Trauerfeier für den Altkanzler: Schmidts Abgang
In Hamburg wird Abschied von Altkanzler Helmut Schmidt genommen. Auch Angela Merkel kondoliert ihrem heimlichen Vorbild.
Helmut Schmidt wird zu Grabe getragen, und die deutsche Politikelite würde zugegen sein im Hamburger Michel, wie die Hauptkirche St. Michaelis gewöhnlich genannt wird. Ein Staatsakt. Die Leibesvisitationen an allen Zugängen werden akkurat vollbracht. Die Omnibusse, die noch fahren dürfen, kommen im Schneckentempo voran, was allerdings an den leicht vereisten Straßen liegt.
Im Michel füllt sich das großbäuchige Kirchenschiff, Rita Süssmuth nimmt Platz, später auch die meisten Minister und Ministerinnen aus der Großen Koalition. Ob es erstaunt, dass die Linkspartei, vertreten durch Petra Pau, Bundestagsvizepräsidentin, auch zeitig Platz genommen hat? Dass Dietmar Bartsch zu Gast ist? Dass Katrin Göring-Eckardt allein sitzt und mit fast niemandem plaudert, Anton Hofreiter dafür am meisten mit Gerda Hasselfeldt, Bayer*in wie er, nur von der CSU? Winfried Kretschmann sitzt als baden-württembergischer Ministerpräsident im Block jener Politiker, die momentan den Ton angeben.
Na klar, Gerhard Schröder und Frau Doris Köpf sind zugegen. Und ganz vorn, wenig nur vom mit einer schwarz-rot-goldenen Flagge verhüllten Sarg, die Gäste, auf die Helmut Schmidt, besonderen Wert gelegt hat: Valéry Giscardd’Estaing, französischer Präsident von 1974 bis 1981 und einer der engsten Weggefährten des 96-jährig verstorbenen Kanzlers beim Aufbau der EU und eines Regierungschefforums, das heute die G 20 ist. Auch Henry Kissinger, der einstige US-Außenminister, kam später auf das Gremium zu sprechen.
Nein, all das war ja zu erwarten, sie standen ja auf der Gästeliste, die obersten Repräsentanten der Staatsgewalten, also auch Andreas Voßkuhle, Verfassungsrichter in Karlsruhe. Aber es sah jedenfalls von oben im Michel ziemlich beeindruckend aus, dass die einstigen Fundamentaloppositionellen von den Grünen (so wie auch Claudia Roth) und der Linken nun einen Mann ehren, der viele ihrer Parteimitglieder, vor allem der der Ökopartei, erst zu wütendem Engagement im Politischen geführt, ja getrieben hat.
Irgendwie musste auch dies fantasiert werden: Sie alle, die Regierung und Opposition im Bundestag sind, eint mehr als das, was ab 2017 auch im Reichstag Quartier nehmen könnte – der rechtspopulistische Furor namens AfD.
Die alte Ordnung stimmt nicht mehr
Schmidts Tochter Susanne, seit Langem in London lebend, wird von Bundespräsident Joachim Gauck in die erste Reihe der Kirchenbänke geführt. Angela Merkel wird später die Gäste der Feier begrüßen – und zum Ende, sehr würdig, sehr persönlich, nicht nur die Tochter des Kanzlers, sondern auch dessen letzte Lebensgefährtin, Ruth Loah.
Es ist schon so oft protokolliert worden: Aber in Hamburg musste in den Sechzigern ein Bürgermeister vom Amt zurücktreten, weil er in Scheidung lebte, als Königin Elizabeth II. auf Deutschlandbesuch auch an die Elbe kam. Das war sittlich verfehlt. Nur ein halbes Jahrhundert später stimmt von dieser Ordnung kaum noch etwas.
Jedenfalls: Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz hob Schmidts Rolle als Sozialdemokrat in schwierigen Zeiten hervor, was bei diesem, in Hamburg ziemlich populären Politiker wie Routine klang, aber aus Scholz‘Worten sprang zwischen den Zeilen auch so etwas wie selige Erinnerung durch, dass die SPD mal einen Regierungschef hatte, der bis weit ins bürgerliche Lager hinein Respekt einsammeln konnte.
Henry Kissinger, eine besondere Hassfigur der Linken wegen seiner Politik gegen den sozialistischen Regierungschef Salvador Allende, wegen seines Einflusses zur Verlängerung des US-Krieges in Vietnam, war Helmut Schmidt ein besonderer Freund: An ihm, so der als jüdischer Deutscher im Fränkischen geborene Mann, habe er besonders seinen Mut und seine Visionen geschätzt. Freundschaft im besten Sinne, ohne Lüge, ohne Vorbehalt – und dennoch blieb es bis zum Ende bei der hanseatischen Anredeform: Henry und Helmut – aber per Sie, „nicht im vertrauten Du“.
Die Sache mit den Visionen
Die Passage, in der Kissinger an die Visionen Schmidts erinnerte und auch pries, musste erstaunen, ist Helmut Schmidt doch eine Legende auch deshalb, weil er auf die Frage, wie er es mit politischen Visionen halte, antwortete: Wer Visionen hat, möge zum Arzt gehen. Angela Merkel griff diese Sottise beherzt auf in ihrer Traueransprache, erwähnte aber gleichwohl, dass viele Jahre später Schmidt gefragt wurde, wie es denn zu diesem Satz gekommen sei – und dieser antwortete: Das war eine pampige Antwort auf eine blödsinnige Frage.
Als Merkel dies erwähnte, erhob sich das einzige Mal so etwas wie ein erleichterndes Gelächter im Michel. Woher die Bedrücktheit? Die Kanzlerin sagte ja gleich am Anfang ihrer Zeilen, dass ein Tod in diesem Alter ja nicht wirklich, so sinngemäß, vor der Zeit sei – und insofern keine Überraschung. Und doch: Auch sie sagte, für ihre Verhältnisse klang das fast herzlich, dass er, dieser Kanzler, dessen Regentschaft ja auch mehr als eine Generation zurückliegt, von ihr vermisst werde.
Merkel sprach nicht über sich, doch jede Rede über andere spiegelt wesentlich das, was einen selbst bewegt. Die Kanzlerin lobte an Schmidt genau das, was man ihr vermutlich auch eines Tages nachsagen wird: Entscheidungen getroffen zu haben gegen den Mainstream ihrer Umgebung. Verantwortung zu übernehmen für das, was einem langfristig wichtig ist. Schmidt habe, sie betonte dies im Hinblick auf den Nato-Nachrüstungsbeschluss der frühen achtziger Jahre, ja recht gehabt: Durch die Ankündigung der Nachrüstung die Sowjetunion zu Abrüstungsgesprächen zwingen – was die SPD in jenen Jahren nicht wahrhaben wollte.
Merkel ist beeindruckt
Man konnte sogar interpretieren: Das politische Kompliment auf einen ihrer Amtsvorgänger ließ dessen Nachfolger, Merkels Parteifreund Helmut Kohl, plötzlich wie einen Erbschleicher Schmidts aussehen. Selbstverständlich: Das würde Merkel bestreiten. Doch sie war schon ziemlich explizit. Man sah aus dem oberen Teil des Kirchenschiffs: Sie überflog ihre Rede kursorisch sehr, sehr oft, ehe sie zum Pult unter vielen Engelsfiguren schritt. Flocht ein, wie sehr Helmut Schmidt sie als Kind und junge Frau beeindruckt habe, erwähnte den Terror der siebziger Jahre – und wie sehr Helmut Schmidt diesem trotzte. Die Kanzlerin, ihre Umgebung wird dies viel besser genießen können, wirkte auch bei diesem Auftritt absolut unwillig, irgendetwas von ihrem politischen Kurs in Sachen Flüchtlinge zurückzunehmen.
Leider, so ist das bei Trauerfeiern, sind Sympathie- oder Antipathiebekundungen seismografisch nicht zu ermitteln – ob Wolfgang Schäuble die Eloge Merkels auf Schmidt als Selbstbehauptung der Kanzlerin und sie goutierte: Man sah es nicht, er guckte ohnehin die ganze Zeit wie innehaltend zu Boden.
Als der Sarg von acht Soldaten des Wachbataillons nach draußen getragen wurde, brandete kurz Beifall von Passanten hinter den Absperrungen auf. Bundeswehrangehörige spielten zum militärischen Ehrengeleit auf, „Jesu, meine Zuversicht“ und den Trauermarsch aus Händels Oratorium „Saul“.
Das Trauergeleit zog sich bis in den Abend hin, langsam den Sarg zum Ohlsdorfer Friedhof transportierend. Tausende Menschen standen Spalier. Im Rathaus, zum nicht öffentlichen Senatsempfang, kamen 1.000 Gäste zusammen.
Museum mit Mentholzigaretten
Der Hamburger Stadtteil Langenhorn, durch Schmidt auf die weltpolitische Landkarte gebracht, muss nicht bangen, zu einem Nest am Speckgürtel der Stadt zu werden. Aus dem Haus von Hannelore und Helmut Schmidt wird ein Museum und eine Forschungsstelle. Die Kosten wird die nach dem Paar benannte Stiftung tragen. Nicht nur gut möglich, sondern höchstwahrscheinlich, dass die mentholverstärkten Zigaretten – die letzten von ihm gebunkerten vor dem von ihm befürchteten generellen Verbot des Rauchens – zu einem sehr beliebten Ausstellungsstück werden.
Ob Helmut Schmidt das alles gefallen hätte? Woher soll irgendjemand das wissen. Was er zu schwierigen Problemlagen im Politischen gesagt hätte, spekulierte Merkel, ließe sich vielleicht erörtern, aber das wolle sie nicht. Jeder müsse selbst einen Weg finden, den er für richtig hält. Und Verantwortung übernehmen. Dies darf dann doch spekuliert werden: Sie ist bereit, selbst auf Kosten ihrer Partei dieses Ding namens Verantwortung zu übernehmen. Wessen Erbschaft sie damit anzutreten gedenkt, darüber ließ sie wirklich gar keinen Zweifel.
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Anmerkung des Autors: Eine Nachbemerkung jetzt am 25. November, zwei Tage nach den Trauerfeierlichkeiten für Helmut Schmidt in Hamburg. Leserin Renate Vetter aus Hamburg weist mich darauf hin, dass es keine acht Soldaten des Wachbataillons waren, die Helmut Schmidt in seinem Sarg aus dem Hamburger Michel hinausgetragen haben. Ihr Brief enthält das unbedingt Richtige: Tatsächlich habe ich ja gesehen, dass es nicht acht Soldaten waren – und doch beim Schreiben meines Berichts dem Zeugnis meiner eigenen Augen nicht getraut. Diese übernahmen erst außerhalb des Kirchenschiffs den Sarg, um den früheren Verteidigungsminister und Kanzler mit einem Ehrengeleit zu würdigen.
Schmidt, der seine Trauerfeier lange vor seinem Tod plante, wollte ausdrücklich keine Vermischung der kirchlichen Sphäre mit der demokratisch-militärischen. Im Übrigen hatte ich auch in meiner Reportage nicht erwähnt, dass der Staatsakt zwei Teile hatte: einen traditionellen christlichen und einen staatlichen. Auffällig hätte mir sein müssen, dass das Religiöse, der Atmosphäre im Michel zum Trotz, bei dieser Trauerfeier nicht im Vordergrund stand. In den ersten Reihen saßen Politiker*innen, Freund*innen und Weggefährt*innen – dies ist für mich, im Nachhinein, ein Zeichen, dass Helmut Schmidt die Trennung von Staat und Glaubenssphäre wichtig war. Dem Religiösen kein Vorzug, so Schmidt, der glaubte, nach seinem Tod steige er nicht in den Himmel, sondern werde zu Atomen und Molekülen.
Ebenso zutreffend war der Brief von Bärbel Haude aus Hamburg. Sie korrigierte mich wegen einer Bemerkung Angela Merkels in ihrer Ansprache.
Die Kanzlerin erwähnte eine Bemerkung Schmidts zu seiner Sottise, er empfehle bei der Frage nach „Visionen“ den Besuch eines Arztes, nicht jedoch die politische Vertiefung. Schmidt habe seine Antwort als „pampig“ bezeichnet, die Frage des Journalisten als „dusselig“. Ja, so hat sie es gesagt – und sprach das Wort „dusselig“ (für Nichthamburger: ein Wort für „bescheuert“, „blöde“, „bekloppt“ o. Ä.) seltsam unhamburgisch, mit weichem, nicht scharfem „S“ aus. Daraufhin: Gekicher in den Kirchenbänken des Publikums. Danke für die freundliche Korrektur.
In diesem Zusammenhang: Es war ein klarer, sehr kalter, sonniger Tag in Hamburg. In der Innenstadt viel metropoles Gewusel, sehr viele Menschen, die nicht ersichtlich trauerten. Ich hätte schreiben können: Das Leben ging und geht weiter.
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