piwik no script img

Kolumne Blicke„La Bombana“ ist tot

Eine nimmersatte Liebeswütige, ein feingeistiger Verleger und was man aus München über den Journalismus lernen kann.

Antje C., genannt Angelina, liebte alle Männer“. So stellte es die Boulevardzeitung tz aus München am Dienstag ins Netz. Der Ippen-Gruppe, zu der die tz gehört, war zuletzt ein Interesse an der Frankfurter Rundschau nachgesagt worden.

Verleger Dirk Ippen, der seine Blätter mit einer feingeistigen wöchentlichen Kolumne verziert und als Herausgeber von Büchern wie „Jeder Atemzug für Dich. Die 100 beliebtesten deutschen Liebesgedichte“ glänzt, wies das umgehend zurück. Eine gute Nachricht.

Mit Antje C. beschäftigte sich die tz zum ersten Mal im April dieses Jahres: „47-Jährige nötigt Mann zu endlosem Schäferstündchen“. Ein Handwerker, schrieb der Journalist Sven Rieber, habe mit der Kneipenbekanntschaft einen „sexuellen Albtraum“ erlebt.

Alexander Janetzko
AMBROS WAIBEL

ist Meinungs- und tazzwei-Redakteur der taz.

„Aus den Fängen der Frau“ beziehungsweise aus ihrer Wohnung, wo er „ordentlich anpacken“ habe müssen, konnten ihn erst Polizisten befreien, die von Antje C. schon „begierig erwartet“ worden seien, um den Platz des Mannes einzunehmen. Die Polizei aber nahm „die Betrunkene“ fest. Der Mann „brauchte keine ärztliche Hilfe.“

Die schlimmsten Sex-Verletzungen

Ein paar Tage später konnte die tz mit weiteren Details über den „Sexsklaven“ der „nimmersatten Nymphomanin“ aufwarten. Dieter S. outete sich statt als Handwerker als DJ. Er habe Anzeige wegen Freiheitsberaubung und sexueller Nötigung gegen die „Liebes-Wütige“ erstattet und „jetzt erst einmal die Schnauze voll von Frauen“. Wen der Artikel zum Weiterklicken animierte, dem bot die tz eine Online-Bilderstrecke mit dem Titel „Bloß nicht nachmachen! Die schlimmsten Sex-Verletzungen“.

Ende April war dann aber erst mal „Schluss mit der Männerjagd“. Antje C., die „zu allem entschlossene Nymphomanin“ („tz berichtet exklusiv“), hatte ein neues Opfer gefunden. „Diesmal geriet ein ahnungsloser Afrikaner in ihre Fänge.“ – „Wie schon nach dem Fall Dieter“, erfuhr man auf einmal exklusiv in der tz, sitze Antje C. in der Psychiatrie: „Denn auch die Ärzte halten sie mittlerweile für eine ernste Gefahr für die Männerwelt.“

Ach so – da war noch was: „Die Frau versuchte offenbar unter allen Umständen, mit 47 Jahren ein Kind zu bekommen“, ergänzte (Frauen sind einfach sensibler) die Journalistin Dorita Plange. Wer diesmal mehr wissen wollte, wurde auf den Bilderstrich „Die kuriosesten Sex-Urteile“ geschickt.

Am vergangenen Montag war es dann aber doch soweit – auch das beliebteste deutsche Liebesgedicht muss mal ein Ende haben: „Sex-Sklave Dieter: Seine Nymphomanin ist tot“ titelte die tz. Plötzlich war die Geschichte „gar nicht mehr lustig“. Diesmal war es ein Heizungsmonteur, der neben der alkoholkranken, psychisch gestörten Frau einschlief.

Als sein Wecker klingelte war die – wie die tz inzwischen exklusiv in Erfahrung gebracht hatte – auch „La Bombana“ genannte Frau tot. Die Obduktion ist angeordnet, die Verfahren gegen Antje C. werden eingestellt. Die Kolumne von Dirk Ippen geht weiter. Sie heißt „Wie ich es sehe“. Danke – das wissen wir schon.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Ambros Waibel
taz2-Redakteur
Geboren 1968 in München, seit 2008 Redakteur der taz. Er arbeitet im Ressort taz2: Gesellschaft&Medien und schreibt insbesondere über Italien, Bayern, Antike, Organisierte Kriminalität und Schöne Literatur.
Ambros Waibel
taz2-Redakteur
Geboren 1968 in München, seit 2008 Redakteur der taz. Er arbeitet im Ressort taz2: Gesellschaft&Medien und schreibt insbesondere über Italien, Bayern, Antike, Organisierte Kriminalität und Schöne Literatur.
Mehr zum Thema

4 Kommentare

 / 
  • JM
    Jacob Mell

    Da hat es die taz geschafft, über einen Umweg die Geschichte von der Nymphomanin doch ins Blatt zu bringen ;)

  • DR
    Dr. rer. Nat. Harald Wenk

    Das sieht stark nach einer "self-fulfilling prophecy" des Boulevard-Sensations-Journalismus: DAS GEHT NICHT LANGE GUT, aus.

     

    Die "Ehre", die "Scham", die Macht de "Öffentlichkeit" - da übertsteigt die Fähiglkeiten der Meisten. Die latente institutionsverstärkte "Lynchmentalität" für Abweichungen - gepaart mit mächtigen verdrängten sexuellen Wunschphantasien. Der rigide Protonormalismus ist auch immer präsent. Selbstverständlich ist das schizoanalytsch, sozialpsychologisch, für fast alle ungeheuer "verborgen" und "verdrängt". Der Sensatiosnjournalismus als solches ist ist eine verstärkende Entität dieser "faschistoiden" Verdrängung. So "einfach-kompliziert", "offen-verborgen" ist das.

     

    Die Medienlandschaft ist immer noch fest im Griff der im Trüben Fischenden extrem Antiintellektuellen. Die TAZ selbst sollte daher jeden Kotau vor der "Kostenfrage" und dem angeblichen "Populismus" als das begreifen, was er ist: "Glatter Selbstmord".

     

    Die Überrlebenden sind ja nicht tot, vergesst da nicht!!!Das Leben geht nicht für alle weiter.

  • RB
    Rainer B.

    Einen karnevalserfahrenen Rheinländer kann das alles nicht schocken. Er weiß genau, dass Alkohol irgendwann den Kern eines jeden Menschen freilegt.

     

    Wehe, wenn sie losgelassen!

  • N
    naseweiser

    Wie die Kripo München berichtete , wurde der entführte Dirk K. auf einen anonymen Hinweis hin gestern im Bayerischen Wald aufgefunden : gefesselt , nackt , geteert und gefedert . Als Entführer verdächtigt : Club der anonymen Nyphomaninnen .