Trash-Spezialist über Leinwand-Exzentriker: „Man traut seinen Augen nicht“
Der Bremer Filmjournalist Christian Keßler hat seine Liebe für absonderliche Filme in dem Buch „Wurmparade auf dem Zombiehof“ festgehalten.
taz: Herr Keßler, in den vergangenen Jahren hat der filmische Trash eine Renaissance erfahren. Auf dem DVD-Markt und zum Teil sogar im Kino finden sich unzählige Produktionen wie „Sharktopus“ oder „Zombiber“, in denen mutierte Monster und bestürzend schlechte Special Effects die Hauptrolle spielen. Gucken Sie so etwas gerne?
Christian Keßler: Ich bin kein großer Fan dieser Filme. So neu ist das auch gar nicht. Begonnen hat das 1978 mit „Angriff der Killertomaten“. Von da an wurden immer wieder Filme absichtlich als Trashkino konzipiert – absichtlich schräg, absichtlich kompromittiert und immer ironisch. Das ist sehr fad. Ich finde es gut, wenn Filme direkt zu mir sprechen.
Was wäre denn gelungener Trash?
Mich interessiert etwa eine Figur wie Ed Wood. Dieser Mensch hat in den 50er-Jahren mit seinem Herzblut eine ganz eigene Vision des Filmemachens auf die Leinwand gebracht. Das sah dann unterm Strich sehr krumm aus und später gab es auch einige humorlose, aufgeblasene Nullen, die den armen Mann höhnisch als „schlechtesten Filmemacher aller Zeiten“ tituliert haben. Das ist schlicht und ergreifend unwahr. Diese Filme sind sehr anrührend. Ed Wood ist eine einzigartige Figur und diese Einzigartigkeit gefällt mir. Wer bitteschön hätte 1952 daran gedacht, so etwas wie „Glen or Glenda“ zu drehen – einen frühen Film über Transvestitismus?
Es geht also um künstlerischen Eigensinn, nicht um das angeblich schlecht Gemachte?
Wenn mich ein Film mit seiner eigentümlichen Machart wirklich überrascht, hat er bei mir sehr gute Karten. Ich rede zwar vom Trashkino, habe mit dem Begriff aber große Schwierigkeiten. Trash ist nun mal Müll und ich möchte keinen Kot polieren. Eigentlich ziehe ich den Begriff des „absonderlichen Kinos“ vor. Damit meine ich Filme, die den Zuschauer mit einer Sicht auf die Welt konfrontieren, die mit der eigenen überhaupt nichts zu tun hat. In meinem Buch spielen auch Regisseure wie John Waters eine Rolle, die eher aus dem Bereich des Experimental- und Underground-Kinos kommen und versucht haben, eine absichtsvoll antibürgerliche Vision zu entwickeln.
Die Namen „Ed Wood“ und „John Waters“ sind noch relativ geläufig. Der 1977 gedrehte Film „Die Wurmfresser“, mit dem Ihr Buch beginnt, ist da schon deutlich obskurer …
Bei „Die Wurmfresser“ hat man es mit einem typischen 70er-Jahre-New-Hollywood-Produkt zu tun, das allerdings grauenvoll mutiert ist: ein durch und durch ökologisch ambitionierter Film mit reichlich Hippie-Zierrat. Nur dass er eben von Bauern handelt, die Würmer fressen. Im Grunde genommen ist das eine sympathische Komödie, gemacht von jemand, der scheinbar vom Mars stammt. So wie der Regisseur Herb Robins den Film gedreht hat, hätte ihn kein anderer Mensch auf Gottes grüner Erde gemacht.
Es geht in Ihrem Buch aber nicht nur lustig zu. Sie empfehlen „Die grünen Teufel“, einen Propagandafilm aus der Zeit des Vietnamkriegs mit John Wayne.
Ich hab schon des Öfteren mit Leuten darüber diskutiert, wie ich Filme goutieren kann, die ich politisch rundum ablehne. „Die grünen Teufel“ ist in seiner Eindimensionalität im Grunde nicht zu fassen, eine Gulaschkanone von ganz eigenen Gnaden und der wahrscheinlich einzige Film, der eindeutig für den Vietnamkrieg votiert. Da kommt man aus dem Staunen nicht mehr heraus, das ist wie eine Abenteuerreise in ein ultrakonservatives Märchenland.
46, freier Filmjournalist, u. a. für Splatting Image. Veröffentlichte zuletzt „Die läufige Leinwand: Der amerikanische Hardcorefilm von 1970 bis 1985“ und „Wurmparade auf dem Zombiehof. Vierzig Gründe, den Trashfilm zu lieben“.
Dem Film fehlt ein Filter?
Ja, und das ist doch interessant. Diese Direktheit findet man im Trashfilm häufig. In „Welcome Home, Brother Charles“ erwürgt der schwarze Held aus Rache Polizisten und korrupte Staatsanwälte – mit seinem Pimmel. Man traut seinen Augen nicht. Das ist als knallige Metapher für den afroamerikanischen Befreiungskampf sehr ungewöhnlich, um es vorsichtig zu formulieren. Bei heutigen Vorführungen gibt es in solchen Fällen schon mal Tumulte, aber fröhlicher Art.
„Absonderlich“ schließt für Sie auch Pornografisches ein. Worin bestehen die ästhetischen Qualitäten eines Films wie „Django Nudo und die lüsternen Mädchen von Porno Hill“?
Das ist der einzige mir bekannte Fall, in dem das Synchronstudio einen Film absichtsvoll sabotiert hat. Da wurde aus einem sehr, sehr schlechten Film ein Happening gemacht. Langweilige Dialogszenen werden abgewürgt, die Sexszenen, die ursprünglich mal zur Animation einsamer Männer gedacht waren, werden mit Quietschgeräuschen und albernem Gekicher unterlegt, irgendwann fangen die Synchronsprecher an, das Treiben zu kommentieren – Film, Zuschauer und Kritik in einem einzigen Gesamtkunstwerk vereint.
Bis Mitte der 80er-Jahre liefen solche Produktionen im Kino. Gibt es heute noch Orte, an denen seltsame Filme gezeigt werden?
Einige gibt es noch, ja. Das Werkstattkino in München beispielsweise oder die Reihe „Weird Experience“ im Bremer City 46. Auch bei meinen Vorträgen kann ich den Samen des Bösen unter die unschuldige Menschheit streuen. Da habe ich ein durchaus missionarisches Interesse. Es gibt einfach zu viele Leute, die diese Filme nur ironisch sehen. Aber es gibt auch Zuschauer, die da eine ganz seltene Form von Schönheit erkennen.
Lichtbildgestützter Vortrag: Freitag, 28. 11., 21 Uhr, Kulturzentrum Lagerhaus, Bremen
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