Tram und Bus ohne Ticket: Bremen sucht den Super-Einstieg
Eine Initiative hat ausgerechnet, wie Bremen die Umstellung auf einen umlagefinanzierten Personennahverkehr schaffen könnte.
Herausgekommen ist ein Konzept, in dem Bus- und Bahntickets überflüssig werden. Der Betrieb und Unterhalt des Nahverkehrs soll nicht mehr über den Fahrpreis, sondern über eine paritätische Umlage finanziert werden. Die eine Hälfte der Kosten trägt sich über einen verpflichtenden Beitrag, den alle volljährigen Bremer*innen und Berufspendler*innen zahlen sollen – unabhängig davon, ob sie den Nahverkehr nutzen wollen. 19,11 Euro, so hat die Initiative berechnet, sollen für jede*n im Monat anfallen, Sozialhilfeempfänger sind mit 10 Euro dabei.
Ähnliche Vorschläge tauchten schon früher auf, als „Nulltarif“, als „Fahrscheinloser ÖPNV“ oder als „Solidaritätstarif“. Meist scheiterten die Ideen früh, 2015 etwa wurde in Osnabrück ein angedachtes „Bürgerticket“ noch vor der Machbarkeitsstudie eingestampft. „Es ist eben Neuland und damit zumindest theoretisch ein Risiko“, befindet Mark Wege, einer der Initiatoren von „Einfach einsteigen“.
Ein politisches Risiko liegt in dem Gefühl von Ungerechtigkeit, das manch einer auch angesichts des Rundfunkbeitrags empfindet. Schließlich zahlen immer auch diejenigen mit, die das Angebot nicht nutzen. „Einfach einsteigen“ argumentiert – analog zu ARD und ZDF – mit dem Gemeinwohl des ÖPNV für die verpflichtende Abgabe: Wer den Nahverkehr stärkt, verbessert nicht nur die Teilhabe der Ärmeren, sondern entlastet auch die Stadt von Stau und Abgasen. So profitieren indirekt auch Auto- und Radfahrer, die den ÖPNV nur sporadisch oder gar nicht nutzen.
Die Bremer Wirtschaft müsste zahlen
Widerstand droht aber nicht nur durch konsequente BSAG-Vermeider. Denn die zweite Hälfte der Einnahmen soll von der Wirtschaft kommen. Durch den ticketlosen Nahverkehr werde die Stadt attraktiver, Kunden würden mobiler und der verbesserte Verkehrsfluss mache Geschäftswege kürzer – „die Unternehmen haben einen Vorteil“, findet „Einfach einsteigen“-Gründer Mark Wege.
Billig wird dieser Vorteil nach den Berechnungen der Initiative für die Bremer Wirtschaft nicht. Für die benötigten 122 Millionen Euro im Jahr müsste der Gewerbesteuerhebesatz von heute 470 auf künftig 576 Prozent wachsen; anders ausgedrückt: Die Gewerbesteuer für Unternehmen stiege in Bremen von 16,45 auf 20,16 Prozent. Aktuell weist in Norddeutschland Hannover mit 480 Prozent den höchsten Hebesatz auf.
„Die Idee ist da noch nicht ganz zu Ende gedacht“, findet denn auch Olaf Orb, Innenstadtbeauftragter der Bremer Handelskammer. Die IHK hatte im September in einem Positionspapier selbst eine kostenfreie „Freezone“ für Bus und Bahn in der Innenstadt angeregt.
Man wünsche sich „Mut und Innovationsfreude seitens der städtischen Politik“, hieß es dort – und so verspricht Orb jetzt auch selbst, sich konstruktiv mit dem „interessanten“ Vorschlag von „Einfach einsteigen“ auseinanderzusetzen. Das Ganze aber lieber nicht mit Mitteln der Unternehmer: „Der ÖPNV ist eine öffentliche Aufgabe. Die Finanzierung über eine Gewerbesteuer fühlt sich nicht richtig an.“
Zweifel an rechtlicher Zulässigkeit
Auch die politische Ebene zeigt sich zögerlich. „Wir haben Zweifel, ob eine solche Nahverkehrsabgabe rechtlich überhaupt zulässig ist“, erklärt Frank Steffe, Büroleiter von Verkehrssenator Joachim Lohse (Grüne).
Lieber möchte die Behörde kleinere Brötchen backen und den ÖPNV vorerst nur für einzelne Gruppen kostenfrei gestalten – für Schüler*innen, Auszubildende oder arme Menschen etwa. Und überhaupt: „Um mehr Kunden zu finden, muss man nicht einfach die Ticketpreise senken, sondern vor allem das Angebot verbessern.“
Hier wiederum rennt die Behörde bei „Einfach einsteigen“ offene Türen ein. Schließlich hat die Initiative in ihren Berechnungen nicht nur die Betriebskosten für den Nahverkehr der Zukunft ein Drittel höher angesetzt als heute, um die voraussichtlich höhere Nachfrage zu bedienen. Sie sieht auch vor, dass die 75 Millionen Euro, die Bremen jährlich als Subventionen an den Nahverkehr vergibt, künftig in den Ausbau des Straßenbahnnetzes und die Erfüllung des Verkehrsentwicklungsplans 2025 fließen. „Ohne einen Ausbau wäre unser Konzept nicht ganzheitlich“, betont Wege.
So oder so, beschlussreif ist das Konzept noch nicht: Es soll noch breit diskutiert werden. Das erste Infotreffen am 6. Februar im Karton in der Bremer Neustadt dient dazu, Fragen zu beantworten und Diskussionsthemen zu sammeln. „Viele Punkte können durch Diskussion und Input noch verbessert werden“, sagt Wege.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Bundestag bewilligt Rüstungsprojekte
Fürs Militär ist Kohle da
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Kürzungen im Berliner Haushalt
Kultur vor dem Aus
Grüne über das Gezerre um Paragraf 218
„Absolut unüblich und respektlos“
BSW-Chefin im ZDF
Wagenknecht räumt Irrtum vor russischem Angriff ein
Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen
Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren