Townhouse-Boom in Berlin-Prenzlauer Berg: Ein Bio-Bullerbü ohne Alte
In Berlins Lifestyle-Bezirk schaffen Investoren Wohnungen für eine kaufkräftige Zielgruppe - wie das Grundstück Marthashof. Das stört nicht nur Autonome.
BERLIN taz Sie stehen an ihren Fenstern, schauen in dieses Loch hinunter und denken an den Schatten, der bald auf sie fallen wird. Es ist eine Grube wie ein Landeplatz. Das U-förmige Gebilde wird in den nächsten Monaten aber nicht hineinschweben, es wird langsam herauswachsen. Betonfundamente, Holzwände, Glasfassaden. Wenn alles fertig ist, kommt die Invasion.
Mario Feist kennt die Zahlen: ungefähr 500 Leute. Vielleicht werden sie aus Los Angeles stammen, aus London oder München. Möglicherweise auch direkt von nebenan - aus Berlin, Stadtteil Prenzlauer Berg. Jedenfalls werden sie Geld haben. Sie werden Feinkostläden wollen, Modeboutiquen und teure Cafés. Sie werden das alles zu ihren Townhouses, Garden Houses und Loggia-Villen dazukriegen - für 3.000 Euro aufwärts, pro Quadratmeter. Sechs Stockwerke werden aus der Grube wachsen. Mario Feist steht in kurzen, beigen Hosen zwischen Ikea-Sessel und Gummibaum, 43 Jahre alt, Sozialwissenschaftler. Durch seine runde Brille schaut er auf das Loch. "Das wird ja nicht nur ein Block", sagt er, "das wird ein kleines Wohngebiet."
Der Marthashof: Der ehemalige Bauernhof wurde in der Mitte des 19. Jahrhunderts zu einem Mägdeheim umgestaltet, in dem Mädchen vom Land vom "Sonntags-Verein für weibliche Dienstboten" eine Unterkunft erhielten, damit sie auf der Arbeitssuche nicht dort unterschlüpfen mussten, "wo ihre Sittlichkeit in Gefahr kommt", hieß es damals. Das Grundstück liegt im Berliner Szene-Stadtteil Prenzlauer-Berg.
Die Investoren: Das Grundstück ist 12.000 Quadratmeter groß. Etwa 65 Millionen Euro werden die italienische Designerin Giovanna Stefanel-Stoffel und ihr Mann Ludwig Maximilian Stoffel mit ihrer gemeinsamen Firma "Stofanel" in die Gebäude investieren. Stefanel-Stoffels erklärtes Ziel: Das Glück, das ihr in ihrem Leben zuteil wurde, mit anderen zu teilen. In diesem Fall geht es ihnen vor allem um "Wärme, Geborgenheit und Ruhe".
Der Prenzlauer-Berg: Mehr als 50 Prozent der Bewohner des Stadtviertels sind zwischen 25 und 45 Jahre alt. Die stadtsoziologischen Veränderungen vollziehen sich äußerst schnell. Zwischen 1995 und 2000 hat sich die Hälfte der Bevölkerung ausgetauscht. Seit dem Mauerfall sollen nur noch lediglich 20 Prozent der ursprünglichen Bewohner dort leben.
Er ist nicht der Einzige in seiner Straße, der sich sorgt. Sie haben deshalb eine Initiative gegründet, AIM. Anlieger Initiative Marthashof. So soll das U-förmige Gebilde heißen. Sie wehren sich gegen den Baustaub und gegen die Höhe der Gebäude, die ihnen das Licht nehmen werden. Sie fürchten, dass in ihrem Kiez kein Platz mehr für sie sein könnte, weil sie sich diesen Platz nicht mehr leisten können. Stadtsoziologen haben Worte für solche Veränderungen. Sie sprechen von sozialer Umstrukturierung oder von Gentrifizierung. Ökonomen sagen: Marktwirtschaft. Mario Feist zahlt noch fünf Euro für einen Quadratmeter. Üblich ist in der Gegend mittlerweile das Doppelte.
Es hat sich vieles verändert, seit die Mauer am Ende der Oderberger Straße erst Löcher bekam und schließlich ganz verschwand. Feist ist kurz vor der Wende immer darauf zugelaufen, in Richtung Westen, und dann kurz vorher abgebogen, nach rechts, zur Straßenbahn, zur Arbeit. Es gab damals noch Schuster, Glaser, Kohlenhändler. Heute hängen in den Schaufenstern Designershirts, und vor den Kneipen hängen fröhliche Menschen ab, betrachten sich in ihren Macbook-Bildschirmen und nippen am Latte macchiato. Seit Mario Feist vor 18 Jahren die letzten Male vor der Mauer rechts abgebogen ist, hat sich sein Kiez langsam in eine andere Welt verwandelt. Es ist ein spezielles Universum, dessen Bewohner nur selten viel älter sind als er. Sie verdienen in ihren Agenturen und Redaktionen oft recht anständig, haben ein, zwei Kindersitze am Fahrrad, kaufen ihren Brotaufstrich im Biomarkt.
Es ist ein Gefühl, dass sich gut verkaufen lässt. Deswegen ist da jetzt dieses Loch. Durch Mario Feists Lärmschutzfenster röhrt es leise herein. Am Ende der Straße steht ein lila Holzbungalow, von dem aus schon Plätze in der Marthashof-Grube verkauft werden. Und neben dem Bungalow steht ein Securitymann. Es gibt Leute, denen gefällt das nicht, wenn man mit Gefühlen Geschäfte macht.
Die Eröffnung des Bungalows verläuft sehr friedlich. Es ist ein warmer Frühsommertag. Bionade im Kühlschrank, Lachshäppchen auf der Buffettheke. Ein Tänzerpaar schwingt grüne und lila Bänder durch die Luft. Später spielt eine kleine Kapelle sanften Jazz. Giovanna Stefanel-Stoffel, Erbin eines italienischen Modekonzerns, schwebt durch die Räume, lächelt und nimmt Babys auf den Arm. "Buon Giorno!" Ihr Mann ist weiß gekleidet und sieht aus wie ein indischer Yogameister. Sein Name ist Ludwig Maximilian Stoffel. Zusammen besitzen sie die Firma Stofanel. Sie haben verschiedene Grundstücke in der Hauptstadt gekauft und lassen nun bauen.
In Prenzlauer Berg, kaum zehn Meter von Mario Feists Wohzimmer entfernt, soll ihr "Urban Village" entstehen. "Naturnah" heißt eines der Wörter im Verkaufsprospekt. Die meisten Bäume haben sie erst einmal abgesägt, aber im Prospekt sind neue abgebildet. Ursprünglich war auf der Fläche einmal ein Park geplant. Im "Urban Village" ist nun ein grüner Innenhof vorgesehen, der sich abends abschließen lässt. Das ist so eine andere Angst der Anliegerinitiative: dass sich die neuen Reichen in ihr Village einsperren - und die letzten Baumreste gleich mit.
Ludwig Maximilian Stoffel zeigt auf eine Frau im Sommerkleid, die einen Kinderwagen an der Stellwand mit dem Slogan "Mehr erwarten, mehr bekommen" vorbeischiebt. "Das sind unsere Kunden", sagt er. Upper middle class. "Nicht der Jacht-besitzende Luxusmensch."
Als die Leute von AIM etwas zögerlich hereinkommen, ist Stoffel sofort bei ihnen. Sie schütteln Hände und bringen die Kinder von Feists Nachbarn zur Betreuung nach nebenan. Giovanna Stefanel lächelt jetzt noch strahlender. Es ist die erste Gefahr, die sie abwehren müssen. Die Investoren wissen nicht von den Transparenten, die die AIM-Leute aus ihren Fenstern hängen wollten. Sie wissen nichts von der Karteikarte, die ein Anwohner Mario Feist zugesteckt hat und die jetzt an seinem Computerbildschirm lehnt: "Be kompromisslos, be rücksichtslos, be Stofanel". Ein Vorschlag für einen Protestslogan. Sie haben aber von dem angekündigten Besichtigungsspaziergang zur Bungaloweinweihung gehört. Deshalb haben sie die Anwohner vom Geschäftsführer ihrer Baufirma sicherheitshalber abholen lassen.
Es ist Stefanel und Stoffel völlig klar, was auf dem Spiel steht. Sie können nicht mit guter Nachbarschaft werben, wenn die Leute, an deren Wohnungen sie bis auf wenige Meter heranbauen, Rabatz machen.
Kurz vor der Bungaloweröffnung haben sie sich also mit den AIM-Leuten getroffen. Sie haben versprochen, zu prüfen, ob sie am unteren Teil des U, wo es auf die AIM-Häuser trifft, etwas niedriger bauen können - wenn die Nachbarn im Gegenzug auf öffentlichkeitswirksame Proteste verzichtet. AIM sind auf den Deal eingegangen. Das "Urban Village" wächst so oder so heran.
Einen Tag nach der Eröffnung bewachen gepanzerte Polizisten den lila Bungalow. Autonome demonstrieren für Freiräume in der Stadt und gegen Investoren wie Stoffel und Stefanel. Das glänzende Verkaufshäuschen sieht wie ein gutes Ziel aus. Ein Redner sagt, gegen Gentrifizierung anzukämpfen sei schwierig. "Fuck Yuppies" steht auf Transparenten. In den Tagen zuvor haben sie ein Haus besetzt. Autos sind angezündet worden.
Sebastian Höft hat seinen Wagen vorher in die Tiefgarage gestellt. Die Polizei hatte ihn angerufen und vor Aktionen der Linken gewarnt. Höft verkauft Wohnungen und Townhouses in den Kastaniengärten, bisher ist es auch nur eine Grube neben dem Marthashof-Loch. Die Musterwohnung liegt in einer Seitenstraße. Wenn Kunden da sind, macht Höft die Anlage an und spielt Klassik. Es soll sich wie Nachhausekommen anfühlen. Er trägt dann meist Jeans, schwarzes Jackett, ein steifes Hemd und seine große, runde Glashütte-Uhr. "Ich verkaufe zunächst ein Grundstück und eine Fantasie", sagt er. In der Spielecke liegen Warnkegel und Plastiklaster. Die Leute sind häufig aus der Gegend. Musiker, Werber, andere Selbstständige. Mindestens die Hälfte hat Kinder, schätzt er. Was sie wollen: "Ruhiges Leben in der Natur und trotzdem mittendrin im Berliner Szeneleben." So bewerben sie die Kastaniengärten in einem Radiospot.
Bei der Bungaloweröffnung hat sich Höft kurz das Präsentationsbadezimmer von "Stofanel" mit seinem 12.000-Euro-Duschkopf angesehen. Er hat dort einen anderen Kollegen getroffen, von den "Choriner Höfen". Bisher auch nur eine Grube. Sie sagen, dass ihre Projekte bestimmt nicht daran schuld sind, dass die Mieten in der Gegend steigen, sondern die Tatsache, dass die Mietobergrenze gefallen ist.
An einem sonnigen Abend sitzt Olaf Eichhorst auf der Bierbank vor einer der letzten Kneipen, die in der Oderberger aus DDR-Zeiten übrig geblieben sind, und erzählt vom WBA. Der Wohnbezirksausschuss war eigentlich eine staatsnahe Institution, deren Mitglieder in den 80ern aber sehr renitent dafür gekämpft haben, dass die Straße nicht plattgemacht wurde und die Häuser durch Plattenbauten ersetzt wurden. Der Widerstand war erfolgreich. Eichhorst würde sich wünschen, dass heute jemand etwas gegen die teuren Häuser unternimmt. Er ist 43, war mal DJ, was er jetzt nur noch ein bisschen ist, weshalb er von sich sagt: "Ich bin Prekariat." Man könne hier einen ganzen Tag lang im Café sitzen und keinen einzigen alten Menschen sehen, sagt er, keinen Armen. Wenn in ihrem Haus die Obergrenze für die Mieten bald nicht mehr gilt, könnte er seinen Platz hier verlieren. Er ist auch bei AIM. Mario Feist sagt, dass Olaf derjenige sei, der die politische Dimension der ganzen Sache am deutlichsten sieht. Das Politische könnte für ihn sehr privat werden.
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