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Trendsport Hobby HorsingIm Galopp über jedes Hindernis

Wer Hobby Horsing betreibt, muss mit Häme rechnen. Die Steckenpferd-Reiter:innen lassen sich dadurch nicht von ihrer Leidenschaft abbringen.

Steckenpferd: Kann man günstig kaufen oder sich auch selbst nähen Foto: Carla Benkö/dpa

Hamburg taz | Obwohl draußen die Sonne scheint, ist die Turnhalle im schleswig-holsteinischen Hamberge belebt. Zehn Mädchen im Alter zwischen 8 und 14 Jahren sind an diesem Samstag zum Training erschienen. Während Lotti, Fussel, Spirit und Co. noch am Rand der Halle auf ihren Einsatz warten, wärmen sich ihre Be­sit­ze­r:in­nen gemeinsam mit der 16-jährigen, angehenden Trainerin Vanessa und Trainer Marco auf.

Lotti, Fussel und Spirit tragen kunstvoll frisierte Mähnen und Zaumzeug, doch ihre Körper bestehen lediglich aus einem Holzstock. Sie sind Steckenpferde, das wichtigste Zubehör beim wöchentlichen Hobby-Horsing-Training im 1.800-Einwohner:innen-Dorf.

Hobby Horsing ist vereinfacht gesagt das Reiten mit einem Steckenpferd. Anders als bei herkömmlichen Modellen besteht der Kopf der Sportgeräte aber aus Stoff statt Holz. Der Leistungssport ist in den 2000er Jahren in Finnland entstanden, wo er bis heute verbreitet ist. Wie im klassischen Reitsport gibt es verschiedene Disziplinen. In Hamberge werden Stilspringen, Dressur und Mächtigkeitsspringen trainiert.

An diesem Samstag startet die Gruppe mit Stilspringen. In einem Parcours überwinden die Teil­neh­me­r:in­nen Hindernisse, mit präziser Technik. Besonders elegant soll der Sprung aussehen, und der gesamte Parcours wird im Galopp gemeistert. Bei einem Turnier folgt dann eine Bewertung von 0 bis 10 Punkten.

Hobby Horsing wird zum Trendsport

Anna ist 14 Jahre alt und seit vier Jahren im Hobby-Horsing-Verein. Sie ist damals über ein YouTube-Video auf den Sport aufmerksam geworden. Bei einem Turnier hat sie schon einmal eine Punktzahl von 9,1 erreicht. Auch bei einem Turnier in Finnland durfte sie vor ein paar Wochen ihr Können zeigen.

Das Reiten ohne Pferd wird auch in Deutschland immer beliebter. 2023 wurde der Deutsche Hobby-Horsing-Verband gegründet. Rund 8.000 registrierte Mitglieder gibt es laut Website. Ziel der Grün­de­r:in­nen war es, Hobby Horsing gesellschaftsfähig zu machen, erzählt Katrin Rumker aus der Geschäftsstelle des Verbands.

Denn was für die einen ein geliebtes Hobby ist, stößt bei anderen auf Spott. Das zeigt vor allem ein Blick in die sozialen Netzwerke. Auch wenn die Hobby-Horsing-Videos auf Instagram, TikTok und Co. viel Aufmerksamkeit erhalten, häufen sich in den Kommentarspalten höhnische Reaktionen. „Als Verband versuchen wir, die Eltern darüber aufzuklären, wie gefährlich TikTok ist, und den Kindern vermitteln wir, dass sie die Kommentare nicht persönlich nehmen sollen“, sagt Rumker zur Frage, wie der Verband gegen Hass vorgehe.

Die Kommentare im Internet bleiben auch den meist minderjährigen Sport­le­r:in­nen selbst nicht verborgen. Anna und die 12-jährige Anne Marie verfolgen bekannte Hobby-Horsing-Accounts wie „pferde_max“ oder „kht_mansika“ und sehen dort immer wieder belächelnde oder beleidigende Kommentare, besonders von älteren Männern, sagt Anna. Und nicht nur im Netz, auch in der Schule müssen sich die Sport­le­r:in­nen Sprüche anhören.

Übersprungen: Teilnehmerin bei den Deutschen Meisterschaften 2024 Foto: Boris Roessler/dpa

„Mir wurde eine Zeit lang immer hinterhergewiehert“, erzählt Anne Marie. Dem Spott begegnen die beiden Freundinnen, die sich im Verein kennengelernt haben, abgeklärt. „Natürlich tut das weh, aber man muss sich denken: Die haben halt nichts Besseres zu tun in ihrem Leben“, sind die beiden sich einig und strahlen dabei eine Selbstsicherheit aus.

Nach dem Parcours widmet sich ein Teil der Gruppe der Dressur. Wichtig ist hier die vorgegebene Abfolge der Bewegungen. An diese sogenannte Dressuraufgabe gilt es nun, sich möglich eng zu halten. Aufrecht und konzentriert bewegen sich die Reiterinnen dabei durch das abgesteckte Viereck. Die Übungen entsprechen denen des klassischen Reitsports, nur ohne echtes Pferd. Eine sportliche Alternative also zu einer Sportart, die häufig mangels Tierschutzes in der Kritik steht.

Für die verschiedenen Disziplinen nutzen die Sportlerinnen Steckenpferde mit unterschiedlichen Stocklängen. Ein einfaches Modell gibt es ab 30 Euro. Je realistischer der Pferdekopf ist, desto höher der Preis. Viele nähen sich ihr Hobby Horse sogar selbst, mit viel Liebe zum Detail. „Einige Kinder belegen dafür Nähkurse“, erzählt Rumker. Neben dem Sport würden so auch Kreativität und Fantasie gefördert.

Ob gekauft oder selbstgenäht, das Hobby Horse ist deutlich günstiger als die regelmäßigen Ausgaben für Reitbeteiligung oder gar ein eigenes Pferd. Trainer Marco sieht darin einen Vorteil: Hobby Horsing ermögliche auch Pferdebegeisterten ohne eigenes Tier oder großes Budget den Zugang zum Reitsport.

Ein Ganzkörpertraining

„Manche striegeln und streicheln ihr Hobby Horse wie ein echtes Pferd“, sagt er. Was für Außenstehende vielleicht ungewöhnlich wirkt, ist letztlich Ausdruck derselben Leidenschaft, mit der andere ihr Rennrad pflegen oder dem Auto einen Spitznamen geben. Für manche ist es eben vor allem ein Sportgerät, für andere viel mehr.

Das zeigt sich besonders bei den Jüngsten in der Gruppe, wenn sie mit leuchtenden Augen ihre Horses mit selbstgeflochtener Mähne präsentieren. Fragt man die 14-jährige Anna, was ihr Steckenpferd ihr bedeutet, antwortet sie pragmatisch: „Das ist ein Holzstock mit Stoff dran“, sagt sie schmunzelnd.

Während des Dressurreitens übt Trainerin Vanessa mit den Jüngsten der Gruppe weiter das Stilspringen. „Hobby Horsing wird immer noch oft als Kindersport angesehen“, sagt die 16-Jährige. Dabei sei die sportliche Leistung, die erbracht wird, enorm. Muskeln, Gelenke, Ausdauer und Koordination würden beansprucht. Ein Ganzkörpertraining, das auch die Kicker vom SV Hamberge schon ins Schwitzen gebracht hat.

Die örtliche Männerfußballmannschaft habe zunächst nicht geglaubt, dass es sich um einen anspruchsvollen Sport handle, erinnert sich Trainer Marco. Bis sie selbst einmal beim Training dabei waren und gemerkt haben, wie anstrengend das ist. Einige hätten kaum bis zum Ende durchgehalten. Daraufhin durften die Hobby-Horserinnen aus Hamberge in der Halbzeit des Pokalendspiels auftreten. Als die gegnerische Fußballmannschaft sich über die Gruppe lustig machte, hätten sich die Hamberger geweigert weiterzuspielen, bis eine Entschuldigung gegenüber den Rei­te­r:in­nen ausgesprochen war.

„In vielen Köpfen noch klischeebehaftet“

Dass den Sport­le­r:in­nen Höchstleistungen abverlangt werden, zeigt sich auch einem Laien spätestens beim Mächtigkeitsspringen. Dabei wird mit Anlauf, dem Pferd am Oberschenkel und einer Hand am Stock, ein Hindernis von über einem Meter Höhe überwunden. Mit Leichtigkeit springen Anna und Anne Marie über die anfänglichen Höhen. Bis zu 1,30 Meter überspringen sie an diesem Tag. Anna hat sogar schon einmal die 1,40 Meter geschafft.

Die Disziplin ist die Lieblingsübung der beiden Freundinnen. „Ich kann dabei einfach den Kopf abschalten“, sagt Anne Marie. Das sei es, was sie am Hobby Horsing generell schätze. Anna sagt: „Es macht mir einfach Spaß. Man lernt hier tolle Leute kennen, die einem ans Herz wachsen und die mir viel bedeuten.“ Gerade das, meint sie, helfe dabei, mit Spott besser umzugehen.

Rumker ist optimistisch, dass die Sportart auch gesellschaftlich an Anerkennung gewinnen wird. „Hobby Horsing ist in vielen Köpfen noch stark klischeebehaftet. Aktuell sind deshalb mehr Mädchen und Frauen aktiv, aber es gibt auch immer mehr Jungs und Männer, die sich trauen.“ Es brauche eben Zeit, sagt Rumker – und Menschen, „die im wahrsten Sinne des Wortes Vorreiter sind“.

Wie auch die Sportlerinnen in Hamberge. Das Training ist vorbei, aber viele bleiben. Sie springen noch ein paar Runden, üben weiter oder quatschen am Rand. Einfach, weil sie Lust dazu haben. Und vielleicht auch, weil es nichts Schöneres gibt, als das zu tun, was man liebt und wofür man brennt – ganz egal, was andere darüber denken.

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