. Eduardo liebt seine Tochter so sehr, dass er Rosa nicht allein auf die Straße gehen lässt. Wenn sie ein Konzert besuchen will, fährt er sie und wartet draußen. Wenn sie ein Eis essen möchte, geht einer ihrer Brüder mit ihr in die Eisdiele. Rosa sitzt nie wie die anderen Jugendlichen in lauen Sommernächten auf einer Parkbank und trinkt aus einer kreisenden Bierflasche, sie knutscht nicht auf Mofasitzen und sie raucht nicht – kreisende Zigaretten schon gar nicht. Rosa, Spaniens neuer Superstar, hat von montags bis freitags die Wohnung ihrer Familie geputzt, die Hemden der Brüder gebügelt, Geschirr gewaschen, Hühner ausgenommen und am Wochenende in Gemeinschaftshäusern auf dem Lande gesungen.
Das Leben als Aschenputtel ist vorbei. Seitdem Rosa María López Cortés innerhalb eines halben Jahres zu Rosa wurde, hat sie zwanzig Kilo abgenommen. Statt der großen schwarzen Brille trägt sie ein leichtes Designergestell oder Kontaktlinsen, ein Haarstylist hat ihre Haare geschnitten, jemand hat die billigen Klamotten aussortiert. Sie wohnt immer noch in dem Haus in Barcelona, das die Organisatoren von „Operación Triunfo“ unterhalten und das den klangvollen Namen „Academia de los Artistas“ trägt. Dabei lebt sie schon jetzt mehr aus dem Koffer, da sie durch Spanien tourt und das macht, was sie immer wollte: singen. Rosa gewöhnt sich daran, die zurzeit populärste Person Spaniens zu sein und sehr viel Geld zu verdienen. „Sie schafft es“, sagt Rosas Produzent. „Sie ist volksweise und bauernschlau. Sie wird eine große Karriere machen.“ Und so verrückt wie die Spanier nach Rosa sind, wird die Karriere wohl unabhängig von ihrem Erfolg beim Grand Prix sein. Espain iz livin a zelebreison.
ULRIKE FOKKEN, 37, ist Journalistin in Berlin mit Zweitwohnsitz in der Nähe von Granada. Zurzeit schreibt sie ein Buch über Andalusien. 1998 veröffentlichte sie als Anna Uhlen „Lust auf Sherry“, Mary Hahn Verlag, München, 160 Seiten, 34,77 €
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