Trecker-Demo in Hamburg: Komplexe Welt
Unberechenbare Natur, knickrige Konsumenten, neue Gesetze: Alles das stresst die Landwirte und treibt sie auf die Straße. Müssen wir mit ihnen sein?
A m vergangenen Dienstag gab es in Hamburg eine Trecker-Demo. Trecker sind laut und langsam und sie haben immer etwas Fröhliches an sich. Ich bin selbst ein Jahr lang Trecker gefahren, ich habe damals, ich war 18 Jahre alt, einen Trecker-Schein gemacht, und dann ging es ab, über das Feld, bis einem am Abend aber so richtig der Arsch weh tat.
Der Trecker ist so etwas wie das große, dicke, friedfertige Tier unter den Maschinen. Ohne den Trecker geht nichts, in der Landwirtschaft, er eignet sich sehr gut für eine wirkungsvolle, weil den Verkehr sehr gut blockierende, Demonstration. Ich wünschte, wir hätten alle viel mehr Trecker für Demonstrationen zur Verfügung.
Der Trecker ist aber auch ein sehr gutes Symbol für die Landwirtschaft. Er ist langsam, schwerfällig und er hat aufgrund der großen Räder einen großen Wendekreis. So ist die Landwirtschaft. Anders als die Industrie, produziert sie nicht verlässlich, weil sie letztendlich auf der Natur beruht, und die Natur ist nicht berechenbar. Tiere können krank werden, Felder trocken bleiben, Schädlinge die Pflanzen befallen.
Landwirtschaft ist ein unberechenbares Geschäft, und diese Unberechenbarkeit muss von den Landwirten mit aller Kraft bekämpft werden. Mit Bewässerung, mit Medikamenten, mit Dünger und Schädlingsbekämpfung. Das sind die Hilfsmittel, die es dem Landwirt ermöglichen, einigermaßen Plänen zu folgen, wie es nun mal die Wirtschaft verlangt.
Und eben diese Hilfsmittel werden dem Landwirt auch zunehmend angekreidet. Die Tiere bringen die Medikamente direkt mit sich selbst in die Körper der sie verspeisenden Menschen, Dünger und Schädlingsbekämpfungsmittel landen im Grundwasser und in den Flüssen, in unserem Salat, in unserem Vorgarten, in den Rüsseln der Insekten, die irgendwann davon vielleicht eingehen und dann nicht mehr unsere Blüten bestäuben. Dafür wird der Bauer verantwortlich gemacht, und mit ein paar Gesetzen soll er gebändigt werden, gezügelt, in seinem Bedürfnis, sein Geschäft ein bisschen berechenbarer zu machen und zuverlässige Erträge zu erzielen.
Denn die Natur wird zu allem Übel auch noch unberechenbarer, mit ihren Trockenheiten und Unwettern und dem ganzen Mist. Wenn da jetzt auch noch die Politik dem Bauern das wegnehmen will, was die Wirtschaft, die Konsumenten, von ihm verlangen, dann wird der Bauer langsam sauer.
Es geht um das sogenannte neue Agrarpaket der Bundesregierung („ideologisch anmutende Gesetzespakete“, sagt: Land schafft Verbindung) und die Verschärfung der Düngemittelverordnung. Es geht auch um Ungerechtigkeiten, wenn kleine Höfe mehr als große Höfe gefördert werden, und darum, dass der Bauer mitreden will, wenn es um Gesetze geht, die ihn betreffen und ihn möglicherweise in seiner Produktion von Lebensmitteln behindern oder schädigen.
„Bauern gegen Hetze“. „Nabu fordert Naturschutz. Bauern leben Naturschutz“. Sowas stand auf den Trecker-Transparenten. Möglicherweise gibt es unterschiedliche Vorstellungen von Naturschutz? Dass der Bauer überhaupt Gelder sozusagen geschenkt bekommt, wie ein Almosen, ist … nun ja, was ist das? Ein Fehler im System?
Tja, und dann kann man sagen, die Bauern sind auch schuld an der Zerstörung der Umwelt, und also auch am Klimawandel, der ihre Existenz ebenso bedroht wie unsere. Man kann auch sagen, die Bauern ernähren uns, und wir müssen mit ihnen sein. Man kann sagen, wir selbst sind schuld, wenn wir nicht bereit sind, reale Preise für Lebensmittel zu zahlen, damit die Unwägbarkeiten der Landwirtschaft darüber ausgeglichen werden können. Man kann sagen, manche Bauern (und es gibt ja andere) sind reaktionär, weil sie nicht einsehen, dass sich etwas ändern muss.
Man kann aber auch sagen, die Bauern haben das Recht, sich um ihre Existenzgrundlage zu sorgen und für sich einzustehen. Man kann sagen, wir haben keine Ahnung. All das mag sogar alles gleichermaßen stimmen. Unsere Welt ist nun mal komplex.
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