Trans*-Experte über Sprache: „Denken im Genitalraster“
Medien berichten oft falsch oder pathologisierend über Trans*, aktuell bei Caitlyn Jenner. Leo Yannick Wild erklärt, wie man es besser macht.
Was ist Ihnen bei der Berichterstattung über Caitlyn Jenners Geschlechtsangleichung aufgefallen?
Leo Yannick Wild: Der „Klassiker“ ist die Mär von der „Geschlechtsumwandlung“ oder „Verwandlung“, etwa in der Gala: als sei Harry Potter im Spiel, der jemanden quasi verzaubert. „Umwandeln“ hieße, da ist eine Art „Betrug“ im Gange. Das suggerieren auch Medien, die schreiben, „Jenner posiert als Frau“ oder „wird zur Frau“. Ganz übel ist die Rede davon, jemand sei oder sei noch keine „richtige“ Frau, oder im Fall von trans* Männern „kein richtiger“ Mann. Was ist da der Maßstab? Das ist Denken im Genitalraster, und in dem Raster möchte sicher niemand das eigene Geschlecht bemessen lassen.
Wie wäre es denn besser?
Wie über Jenners Vergangenheit gesprochen wird, ist ebenfalls von der falschen Idee geprägt, das „Hebammengeschlecht“ sei das „wahre“ Geschlecht. Nur selten ist die Rede von „ihr“ statt „ihm“, dabei wäre ein Verzicht auf die falsche Fremdzuschreibung als „er“ oder „Mann“ auch auf wenigen Zeilen ganz einfach: „Vor ihrer Geschlechtsangleichung war sie im Zehnkampf erfolgreich.“
„Geschlechtsangleichung“ wäre also das bessere Wort?
Das Wort „Geschlechtsangleichung“ bringt viel kenntnisreicher zum Ausdruck, dass die Hebamme oder der Geburtshelfer damals daneben lag, die Familie und das soziale Umfeld auch. Erst als Kind, jugendlicher oder erwachsener Mensch kann die Person anderen sichtbar machen, was ihr nach innen schon lange klar ist.
Ist Caitlyn Jenner nun eigentlich transsexuell oder transgender? Was ist der Unterschied zwischen diesen beiden Bezeichnungen?
Wie sich ein Mensch hinsichtlich der eigenen Trans*-Thematik beschreibt, ist individuell, und welche Beschreibung Caitlyn Jenner für sich wählt, ist in ihrem Ermessen. Selbstbeschreibungen von Menschen aus dem trans* Spektrum sind vielfältiger, als es eine zweigeschlechtlich orientierte Gesellschaft auf den ersten Blick erfasst. Im anglophonen Raum wird „Transgender“ häufig als Oberbegriff für eine Vielzahl von Selbstbeschreibungen verwendet, im deutschsprachigen Raum wird er eher im engeren Sinn verwendet als Selbst- oder Fremdbezeichnung von Menschen, die sich nicht oder nicht ausschließlich mit dem „Hebammengeschlecht“ identifizieren.
Leo Yannick Wild ist Journalist und aktiv beim Verein TransInterQueer e.V. Er veröffentlichte mit dem Verein 2011 die Broschüre "Trans* in den Medien" (
), die über Sprache über Trans*-Themen informiert. Weitere Informationen und Begriffsklärungen zu dem Thema gibt es auch in der Broschüre "Trans*Inter*Queer Abc" ().Und „transsexuell“?
„Transsexuell“ führt wegen des „-sexuell“ auf eine falsche Spur, ist aber der in Recht und Medizin übliche Begriff und wird zum Beispiel von Menschen genutzt, die sich als eindeutig dem „Gegengeschlecht“ angehörend erleben. Aber gleich ob diese oder andere Selbstbeschreibungen wie transident, trans* oder weder*noch: trans* Menschen sind mit fremdbestimmendem Transsexuellengesetz und psychopathologisierenden medizinischen Diagnosen konfrontiert, das ist oft eine gemeinsame Erfahrung.
Mit dem Verein TransInterQueer haben Sie 2011 in der Broschüre „Trans* in den Medien“ beschrieben, wie Journalist_innen angemessen über Trans* schreiben. Hat sich das seitdem gebessert?
TransInterQueer e.V. erhält als Zentrum für trans* und inter* Themen ständig Medienanfragen, aber inzwischen seltener solche wie: „Wir brauchen bis morgen Früh eine Frau, die zum Mann werden will.“ Es melden sich häufiger Journalist_innen, die sich mit der Broschüre schon im Vorfeld befasst haben. Was problematisch bleibt: Die meisten Journalist_innen glauben, zu trans* Themen „einfach mal“ schreiben zu können, Vorkenntnisse hin, angemessenes Wording her. Wer aber würde „einfach mal“ über den G7-Gipfel oder die Fifa-Skandale schreiben?
Welche Bedeutung haben Caitlyn Jenner und ihr öffentlicher Auftritt in der Vanity Fair für die deutsche Trans*-Community?
Nach wie vor gibt es im deutschsprachigen Raum wenige öffentlich sichtbare Rollenmodelle. Selbst wenn viele Berichte über sie verunglückt sind, bietet ihre Person für trans* Menschen die Möglichkeit, sich zu ihr zu verhalten, sich zu solidarisieren, oder zum Beispiel die eigene Biographie in Vergleich zu setzen. Da draußen sind sicher viele trans* Menschen, vom Teenager bis zum Mensch über 50, die allein durch die Sichtbarkeit von Jenner einen nächsten Anker haben, Trans* zu thematisieren.
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