Tragikomödie „The Five Devils“ im Kino: Schönheit im Sinn
In Léa Mysius’ Mystery-Drama „The Five Devils“ kann ein Mädchen über Gerüche in die Vergangenheit eintauchen. Vieles bleibt angenehm im Ungefähren.
Noch vor dem Sehen kommt das Hören: Mit durchdringendem Geschrei und furioser Streichermusik beginnt Léa Mysius („Ava“) ihren zweiten Spielfilm als Regisseurin. Erst danach lodert ein Flammenmeer über die Leinwand. Vor ihm stehen mehrere junge Frauen in mit silbernen Pailletten besetzten Turnkostümen. Eine hat ihr Gesicht vom Feuer abgewandt, mit fassungslosem Ausdruck blickt sie direkt in die Kamera.
„The Five Devils“ eröffnet mit dem Wendepunkt der dramatischen Geschichte, die der Film nur peu à peu ausbreitet. Bevor sich erschließt, was in der Schlüsselsequenz vor sich geht, wird sich das verschachtelte Mystery-Drama zumindest in mittelbarer Form aller Sinne bedienen, die dem Menschen zur Verfügung stehen, um wahrzunehmen, aufzudecken und womöglich zu erkennen. Zweifelsohne ist es der Geruchssinn, der in dieser durchdachten Reflexion über die Last, die Erinnerungen darstellen können, von größter Bedeutung ist.
Der besondere Status, den das Drehbuch, das Mysius gemeinsam mit Paul Guilhaume verfasste, dem Riechvermögen zuerkennt, ist durchaus einleuchtend: Wer durch die Wahrnehmung eines Parfums schon einmal an eine bestimmte Person denken musste, sich durch einen spezifischen Duft schlagartig einer spezifischen Situation entsann oder an einen Ort zurückversetzt fühlte, weiß um die besonderen Kräfte des olfaktorischen Sinns.
In der Figur der etwa zehnjährigen Vicky (Sally Dramé) erhöht der Film diese Kraft. Das Mädchen kann Gerüche nicht nur äußerst genau bestimmen. Als Schwarzes Kind mit Afrofrisur wird sie in einer Kleinstadt am Fuß der französischen Alpen von Gleichaltrigen ausgegrenzt und verbringt ihre Zeit stattdessen damit, in unzähligen beschrifteten Einmachgläsern Substanzen zusammenzumischen. Etwa um den Duft ihrer Mutter Joanne (Adèle Exarchopoulos) genau nachzubilden.
The Five Devils“. Regie: Léa Mysius. Mit Adèle Exarchopoulos, Daphne Patakia u. a. Frankreich 2022, 96 Min.
Einem Familiengeheimnis auf der Spur
Joanne, besagte Frau aus der Auftaktsequenz, arbeitet als Schwimmtrainerin und führt ansonsten ein zurückgezogenes Leben an der Seite ihres Ehemannes Jimmy (Moustapha Mbengue). Die Beziehung wirkt seltsam zweckmäßig, Zärtlichkeiten tauscht das Paar nicht aus. Als Jimmys jüngere Schwester Julia (Swala Emati) – die im Gegensatz zu ihm nicht im Senegal, sondern in Frankreich geboren wurde – bei der Familie unterkommt, reagiert Joanne äußert empfindlich.
Auch Vicky, die ihre Tante bislang noch nicht kannte, ist ihr gegenüber sehr skeptisch. Als sie ihre Sachen durchsucht, stößt sie auf ein undurchsichtiges Fläschchen, erschrickt über seinen Geruch und verwendet es schließlich, um Julias Duft anzumischen. Daraufhin setzt sich das wesentliche Enigma der Handlung in Gang: Vicky taucht über das Riechen an jener Mischung offenbar in die Vergangenheit ein. So sieht sie ihre Tante gemeinsam mit ihrer Mutter beim Turnunterricht. Später bei einem gemeinsamen Ausflug mit Joannes Freundin Nadine (Daphné Patakia) und Jimmy.
Von hier an nimmt „The Five Devils“ verstärkt Züge eines Psychothrillers an, denn auch das wird bald klar: Julia sieht Vicky in jenen Flashbacks zwar ebenfalls, kann sich die Anwesenheit des ihr damals noch unbekannten jungen Mädchens aber nicht erklären und verfällt über ihren Anblick in Panik. Anders als es der Titel, der überraschend schlicht von fünf benachbarten Berggipfeln herstammt, vermuten lässt, ist der Film zwar mit dem Schatten des Unerklärlichen durchwoben. In Horrorgefilde gleitet er allerdings niemals ab.
Stattdessen entwirrt er durch Vickys Augen allmählich eine komplexe Familiendynamik, tastet sich nur nach und nach an ein großes Geheimnis heran. Den Fehler, das Sublime durch das Triviale – etwa durch eine letztgültige Erklärung, wie die Zeitreisen funktionieren – zu verderben, begehen Mysius und Guilhaume dabei glücklicherweise nicht.
Lauernde Kamera
„The Five Devils“ gelingt es, dem Dunklen sein Dasein zu gönnen, das Sphärische von Poesie aufrechtzuerhalten und gleichsam eine sehr weltliche Erzählung zu transportieren. Vor allem die lauernde Kamera (ebenfalls Guilhaume) schafft es in ansprechend konstrast- und farbenreichen Bildern, niemals zu viel auf einmal preiszugeben.
Mal verharrt sie lange in einer Einstellung, die nicht mehr als zwei vorsichtig umeinander tänzelnde Hände unter einem Tisch zeigt und rätseln lässt, um wessen es sich nun genau handelt. Mal schlängelt sie sich schleppend durch das Wohnzimmer an Vicky heran, um zu offenbaren, dass sie auf ihrem Handy nach dem Wort „Pyromanie“ sucht.
Dass man diesem Mysterium mit großem Vergnügen folgt, ist auch den beeindruckenden schauspielerischen Leistungen zu verdanken. Die 2010 geborene Sally Dramé erweist sich qua ihres außergewöhnlichen Charismas als echte Entdeckung, während es Adèle Exarchopoulos wie gewohnt gelingt, mit ausdrucksstarker, aber nuancierter Mimik die komplexen Gefühlsregungen ihrer Figur zu erkennen zu geben.
Vor dem Hintergrund eines unversehens abwechslungsreichen Soundtracks, auf dem sich sowohl „Me and the Devil“ der österreichischen Musikerin Soap&Skin als auch Bonnie Tylers „Total Eclipse of the Heart“ wiederfinden, führt nach dem Herantasten über das Hören, Sehen, Riechen und Fühlen schließlich ausgerechnet der Geschmackssinn zu einer Katharsis. Auch wenn vieles im Ungefähren bleibt, kann man sich am Ende von „The Five Devils“ doch sicher sein: Schön ist nicht nur, wie präsentiert wird, sondern auch was.
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