Trauer in Washington: Edward Kennedy ist tot
Mit Edward Kennedy verlieren die Demokraten ihren Grandseigneur. Er war der letzte bedeutende Spross einer Dynastie, die es verstand, die Gründungsmythen Amerikas zu verbinden. Ein Nachruf.
Edward Kennedy ist tot. Mit seinem Leben endet auch die von Glanz überstrahlte und von Tragik umwitterte Ära seiner Familie. Das wird in allen Nachrufen weltweit zu lesen sein, und es ist wahr. Es hätte selbst dann gestimmt, wenn der Senator aus Massachusetts seine letzten Tage und Jahre als alkoholkranker, erfolgloser Schürzenjäger beschlossen hätte, von der Öffentlichkeit verachtet oder bestenfalls bemitleidet - ein Schicksal, das lange fast unausweichlich zu sein schien. Nicht einmal als Gescheiterter hätte der Bruder von John F. und Robert Kennedy der Bürde entrinnen können, letzter Hoffnungsträger der einst mächtigsten Dynastie im mächtigsten Staat der Erde zu sein.
Im Hinblick auf seine Familie und deren Bedeutung geht mit dem Tod von Edward Kennedy vielleicht auch das 20. Jahrhundert erst jetzt endgültig zu Ende. Aber er war eben kein Gescheiterter. Und deshalb ist nicht nur das Ende eines Zeitalters zu notieren, sondern auch der Verlust eines liberalen Demokraten zu beklagen, der so konsequent wie kein anderer einflussreicher US-Politiker für Menschenrechte und für die Benachteiligten der Gesellschaft eingetreten ist.
"Es ist ein Nachteil meiner Position, dass ich ständig mit zwei Brüdern verglichen werde, die überragende Fähigkeiten besitzen." Als Edward Kennedy diesen Satz sagte, der jahrzehntelang die Überschrift über sein Leben zu sein schien, war er noch keine 30 Jahre alt - also nicht einmal alt genug, um die Nachfolge seines Bruders John im Senat anzutreten, der inzwischen im Weißen Haus residierte. Damit er das überhaupt tun konnte, übte ein Freund der Familie zwei Jahre lang als Statthalter für "Teddy" das Amt aus. Erst dann konnte das jüngste Kind des ehrgeizigen Joseph Kennedy in eigener Sache Wahlkampf machen. Erfolgreich. Am 7. November 1962 wurde Edward Kennedy als Senator vereidigt. Er sollte das Amt bis zu seinem Tod behalten. Länger als er haben in der gesamten Geschichte der USA überhaupt nur zwei Senatoren gedient.
Am 22. November 1963 wurde John F. Kennedy erschossen. Am 5. Juni 1968 wurde Bruder Robert, mit dem Edward ein besonders enges Verhältnis verband, von einem Attentäter tödlich verletzt. Nur Stunden nachdem er im Präsidentschaftswahlkampf wichtige Vorwahlen in Kalifornien gewonnen hatte. Kaum jemand hatte daran gezweifelt, dass Robert Kennedy der nächste Präsident der Vereinigten Staaten sein würde. Wenig erstaunlich also, dass von Stund an der Druck auf Edward lastete, die Nachfolge seiner unglücklichen Brüder anzutreten. Zumal die Öffentlichkeit in den USA die Familie Kennedy nicht nur oder nicht einmal überwiegend ihrer politischen Linie wegen verehrte. Sondern wegen eines - nur auf den ersten Blick seltsam erscheinenden - Widerspruchs: Ausgerechnet in dem Land, dessen Gründungsmythos in allgemeiner Chancengleichheit besteht, gibt es zugleich eine tiefe Sehnsucht nach einer Geburtselite, vergleichbar der Bedeutung der Adelshäuser in Europa.
Selbstverständlich hat sich schon bald nach Gründung der Vereinigten Staaten eine solche Elite konstituiert. Sie konstituiert sich in allen Gesellschaften. Nachfahren der Passagiere des Pionierschiffs "Mayflower" bilden die republikanische Aristokratie der USA. An der Ostküste hat sich eine eigene Sprachfärbung der Oberschicht herausgebildet. Aber das war und ist ein diskreter Adel. John F. Kennedy hat es vermocht, beide Mythen miteinander zu versöhnen. Katholik - also Abkömmling unterprivilegierter irischer Einwanderer - und reiche Ostküste: das war unschlagbar.
Camelot. Die legendäre Burg von König Artus war Namensgeberin für das "Reich" von John F. Kennedy und seiner Frau Jackie, die bezeichnenderweise aus Europa stammte. Aber der König war tot, auch sein möglicher Nachfolger. Übrig geblieben war allein der jüngste Sohn. Edward. Das ist der Stoff, aus dem Märchen sind. Aber wie soll es jemand in der Realität unter solchen Umständen schaffen, aus dem Schatten der Familie zu treten und ein eigenes, selbstbestimmtes Leben zu führen? Edward Kennedy schaffte es - zunächst - nicht.
Am 19. Juli 1969 stürzte sein Auto auf der Insel Chappaquiddick ins Wasser. Die 28-jährige Beifahrerin Mary Jo Kopechne starb. Der Fahrer, Edward Kennedy, hatte den Unfall damals nicht den Behörden gemeldet. Er tauchte erst viele Stunden später auf. Was ist damals wirklich geschehen? Bis heute sind die genauen Umstände des Unfalls rätselhaft. Kennedy wurde wegen Fahrerflucht zu Gefängnis auf Bewährung verurteilt. Schlimmer für ihn: Der Skandal sollte ihn sein Leben lang verfolgen.
An persönlichen Skandalen und Tragödien war sein Leben ohnehin reich. Er litt unter chronischen Rückenschmerzen, seit er 1964 nur knapp einen Flugzeugabsturz überlebt hatte. 1973 musste seinem Sohn Edward ein Bein amputiert werden. Ehefrau Joan war dem familiären und öffentlichen Druck offenbar nicht gewachsen. Sie wurde zur Alkoholikerin. 1981 ließen sie sich scheiden.
Auch Edward Kennedy hatte Alkoholprobleme, machte mehr mit Frauengeschichten als mit seiner Politik von sich reden und schien lange nicht ganz sicher zu sein, ob er der Familientradition folgen und sich um das Amt der Präsidenten bewerben sollte. Mehrfach unternahm er zögernde Schritte auf dem Weg ins Weiße Haus. Und schreckte dann doch davor zurück. Was er nie besaß: jene siegesgewisse Zuversicht, die gerade eine Bevölkerung liebt, deren Elite von Pionieren abstammt.
Trotzdem - oder gerade deshalb? - entwickelte er fast unmerklich gerade in dieser Phase der Selbstzweifel und der öffentlichen Verachtung eigenes Profil. Schon früh kämpfte Kennedy für ein Ende des Vietnamkrieges. Im Senat setzte er sich für den besitzlosen Teil der Bevölkerung ein. Eine allgemeine Gesundheitsversorgung war bis zum Schluss eines seiner Hauptanliegen. Sein vielleicht größter Erfolg: dass es ihm 1987 gelang, die Ernennung des konservativen Robert Bork zum Obersten Richter auf Lebenszeit während der Reagan-Präsidentschaft zu verhindern.
"Robert Borks Amerika ist ein Land, in dem Frauen zu Abtreibungen im Hinterhof gezwungen würden, in dem Schwarze in abgetrennten Abteilen säßen, in dem die Polizei die Haustüren von Bürgern in mitternächtlichen Razzien aufbrechen dürfte, in dem Schulkinder nichts über Evolution lernen dürften und in dem Autoren und Künstler so zensiert werden dürften, wie es der Regierung gerade gefällt." Bork fiel durch. Und Edward Kennedy hatte sein Glaubensbekenntnis abgegeben.
Sein eigener Ruf festige sich, als er akzeptiert hatte, dass er niemals mehr als ein Senator sein würde. Und als er genau deshalb offenbar beschlossen hatte, ein sehr guter Senator zu sein - und das beschützende, sorgende Oberhaupt einer Familie, die von besonders vielen Unglücksfällen betroffen war.
Ja, es gibt auch nach dem Tod von Edward Kennedy noch Angehörige der Familie, die politisch aktiv sind: Arnold Schwarzenegger, der mit einer Nichte der Kennedy-Brüder verheiratet ist. Aber der ist Republikaner. Caroline, die Tochter des ermordeten Präsidentin mag nicht. Einer der Söhne von Robert Kennedy mag noch eine Zukunft vor sich haben. Aber es wird nie mehr dasselbe sein.
Camelot ist zerfallen. Edward Kennedy starb, nur Tage nach seiner Schwester Eunice, an einem Hirntumor. Aber er hat die Fackel übergeben. Auf dem Nominierungsparteitag für Barack Obama im August 2008 erklärte er: "Die Hoffnung erwacht erneut. Und der Traum lebt weiter."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Stellenabbau bei Thyssenkrupp
Kommen jetzt die stahlharten Zeiten?