Traditionelle deutsche Tugenden: Grundgesetz lesen schadet nicht
Warum Angela Merkel endlich zurücktreten muss und Taylor Swift als „Person of the Year“ eine jedenfalls zu frühe Wahl ist. Am Ende zählt eh die Geste.
t az: Herr Küppersbusch, was war schlecht vergangene Woche?
Friedrich Küppersbusch: Zähes Regieren.
Und was wird besser in dieser?
Nennen wir es „Pleitetainment“.
Den Haushalt für 2024 gibt es erst – 2024. Grund genug für Neuwahlen?
Ja, Merkel muss zurücktreten. Schon wieder. Ihre unionsgeführte Regierung verzauberte 2021 Corona-Gelder in Klimaschutz-Investitionen. Die damals oppositionelle FDP schäumte: Das verstieße gegen die Pflicht zur Jährlichkeit von Haushalten und sei „alles andere als generationengerecht“. Sucht man also einen heute noch aktiven Politiker, der alles gewusst und trotzdem mitgemacht hat – traditionelle deutsche Tugenden – käme Christian Linder mit etwas Glück als Mitläufer davon. Paar Sozialstunden im Kindergarten, aber lasst ihn bitte nicht an die Kasse. Nun will er keine Steuererhöhungen, keine neuen Schulden, darf kein Sondervermögen, und mit diesen drei Nullen reichlich Mehrausgaben finanzieren. Würde er einen liberalen Heldentod planen, müsste er nichts anders machen. Das riecht mindestens so nach einer Erpressung der Ampel wie nach einer schicken Erzählung für einen Wahlkampf. Nur halt nicht nach Verantwortung.
Sachsen-Anhalt verlangt bei der Einbürgerung künftig ein Bekenntnis zum Existenzrecht Israels. Wie stehen Sie dazu?
Ein anderer ostdeutscher Minister, Johann Wolfgang von Goethe, schrieb: „So fühlt man Absicht, und man ist verstimmt“. Hier etwa die Absicht, Israel als Werkzeug zu benutzen, um anti-islamische Stimmung zu machen. Es wird suggeriert, israelbezogener Antisemitismus sei ein Zuwanderer. Hitler, Österreicher, klar. Die „Staatsräson“, auf die da geschworen werden soll, steht in keinem deutschen Gesetz und war ein lieber Strauß Rhetorik, den Merkel mit in die Knesset brachte. Sorgfältige Lektüre des Grundgesetzes ergibt auch das Existenzrecht Israels. Darauf zu schwören, genügt.
Auch die AfD in Sachsen wird jetzt vom Verfassungsschutz als rechtsextremistisch eingestuft. Überraschend?
Nach Thüringen und Sachsen-Anhalt: nein. Und hat es dort die AfD geschwächt? Auch nein. Es ist also erstmal ein Akt demokratischer Hygiene, das Offenbare beim Namen zu nennen. Der Verfassungsschutz schuldet es den Demokraten, auch wenn er damit die AfD den Undemokraten nochmal besonders appetitlich anrichtet. Die schmähen ihn bereits als „Regierungsschutz“ und lassen damit ahnen, was sie mit diesem Werkzeug anstellen werden, wenn sie es in die Hände kriegen. Und die Hände sind nah dran. Also: Die Geste zählt.
Die Frankfurter Rundschau hat drei Journalist:innen entlassen, die sich in ihrer Probezeit an einem Warnstreik beteiligt haben. Ist das das Ende oder der Anfang der Proteste bei der FR?
Nein, Werbung. Wer Journalismus von Leuten sucht, die auch mal im eigenen Laden das Maul aufmachen, sollte die FR meiden. Das ist ungerecht gegenüber vielen tapferen und sehr guten KollegInnen dort. Mehrheitseigner Ippen, der schon die exklusive Investigation über Zustände bei Springer um den Fisch wickelte, löst nun ein Digitalangebot und einen Klimapodcast auf. Und begründet die Rauswürfe so. Wer ein Abo der FR einwirbt, kann als Prämie ein Dart-Board-Set kassieren. Vielleicht kann man da auf Namen von KollegInnen werfen.
Der 11. Dezember ist der Tag im Jahr, an dem die meisten Menschen ihren Facebook-Status zu „Single“ ändern. Where is the love?!
Keine Ahnung, normal explodieren Familien und Beziehungen zu Weihnachten: Hohe Erwartungen, Stress, Enttäuschung, Prost. Vielleicht ist die Statusänderung vorher so ’ne Art Wunschzettel. Wie man so schön sagt: Wir schenken uns nichts.
Taylor Swift ist „Person of the Year“. Wer ist Ihre Person des Jahres?
Swift ist der erste lupenreine Popstar auf der Liste seit 1927, wenn man Greta Thunberg (2019), Queen Elisabeth (1952) und ein paar Sammelklagen – „american women“ (1975), „the good samaritans“ einschließlich Bono und U2 so aussortieren kann. Swift tut keinem weh und hat sich hie und da politisch verortet – möge die Auflage mit ihr sein. Die wahre Person 2023 erfahren wir frühestens 2024, wenn einer eine der akuten Katastrophen beendet.
Und was machen die Borussen?
Wenn diese 80.000 per Auto vom Stadion wegströmen und man eigentlich nur schnell noch ’ne Milch kaufen gehen wollte – ist eine Heimniederlage eins zuviel.
Fragen: Leyli Nouri und Lara Ritter
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Abschiebung erstmal verhindert
Pflegeheim muss doch nicht schließen
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Negativity Bias im Journalismus
Ist es wirklich so schlimm?
Künstler Mike Spike Froidl über Punk
„Das Ziellose, das ist doch Punk“
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands