Trans Day of Rememberance: Kämpfen für die Lebenden
Am Trans Day of Rememberance wird Opfern trans*feindlicher Gewalt gedacht. Gleichzeitig ist er ein Kampftag, denn Trans*feindlichkeit steigt.
Am 20. November, dem Trans Day of Remembrance, wird jährlich allen trans*, inter und non-binären Personen (TIN*) gedacht, die aufgrund von Trans*feindlichkeit durch Gewalt und Diskriminierung sterben. Der internationale Gedenktag geht zurück auf den Mord an Rita Hester, einer Transfrau, die 1998 im US-Staat Massachusetts erstochen wurde.
Doch der Gedenktag ist nicht nur historisch geprägt. „Es ist ein Erinnern, aber vor allem ein Kampf für die noch Lebenden“, sagt Belissima. Weltweit wurden laut „Trans Murder Monitoring 2024“ allein im letzten Jahr 350 trans und genderdiverse Menschen ermordet. Deutschlandweit steigen queerfeindliche Hasskriminalität und Gewalttaten gegen trans* Personen seit Jahren kontinuierlich.
Auch die Berliner Polizei registriert seit Jahren einen stetigen Anstieg von LSBTIQ*-feindlichen Straftaten. Verzeichnete die Polizei 2014 noch 82 Fälle, waren es 2023 690. Laut Berliner Monitoring von trans*- und homophober Gewalt sind trans* Personen „in nochmals erhöhtem Maße von Gewalt betroffen“. Dem Bericht nach waren zwischen 2017 und 2022 zwei Drittel aller trans* Menschen von Diskriminierung betroffen.
Um Sichtbarkeit für die trans* Community zu schaffen, zogen vorigen Samstag Demonstrant*innen unter dem Motto „Transfeindlichkeit tötet – kämpfen statt sterben“ durch Friedrichshain-Kreuzberg. Aufgerufen hatte die Initiative Queermany Berlin. „Als marginalisierte Gruppe sind wir besonders stark betroffen von sozialen und wirtschaftlichen Missständen, wie Wohnungslosigkeit, Diskriminierung am Arbeitsplatz oder Einsamkeit im Privatleben“, sagte Penelope Frank von Queermany Berlin der taz.
Langanhaltende psychische Folgen für trans* Personen
Die Diskriminierung und soziale Ausgrenzung sowie physische Übergriffe haben schwerwiegende Folgen für Betroffene. Studien zeigen, dass 40 Prozent aller trans* Personen Suizidgedanken haben oder von selbst verletzendem Verhalten berichten – bis zu 7,7-mal höher als der Bevölkerungsdurchschnitt.
„Wir bekommen schräge Blicke auf der Straße, im Bus, bei der Arbeit, auf den Toiletten oder in der Familie.“ Männer seien häufig aggressiv, in der U-Bahn sei ihr vor die Füße gespuckt worden, berichtet Frank. „Aber ich habe gelernt, nicht zu reagieren. Wenn man den Mund aufmacht, passiert noch mehr.“ Sie und ihre Trans*-Freundinnen hätten häufig Angst, als Trans*personen erkannt zu werden, denn das erhöhe das Risiko für einen Angriff. Was ihr zunehmend Sorge bereitet: „Der Rechtsruck und Populismus verstärkt Trans*feindlichkeit.“ Im Sommer hatten bundesweit Neonazi-Gruppen fast 30 CSD-Demos angegriffen.
In Berlin sei die Akzeptanz für trans* Personen in einigen Bezirken höher als in anderen. „In Randbezirken kriegt man ständig irritierende Blicke und wird angefeindet“, berichtet Frank. Aber auch um Bezirke wie Neukölln machten einige aus ihrer Community einen großen Bogen. Auch Frank, die in Gropiusstadt wohnt, sagt: „Ich finde Neukölln an manchen Gegenden, wie dem Hermannplatz, als Transfrau sehr unangenehm. Abends gehe ich nicht mehr raus, das ist zu gefährlich.“ Lieber würde sie in Friedrichshain wohnen wollen.
Doch der angespannte Wohnungsmarkt trifft trans* Personen besonders stark. Als marginalisierte Gruppe sind sie in prekären Lebenslagen einem erhöhten Risiko von Wohnungs- und Obdachlosigkeit ausgesetzt. Seit Juni 2023 gibt es daher das Projekt Housing First Queer, das in der Trägerschaft der Schwulenberatung, queeren obdach- oder wohnungslose Menschen Wohnungen vermittelt. „Aber die befinden sich meistens in Außenbezirken, wie Spandau oder Lichtenberg, wo viele trans* Personen aus Sorge vor Übergriffen nicht hinziehen wollen“, sagt Frank. Sie fordert: „Es muss Wohnungshilfe auch in trans*freundlichen Bezirken und nicht nur Außenbezirken geben.“
Zunahme von trans*feindlichkeit in sozialen Medien
Die Angriffe nähmen nicht nur im realen Leben, sondern auch in den sozialen Medien zu, berichtet Frank, die als Aktivistin im digitalen Raum sehr sichtbar ist. „Meine Kommentarspalte ist auf manchen Social-Media-Plattformen ein Sammelbecken für Hetze von der rechten und konservativen Community.“ Aus gewissen Portalen müsse man sich fernhalten, X verwende sie etwa gar nicht mehr. Unter ihre Posts schreiben Nutzer*innen Kommentare, wie: „rasier dich mal richtig“ oder „der Mensch verkleidet sich nur“. Frank bemängelt fehlende Aufklärung: „Die Menschen verstehen unsere Lebensrealität nicht. Trans*sein heißt nicht, dass man sich verkleidet. Das ist keine Wahl, sondern eine Identität.“ Es brauche daher mehr Bildungsarbeit sowie Aufklärungskampagnen in den sozialen Medien.
Dazu möchte die trans*-Aktivistin Béla Belissima mit ihrem Podcast „Queering the Perspective“ beitragen. Sie bietet queeren und (nicht-binären) trans* Personen eine Plattform, um ihre Erfahrungen sichtbar zu machen und eigene Narrative zu setzen. „In meiner Jugend hatte ich selber kaum Zugang zu Wissen über Menschen mit ähnlichen Erfahrungen“, sagt die 26-Jährige. „Geschlechterbinarität wird überall reproduziert. Als trans* Personen sind wir eine vermeintliche Abweichung, die nicht existieren soll.“ Obwohl sie in Kreuzberg aufwuchs, habe sie lange nicht einmal gewusst, dass es trans* Personen gibt.
Mit ihrem Aktivismus will sie Ambivalenzen und Nuancen von queeren Erfahrungen sichtbar machen. Denn: „Es gibt sehr viele Berichte über trans* Personen von cis Personen. Darin wird fast immer ein Opfer- oder Helden-Diskurs konstruiert. Einfach ein normaler Mensch zu sein ist selten möglich“, bemängelt sie. Zudem ist es ihr wichtig, persönliche Geschichten mit globalen Machtstrukturen zu verbinden. „Das Persönliche ist politisch. Unsere individuellen Erfahrungen haben Struktur.“
Struktur habe auch die Trans*feindlichkeit in Behörden, sagt Belissima. Seit dem 1. November wurde das mittlerweile für verfassungswidrig erklärte Transsexuellengesetz aus den 1980er Jahren vom Selbstbestimmungsgesetz abgelöst. Vorher mussten Personen zur Namens- und Personenstandsänderung demütigende Prozesse über sich ergehen lassen, die mit vielen Hürden und hohen Kosten verbunden waren.
„Wir mussten uns vor den Behörden nackt machen“, berichtet auch Penelope Frank. Manche hätten Glück gehabt mit Gutachter*innen und Richter*innen, andere berichteten von Fragen, wie mit wem und was für Sex sie hatten oder ob sie Rock oder Hose trugen. „Privat ist privat“, protestiert Frank. „Das geht niemanden etwas an.“
Kritik am Selbstbestimmungsgesetz
Mit dem neuen Selbstbestimmungsgesetz soll die Änderung des Vornamens und Geschlechtseintrags weniger bürokratisch beim Standesamt möglich sein. Doch auch an dem neuen Gesetz hagelt es Kritik. Bemängelt werden unklare Vorgaben darüber, welche Vornamen akzeptiert werden und wie „geschlechtstypisch“ sie sein müssen. Die Entscheidung liegt bei den Standesbeamt*innen. Auch Béla Belissima berichtet: „Mein Name wurde nicht als weiblicher Vorname anerkannt, obwohl ich mich damit identifiziere.“ Erst nachdem sie in Berufung ging, sei er akzeptiert worden. „Damit wird unsere Existenz weiterhin von oben herab reguliert und wird dürfen noch immer nicht frei entscheiden, wer wir sein wollen.“
Zudem gebe es viele ungeschulte, unsensible Mitarbeiter*innen, die Personen etwa mit ihren Deadnames oder Deadgenders ansprechen, also jenen Namen oder Pronomen, die die Personen abgelegt haben. Kritisiert wird schließlich, dass Transfrauen im Verteidigungsfall als männliche Soldaten eingezogen werden. „Das delegitimiert die Identität komplett“, kritisiert Belissima.
Ihre Forderungen: „Juristische Gleichstellung, leichterer Zugang zu Hormonen und uneingeschränkte Kostenübernahme von medizinischen geschlechtsangleichenden Maßnahmen durch die Krankenkasse.“
Bei der aktuellen politischen Lage gehe es aber auch darum, den Status quo zu erhalten und zu verhindern, dass errungene Fortschritte wieder rückgängig gemacht werden. „Die gesellschaftliche Stimmung ist aufgehetzt und Wahlen werden mit anti-LGBTQIA* (und besonders anti-trans*) Propaganda gewonnen. Deshalb müssen wir als Community resilienter werden und zusammenwachsen, denn die Zeiten werden für uns nicht leichter“, sagt Belissima.
Forderung nach mehr Solidarität mit trans* Personen
Ihr Appell: „In den Diskurs muss mehr Menschlichkeit gebracht werden.“ Trans* Personen würden noch immer in die Kategorie „freak“ gesteckt und allein gelassen. Sie wünscht sich mehr Solidarität und Zivilcourage, vor allem von nicht Betroffenen. „Sie sollen ihre Privilegien nutzen, um das Überleben und Wohlbefinden anderer zu sichern.“
Das können sie am Trans Day of Remembrance direkt in die Tat umsetzen: um 18 Uhr rufen antifaschistische Gruppen zu einer Demonstration auf dem Kreuzberger Zickenplatz auf.
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