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Treffen zwischen Putin und ErdoğanMachtpolitik vom Feinsten

Jürgen Gottschlich
Kommentar von Jürgen Gottschlich

In naher Zukunft wird wohl in Syrien nicht mehr geschossen werden. Die schlechte Nachricht: Frieden kehrt deshalb noch lange nicht ein.

Von der Türkei unterstütze Rebellen in der syrischen Stadt Tal Abjad Foto: Khalil Ashawi/reuters

S echs Stunden lang haben Recep Tayyip Erdoğan und der russische Präsident Wladimir Putin über Syrien gestritten, am Ende hat Erdoğan im Wesentlichen bekommen, was er wollte. Innerhalb von sechs Tagen (genau 150 Stunden, in denen die Waffen schweigen sollen) wird Putin dafür sorgen, dass entlang der türkisch-syrischen Grenze vom Euphrat bis zum Irak eine „Sicherheitszone“ entsteht, aus der sich die bewaffnete kurdische Miliz YPG vollständig zurückziehen muss.

Das Teilstück zwischen Ras al-Ain und Tal Abjad, das die türkische Armee mit ihren syrischen Hilfstruppen in den letzten zwei Wochen erobert hat, bleibt unter direkter Kontrolle der Türkei. Auf den restlichen 330 km westlich und östlich dieser Zone werden syrische Regimetruppen und russisches Militär die Kontrolle übernehmen und dafür sorgen, dass die YPG sich mindestens 30 km von der Grenze zur Türkei entfernt. Der gesamte Grenzstreifen soll zukünftig von russisch-türkischen Patrouillen gemeinsam überwacht werden.

Erdoğan hat damit von Putin das Maximum dessen bekommen, was er erwarten konnte. Er bleibt mit eigenen Truppen in Syrien präsent, auch wenn Assad das auf keinen Fall wollte. Putin hat seinem Protegé in Damaskus klargemacht, dass er diese Kröte schlucken muss. Dafür kann Assad den Rest von Nordsyrien wieder übernehmen.

Genau wie Trump vor ihm hat nun auch Putin die syrischen Kurden fallen gelassen. Nach den Verhandlungen mit Erdoğan sagte er lediglich, die Kurden müssten in dem neuen, multiethnischen Syrien ihren berechtigten Platz bekommen. Putin will sogar die Ansiedlung syrischer Flüchtlinge in der Sicherheitszone unterstützen, damit die Syrer aus der Türkei und anderswo bald wieder „nach Hause“ können.

Kramp-Karrenbauers Vorschlag hat sich erledigt

Das alles ist zynische Machtpolitik vom Feinsten. Sie kann kurzfristig funktionieren, wird aber langfristig weder Syrien Frieden bringen und schon gar nicht die Konflikte mit der kurdischen Minderheit in der Türkei lösen.

Mit dem Rückzug der USA und dem Deal von Sotschi ist die Debatte um eine internationale Sicherheitszone, die die deutsche Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer viel zu spät ins Gespräch gebracht hat, auch gleich mit erledigt. Syrien ist aufgeteilt, die Bundeswehr wird ganz sicher nicht an den Euphrat ziehen. Ende Oktober soll in Genf erstmals das mühsam zusammengestellte Verfassungskomitee tagen, in dem Assad Vertraute und ausgesuchte Oppositionspolitiker eine neue Verfassung für Syrien suchen sollen.

Von den demokratischen Kräften, die die Revolte gegen Assad ausgelöst hatten, ist niemand dabei. Es wird wohl in naher Zukunft in Syrien nicht mehr geschossen werden. Das ist die gute Nachricht. Die schlechte ist: Frieden kehrt deshalb noch lange nicht ein.

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Jürgen Gottschlich
Auslandskorrespondent Türkei
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14 Kommentare

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  • Das ist doch "Machtpolitik vom Gröbsten"!

  • In diesem Fall bin ich froh, dass deutsche Außen- und Militärpolitik nicht funktioniert. Sollen Maas und KK doch weiter die Maulhelden spielen. In Syrien haben wir nichts verloren.

    • @Rolf B.:

      Rolf B.: Das ist auch nicht der Sinn von AKK's Anregung. Sie will, dass die UNO aktiv wird.

  • Kann man doch schön sehen, wie die hübschen Regenbogenrevolutionen, die der Westen militärisch so großzügig unterstützt hat, enden.



    Mag ja sein, daß am Anfang nur ein paar nette Studenten Bürgerrechte einforderten, aber die wurden zu Türöffnern und zur Tarnmaske der finstersten islamistischen Legionäre, die Saudi Arabien kaufen konnte - und der überzogendsten neokolonialen Bemühungen des Westens.

    Das Ergebnis: In Libyen brennt immer noch der Stellvertreterkrieg Italien vs. Frankreich, die Destabilisierungseffekte reichen bis Mali. Erdogan kann uns mit Flüchtlingen erpressen und kündigt mal eben ethnische Säuberungen an, was nach Fischers Jugoslavien-Doktrin eigentlich Umgehend zu Bombardierung Ankaras hätte führen müssen.



    Der Westen hat sich bei all dem bis auf die Knochen blamiert und die großosmanischen Träume Erdogans überhaupt erst ermöglicht. Das Ergebnis wäre noch übler, hätte Putin nicht noch Schlimmeres verhindert.

    Hier wurde jedenfalls von Bush, Obama/H. Clinton und letztendlich Trump ein Konfliktherd geschaffen, der immer noch das Zeug zu einem Weltkriegsauslöser hat und uns für die nächsten 30 Jahre beschäftigen wird.

  • Nein, in Idlib wird noch gestorben.

    Ob die Kurden sich der ethnischen Säuberung in der türkischen "Sicherheitszone" beugen oder die islamistischen "Freiheitskämpfer" nicht doch wieder zum Marsch nach Damaskus aufrufen oder die entflohenen IS-Schergen erneut aus der Wüste kommen - vieles entzieht sich dem Planen "großer" Männer, ganz unabhängig davon wie autokratisch sie regieren. Der Krieg ist noch nicht vorbei.

  • 0G
    06438 (Profil gelöscht)

    ""Genau wie Trump vor ihm hat nun auch Putin die syrischen Kurden fallen gelassen.""



    ==



    Putin hat die Kurden schon seit 2016 fallen gelassen - allerdings unterhalb der allgemeinen Wahrnehmungs-schwelle.

    Im Februar 2016 hatten die Kurden eine Mission in Moskau eröffnet - weil es seit September 2013 offensichtlich war das sich die USA aus Syrien zurück ziehen würden.

    Kurze Zeit später wurde das kurdische Büro von den Russen geschlossen - und zwar deswegen weil Putin damit begonnen hatte, die Verhandlungen über den Friedensprozess der UN in Genf zu entziehen - und mit Astana zu ersetzen.

    Bedingung dafür war: Erdogan würde mit dem Iran daran nur teilnehmen wenn Putin sich gegen die Kurden ausspricht.

    Donald Trump hat die Koalition mit den Kurden in einer schändlchen und nicht mehr nachvollziehbaren Weise verraten - wobei diesem Verrat der Verrat der Russen an den Kurden vorraus ging - das war die Bedingung für Erdogan der UN den Rücken zu kehren - und an Astana teilzunehmen.

    Der kleine Unterschied:



    Russlands Verrat an den Kurden war weniger spektakulär - in der Wirkung allerdings genauso vernichtend wie der von Donald Trump - siehe Afrin, Kobane, Hasakah - und siehe Flucht von bislang tausenden Kurden aus Nordsyrien in den Irak.

    ."".............................die die deutsche Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer viel zu spät ins Gespräch gebracht hat""

    Ja und nein - durch Putins Diktat ist die militärische Macht in Syrien aufgeteilt - und russische Truppen und Erdogans Armee werden Syrien an der Grenze zur Türkei besetzen - AKK hätte sehr viel früher reagieren müssen.

    Nur das Problem der Kurden in der Region - in der Türkei, im Iran, im Nordirak und Syrien ist damit alles andere als erledigt.

    Nun ist Zeit genug für die EU und für die bundesrepublikanische Regierung zum Problem Erdogan und zum Problem Putin im Nahen Osten eine einheitliche und klare Strategie zu entwickeln.

  • Da scheint sich die Bundespressekonferenz wohl zu früh auf das erwartete Hauen und Stechen zwischen Türken, Syrern, Russen und Kurden gefreut zu haben. Hier die Vereinbarung im Wortlaut: www.aljazeera.com/...1022180033274.html



    Trump hat in seiner "unendlichen Weisheit" die US-Truppen abgezogen. Franzosen und Engländer sind ihnen unauffällig gefolgt.



    Und deutsche Soldaten braucht in dieser Gegend nun wirklich niemand.

  • Erdogan hat das bekommen, was Putin ihm im Moment gewährt. Genauso wie Assad ist Erdogan zur Marionette Putins geworden. Putin kontrolliert den Luftraum über Syrien und Erdogan hat sich mit dem Abschuss der russischen Kampfflugzeuge das größte Ei gelegt, das man sich vorstellen kann. Die USA sind raus aus der Sache, Trump überlässt Putin das Feld, aus welchen Gründen auch immer. Die Kurden können nur alles abnicken, sie sind ohne militärische Hilfe von außen nur Kanonenfutter, da darf man sich nichts vormachen. Je weniger Menschen sterben in dieser von Putin organisierten geostrategischen Anpassung, desto besser.

  • Der Bürgerkrieg ist damit zu Ende. Jetzt ist es an der Zeit über den Wiederaufbau und die Heimkehr der Syrer zu sprechen.

    • @DiMa:

      War das ironisch gemeint? Ich glaube nicht, dass der Bürgerkrieg vorbei ist. Die islamistischen, durch den türkischen Staat unterstützten Milizen, die jetzt wieder gepushed wurden, werden nun ihre Ziele weiterverfolgen. Die Frage, was mit dem restlichen Kurdengebiet ist, wurde auch noch nicht geklärt und überdies habe ich das Gefühl, dass der IS oder eine etwaige Nachfolgeorganisation ebenfalls aus den Löchern kriechen wird.



      Der Bürgerkrieg ist wohl leider nicht vorbei, es wurde lediglich ein neues Kapitel eröffnet.

      • @Hampelstielz:

        Ohne jede Unterstützung von Außen ist die kurdische Selbstverwaltung Geschichte. Herr Putin, Herr Erdogan und Herr Assad haben die Angelegenheit abschließend geklärt. Echte Gefechte sind nicht mehr zu erwarten.

        Ob der IS tatsächlich noch mal wieder kommt steht doch in den Sternen. Das sind doch alles Vermutungen. Da auch die demokratischen Rovulutionskräfte geschlagen sind und ohne Partner darstehen ist die Lage militärisch unzweifelhaft ausgetragen. Dies gilt zumindest solange, wie Russland präsent bleibt. Angesichts der strategischen Bedeutung des Landes dürfte das noch recht lange der Fall bleiben.

        Mit dem Ende des Bürgerkrieges ist auch der Schutzgrund für die Gäste mit dem Status der Genver Konvention entfallen. Insoweit gilt es jetzt kurzfristig Verhandlungen mit der neuen und alten Regierung in Syrien aufzunehmen um eine zügige Rückkehr zu ermöglichen.

  • Die gute Nachricht, dass in Syrien demnächst nicht mehr geschossen wird, ist sogar eine sehr gute Nachricht für die zukünftigen potenziellen Toten, die damit doch noch eine Lebenschance haben.



    Ob es Frieden gibt? Mit Assad und Erdogan als Humanisten? Die zwei Menschenfreunde sollen zusammen die Internationale singen?



    Die multiethnische Gesellschaft die Putin fordert kann funktionieren, siehe Russland oder USA. Wenn Assad und Erdogan nur ein bisschen Visionäre sind, dann geben sie den Kurden einen angemessenen Platz und angemessene Selbstbestimmung im Lande Syrien und holen welche mit nach Genf. Damit könnte Frieden einkehren.

    • 0G
      06438 (Profil gelöscht)
      @chinamen:

      Putin blockiert die Vereinten Nationen genauso wie Donald Trump.

      Der Todesstoss gegen Verhandlungen unter dem Dach der UN in Genf ist durch Putins Initiative inhaltlich erfolgt

      1...indem Putin am Massenmörder Assad festhält



      2.. und indem er den Friedensprozess in Syrien zu einer rein russischen Angelegenheit erklärt hat und Verhandlungen nach Astana verlegt hat.

      Das bedeutet:



      Für alles was in Syrien passiert ist Putin verantwortlich - die Amerikaner und Europa haben dort jegliche Einflussmöglichkeit verloren.

      • @06438 (Profil gelöscht):

        ja - es ist das Ende multilateraler Abkommen. Putin, Trump und Erdogan sind schlicht Massenmörder!