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Triumph in Abwesenheit

Der heute 18-jährige Jugendstraftäter „Mehmet“ darf zurück nach Deutschland. Bei der entscheidenden Gerichtsverhandlung in Berlin war er gestern nicht dabei. Angeblich war sein Pass abgelaufen. Stadt München wollte verlorenen Sohn nicht mehr

aus Berlin SEBASTIAN SEDLMAYR

Von seinem größten Sieg erfuhr „Mehmet“ nicht aus erster Hand. Denn zur gestrigen Verhandlung vor dem Berliner Bundesverwaltungsgericht war der heute 18-Jährige nicht erschienen – angeblich, weil sein Pass abgelaufen war. Sein Anwalt wollte sich dazu nicht äußern. Am Ende war es auch egal: Denn nach dem Urteil muss die Münchner Ausländerbehörde „Mehmet“ die Aufenthaltsgenehmigung wieder geben, die sie ihm im Juli 1998 nicht mehr verlängert hatte.

„Mehmet“ hatte bis dahin über 60 Straftaten begangen und wurde zunächst für München, dann für Bayern und schließlich deutschlandweit zum Politikum. Die bayerische Landesregierung wollte den in München geborenen und aufgewachsenen damals 14-Jährigen samt seiner Eltern in deren Herkunftsland Türkei abschieben. Nachdem „Mehmet“ kurz nach seinem 14. Geburtstag wieder einen Raubüberfall begangen hatte, wurde er als erster Minderjähriger allein abgeschoben. Nur die Eltern durften bleiben.

Nach seiner Ankunft in der Türkei arbeitete „Mehmet“ zunächst bei einem Musik-TV-Sender, wurde dort aber nach kurzer Zeit wegen eines angeblichen Diebstahls gefeuert. „Mehmet“ zog in das Industriestädtchen Cerkezköy und schlug sich mit Gelegenheitsjobs durch.

Bei der gestrigen Verhandlung stellte die Verwaltungsdirektorin der Münchner Ausländerbehörde Claudia Vollmer den Wert der Sozialprognose für „Mehmet“ in Frage, die eine sozialtherapeutische Betreuung voraussetze und nur für einen kurzen Zeitraum gelte. „Wenn es um eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung geht, muss auch die Prognose unbefristet positiv sein“, argumentierte Vollmer vor Gericht. Dem hielt „Mehmets“Anwalt Eberth entgegen, „eine Prognose ist nun mal eine Prognose, da gibt es keine Sicherheit“.

Immer wieder wies Vollmer auf die mögliche Gefährdung anderer durch „Mehmet“ hin, der bis zu seiner Abschiebung über 60 Delikte angehäuft hatte. Vollmer argumentierte außerdem, dass der Europäische Assoziationsratsbeschluss (ARB), der für das Urteil des VGH eine maßgebliche Rolle gespielt hatte, kein „beschäftigungsunabhängiges“ Aufenthaltsrecht gewähre. Im Klartext: „Mehmet“ müsse eine Stelle in Deutschland sicher haben, um wieder hier leben zu dürfen. Der 18-Jährige will nach eigenen Angaben in Deutschland wieder die Schule besuchen und anschließend einen Job als Altenpfleger suchen.

Das Gericht betonte, dass auch im ARB der Minderjährigenschutz mit zu berücksichtigen sei. Bei seiner Ausweisung aus Deutschland war „Mehmet“ erst 14 Jahre alt.

Auch nachdem „Mehmet“ kürzlich in einem Interview zugab: „Ich hab’ Scheiße gebaut“, und betont hatte, er wolle nach seiner türkischen Odyssee unbedingt wieder in seine Geburtsstadt München zurückkehren, gab sich der Münchner Kreisverwaltungsreferent Wilfried Blume-Beyerle vor der Urteilsverkündung hart: „Wir sind nicht bereit dazu, ihn wieder aufzunehmen.“ Die Weichen für eine sozialtherapeutische Betreuung seien noch nicht gestellt: „Wir müssen das erst mit dem Jugendamt prüfen“, sagte die Ausländerbehördenchefin Vollmer.

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