piwik no script img

Touristenbahn und Indigene in MexikoEs fährt ein Zug ins Maya-Land

30 Milliarden US-Dollar wird die Touristenbahn Tren Maya in Mexiko kosten. Die Maya befürchten Wasserknappheit, wenn mehr Urlauber nach Cancun kommen.

Der „rollende Jaguar“, der Mayazug, hat den ersten Teilabschnitt von 500 Kilometer vom Golf von Mexiko nach Cancun zurückgelegt Foto: Jose Luis Gonzalez/reuters

N un soll’s der Herrgott richten. Oder zumindest sein Vertreter auf Erden. Wenige Tage bevor die Touristenbahn „Tren Maya“ am vergangenen Freitag erstmals über die mexikanische Halbinsel Yucatán rollte, besuchte die Gouverneurin des dortigen Bundesstaates Quintana Roo, Mara Lezama, den Papst Franziskus im Vatikan. Im Gepäck hatte sie eine Miniatur des umstrittenen Zuges, die sie dem katholischen Oberhaupt mit der Bitte übergab, er möge das Megaprojekt segnen.

Zudem habe sie ihrem Gastgeber einen Brief des Präsidenten Andrés Manuel López Obrador mitgebracht, informierte die Politikerin auf der Plattform X. Damit nicht genug. Sie schenkte dem Papst auch noch eine „von Frauen aus der Maya-Region von Tulum gestickte Tischdecke, die die Kultur, Würde und soziale Gerechtigkeit repräsentiert, für die wir in Quintana Roo arbeiten“.

Hat alles geklappt. Franziskus hat seinen Segen ausgesprochen und der „rollende Jaguar“, der erste Mayazug, hat erfolgreich den ersten Teilabschnitt von knapp 500 Kilometer vom Golf von Mexiko in die Touristenhochburg Cancún in der Rivie­ra Maya zurückgelegt. Dass Gouverneurin Le­zama und Präsident López Obrador ausgerechnet den Papst anrufen, um sich moralische Rückendeckung für das fragwürdige Projekt zu suchen, hat jedoch etwas ziemlich Skurriles.

Schließlich spielte die katholische Kirche eine zentrale Rolle, als die von Mayas bewohnte Insel vor über 500 Jahren von den spanischen Eroberern heimgesucht wurde. Gerade auf der Halbinsel angekommen, ließ der Franziskanermönch Diego de Landa schon 1562 viele Bilder und Symbole zerstören und fast alle Schriften verbrennen. Wer Ärger machte, wurde gefoltert und ermordet.

Die Mayakultur bewahren

Hätten sich die Indigenen nicht trotzdem jahrhundertelang gegen die Konquistadoren gewehrt, könnten Tou­ris­t*in­nen heute kaum, wie geplant, auf Kunsthandwerk-Märkten an den Bahnhöfen Röcke, Tischdecken oder Halstücher der Mayakultur kaufen. Heute sind drei Viertel der dort Lebenden katholischen Glaubens. So gesehen war es eine erfolgreiche Mission und der Papst vielleicht doch die richtige Adresse für spirituelle Unterstützung.

Ob der Zug den Indigenen tatsächlich zu mehr Würde und sozialer Gerechtigkeit verhilft, ist fraglich.

Inzwischen sprechen noch rund 500.000 Mayas, etwa ein Viertel der Be­woh­ne­r*in­nen der Halbinsel, ihre ursprüngliche Sprache. Neben ihnen zeugen vor allen die archäologischen Stätten noch von der alten Kultur: Chichén Itzá, Calakmul, Uxmal. Dorthin soll die Bahn künftig noch mehr Ur­lau­be­r*in­nen bringen.

Ob der Zug den Indigenen tatsächlich zu mehr „Würde und sozialer Gerechtigkeit“ verhilft, ist fraglich. Die meisten Maya sind arm. Schon jetzt arbeiten viele von ihnen für wenig Geld in schicken Hotelanlagen an karibischen Stränden und wohnen oft unter miserablen ­Bedingungen in den Außenbezirken von Cancún.

Das Wasser wird knapp

Spricht man mit den Indigenen aus den abgelegenen Gemeinden im Süden der Region, hört man große Befürchtungen. Schon jetzt sei das Wasser knapp, sagen sie. Was passiert erst, wenn riesige Hotels gebaut werden? Die Menschen wissen, was Massentourismus heißt: Sie fürchten, dass die organisierte Kriminalität wie in Cancún die Kontrolle übernimmt, ihre Töchter zur Prostitution gezwungen und ihre Söhne von der Drogenmafia kooptiert werden.

Ganz abgesehen davon, dass dem Tren Maya bereits viele Bäume zum Opfer fielen und niemand weiß, ob er nicht eines Tages in die karstigen Höhlen einbricht, die die Halbinsel in einem umfangreichen Wassersystem verbinden.

Rund 30 Milliarden US-Dollar wird das Prestigeprojekt López Obradors kosten, wenn, wie geplant, in den nächsten Monaten alle Teilabschnitte fertiggestellt sind. Ein ganz schöner Batzen Geld für einen Zug, von dem niemand weiß, ob er bei Tou­ris­t*in­nen auf Interesse stößt. Aber López Obrador ist zufrieden.

„Heute waren die Menschen glücklich“, sagte er nach der Einweihung. Ganz unrecht hat er nicht. Abgesehen von jenen rebellischen ­Gemeinden und einigen Na­tur­schüt­ze­r*in­nen hoffen viele Menschen auf bessere Zeiten durch mehr Tourismus mit dem Mayazug. Blickt man auf die bisherige Entwicklung an der Riviera Maya, dürften diese Hoffnungen kaum erfüllt werden.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Wolf-Dieter Vogel
Korrespondent
Wolf-Dieter Vogel, Jahrgang 1959, ist Print- und Radiojournalist sowie Autor. Er lebt in Oaxaca, Mexiko. Seine Schwerpunkte: Menschenrechte, Migration und Flucht, Organisierte Kriminalität, Rüstungspolitik, soziale Bewegungen. Für die taz ist er als Korrespondent für Mexiko und Mittelamerika zuständig. Er arbeitet im mexikanischen Journalist*innen-Netzwerk Periodistas de a Pie und Mitglied des Korrespondentennetzwerks Weltreporter.
Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!