
Tourismus an der Nordseeküste: Es wird eng im Paradies
In St. Peter-Ording geht der Kreis gegen illegale Ferienwohnungen vor. Denn für Einheimische und Arbeitskräfte werden die Unterkünfte knapp.
A ngestellte des Kreises Nordfriesland gehen in diesen Tagen wieder auf die Jagd. Es sind die Tage der frühen Saison, in denen der blaue Himmel über der Nordsee steht wie ein Versprechen. Vor den Cafés und Restaurants warten bereits die Stühle, Urlauber:innen in bunten Windjacken oder Daunenwesten – der Seewind ist trotz der Sonne kühl –, schlendern mit Eistüten an den Fischbrötchenbuden und Souvenirshops vorbei auf den Platz vor der Seebrücke. Auf dem Weg zum Strand müssen sie am Mauthäuschen vorbei, an dem die Gemeinde St. Peter-Ording die Kurtaxe kassiert.
Der Ort an der Spitze der Halbinsel Eiderstedt lebt vom Tourismus, und er lebt gut davon. Doch wie überall, wo die Gästezahlen steigen, fehlt es an bezahlbaren Wohnungen für Alteingesessene und Arbeitskräfte, weil immer mehr Gebäude in Ferienappartements umgewandelt werden. Viele davon sind ohne Genehmigung entstanden. Nach solchen illegalen Wohnungen sucht der Kreis Nordfriesland, einige hat er bereits stillgelegt.
Nein, die Presse dürfe nicht mit auf so eine Jagd, sagt der Kreissprecher Martin Slopianka. Sonderlich spektakulär sei es auch nicht: Im ersten Schritt prüfen die Verwaltungsleute die Akten. Dabei schauen sie sich die Bebauungspläne der Gemeinden an, B-Pläne genannt, und vermerken die Straßen, in denen es keine Ferienwohnungen geben dürfte.
Klingelschilder ohne Namen
Im zweiten Schritt machen sich Teams aus dem Kreishaus in Husum auf den Weg in die Ferienorte. Sie suchen nach Häusern, an deren Klingelschildern keine Namen stehen, sondern Bezeichnungen wie „Möwennest“, „Kiekut“ oder „Steuerbord“, an deren Fenstern identische Gardinen hängen und die in diesen Frühjahrstagen unbewohnt wirken. Viele Straßen in St. Peter-Ording sehen so aus. Laut einem Gutachten sollen hier rund 71 Prozent aller Ferienwohnungen illegal sein.
Viele Vermieter:innen hätten nicht aus böser Absicht, sondern „aus Unwissenheit“ gehandelt, glaubt Kurt Kahlke. Der 72-jährige St. Peteraner vermietet selbst, ganz legal: 1986 hat er den ersten Stock seines Hauses als Gewerbefläche angemeldet und dort zwei Ferienwohnungen eingerichtet, er und seine Frau Birgit wohnen im Erdgeschoss. Solche Doppelnutzung hatte sich die Gemeinde durchaus gewünscht, schließlich sollten Einheimische vom Tourismus profitieren.
St. Peter-Ording galt lange als Armenhaus Eiderstedts. Im Lauf der Jahrhunderte musste seine Kirche mehrfach verlegt worden, weil Wasser oder Sand den früheren Standort verschlangen. Die Wende kam im 19. Jahrhundert, als das Bauern- und Fischerdorf zum Kurbad wurde. Die breite, zwölf Kilometer lange Sandbank, die sich parallel zur Küste hinzieht, macht den Ort zu etwas Besonderem. Strände an der Nordseeküste sind selten, da meist Deiche das Land zur See hin absichern.
Dank Badespaß, Kitesurfen und Strandsegeln zählt die Tourismuszentrale heute 2,5 Millionen Übernachtungen pro Jahr, dazu kommen im Sommer Tausende Tagesgäste. Ihnen stehen 3.800 Einwohner:innen mit Erstwohnsitz gegenüber, von denen nicht alle dauerhaft im Ort wohnen. Noch vor wenigen Jahren waren über 4.000 Personen mit erstem Wohnsitz gemeldet.
Es passiert schleichend, dass sich Wohnviertel in Feriensiedlungen verwandeln. Die älteren Einwohner:innen ziehen ins Heim oder sterben. Ihre Kinder leben woanders oder können sich nicht einigen, wer das Haus behalten soll. So wird das Grundstück verkauft, doch die neuen Besitzer:innen ziehen nicht selbst ein, sondern bauen zwei, drei, vier Ferienwohnungen. Das sei auch kaum anders möglich, sagt Kurt Kahlke: „Hier werden Quadratmeterpreise aufgerufen wie in Hamburg.“ Wer diese Summen zahle, wolle die Investition wieder reinholen.
Das habe den Effekt, dass „sie heute in einigen Vierteln die Einheimischen suchen müssen“, sagt Boris Pfau, der Bürgermeister von St. Peter-Ording. Er sitzt in seinem Büro mit weitem Blick über den Deich, das Vorland und die Seebrücke, in der Ferne brandet das Meer.
Der Bürgermeister muss liefern
Pfau wurde im Sommer 2024 ins Amt gewählt, als Schlusspunkt einer turbulenten Zeit in der Gemeindepolitik. Der Bürgermeister ist selbst zugezogen, führte 31 Jahre lang eine Zahnarztpraxis in St. Peter-Ording und saß als Parteiloser in der Gemeindevertretung. Nachdem der frühere Bürgermeister nach Kritik – auch von Boris Pfau – zurücktrat, bewarb der sich selbst um das Amt. Eines der Kernthemen des Wahlkampfs war der schwierige Wohnungsmarkt. Pfau muss Lösungen liefern.

Doch es stellt sich die Frage, ob die Gemeinde von der Entwicklung wirklich überrascht sein kann. Boris Pfau schiebt die Schuld weiter: „Die Politik kann die Festsetzung im B-Plan machen, aber das Bauordnungsrecht unterliegt nicht der Gemeinde, sondern dem Kreis.“ Und der habe eben nie kontrolliert. Bis 2023.
Warum der Kreis Nordfriesland sich vor zwei Jahren auf die Suche nach den nicht B-Plan-konformen Wohnungen machte, dafür gibt es einen überraschend einfachen Grund: Es gibt eine neue Stelle, wie Burkhard Jansen, der Leiter der Baubehörde, den Husumer Nachrichten verriet. Dadurch sei die Möglichkeit entstanden, das Thema zu bearbeiten. Unter anderem geht es dem Kreis um Brandschutz und Statik. Denn in manchen Fischerkaten sind Dachböden und Keller zu Ferienwohnungen ausgebaut worden, ohne darauf zu achten, ob die alten Balken das tragen oder Fluchtwege vorhanden sind.
Burkhard Jansen kennen vermutlich alle, die in Nordfriesland mit Tourismus zu tun haben. Der Ton, mit dem die Leute von ihm reden, klingt teils bewundernd, teils zornig. Einerseits freuen sich Einheimische, dass die Chancen auf bezahlbaren Dauerwohnraum steigen, wenn Ferienwohnungen verschwinden. Andererseits herrscht Unmut darüber, dass ausgerechnet im Kreis Nordfriesland kontrolliert wird, während das Thema anderswo keine große Rolle zu spielen scheint. Auf eine Anfrage des NDR-Magazins „Panorama“ hatte zum Beispiel der Nachbarkreis Dithmarschen gar nicht geantwortet. In Nordfriesland dagegen wird jetzt geprüft, B-Plan für B-Plan. Allerdings: Das wird dauern.
Zehn Jahre veranschlagt die Baubehörde für das Verfahren im gesamten Kreis. Doch wie kompliziert kann eine Prüfung sein, etwa in jenem Gebiet im Ortsteil Ording, in dem die Straßen nach den Piraten Pidder Lyng und Klaus Störtebeker benannt sind? Vor fast allen Häusern stehen Werbetafeln für Ferienwohnungen, und alle Autos, die vor den Häusern parken, tragen fremde Kennzeichen.
Kein Schnüffelstaat
Klar, die Gemeinde wisse, wer da gemeldet ist und ob Steuern für Vermietungen abgeführt werden, sagt Kreissprecher Martin Slopianka. „Aber wir leben in keinem Schnüffelstaat, es herrscht eine Trennung zwischen den Ämtern.“ Daher geht der Kreis den langen Weg, über die Prüfung der B-Pläne, die Kontrollen, die Anschreiben an die Hausbesitzer:innen.
Die meisten seien einsichtig, sagt Slopianka: „Der Tourismus frisst sich auf. Auch Geschäftsleute sehen, dass zu wenig Dauerwohnraum da ist, etwa um ihre Angestellten unterzubringen.“ Aber es gibt auch Klagen gegen die Beschlüsse. Ein Hausbesitzer in der Störtebeker-Straße wollte neu bauen, ausschließlich Ferienappartements. Die Gemeinde verbot das, weil in dem Gebiet 30 Prozent Dauerwohnraum vorgesehen sind. Der Mann zog vor Gericht, das gab der Gemeinde recht – das Urteil gilt als richtungsweisend.
Trotzdem ist es nicht so einfach, die Regeln durchzusetzen. Zwar kann der Kreis ein Bußgeld verhängen, eine weitere Vermietung verbieten und sogar einen Teil der unrechtmäßig erhaltenen Gewinne einziehen. Aber „wer vor Jahren eine Immobilie billig gekauft hat, lacht über ein bisschen Strafe“, sagt Bürgermeister Pfau. Immerhin sei zu merken, dass die Debatte um die nicht genehmigten Wohnungen wirken: „Banken fragen bei Krediten nach, ob das Geschäftsmodell legal und tragfähig ist.“
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Der Bürgermeister will beiden Seiten gerecht werden, den Menschen, die bezahlbaren Wohnraum suchen, und denen, die am Vermieten verdienen wollen. Die Gemeinde kann ihre alten B-Pläne rückwirkend ändern, um teils mehr, teils weniger Ferienwohnungen zuzulassen. Rund 50 Pläne will der Gemeinderat im Verlauf der nächsten Jahre prüfen und anpassen. Dabei werde es Härten geben, das ist Pfau klar: „Daher muss man das sensibel machen.“ Ihn ärgern vor allem die auswärtigen Investor:innen, die in jüngerer Zeit noch Wohnraum umgewandelt haben, trotz der Debatten um das Thema. „Es ist bitter, wenn die mit Alteingesessenen gleichgesetzt werden.“
Um Druck aus dem Markt zu nehmen, erschließt die Gemeinde zudem ein neues Baugebiet ausschließlich für Dauerwohnen, teils sozial gefördert. Die Grundstücke werden als Erbpacht vergeben, um Spekulation zu verhindern. Pfau wünscht sich dort Familien und Menschen, die im Ort arbeiten wollen. In dem Quartier könne ein Gemeinschaftsgefühl und eine Aufbruchstimmung entstehen, die sich auf das ganze Dorf übertragen, hofft der Bürgermeister.
Trotz aller Probleme bezeichnen die meisten Einheimischen St. Peter-Ording als ihren „Sehnsuchtsort“. Auch Vermieter-Ehepaar Kahlke liebt das Leben an der Küste, inklusive Tourismus. Zwar gibt es Auswüchse: Einmal stand ein Wohnmobil vor ihrem Haus auf der Straße, sogar ein Zelt baute jemand auf dem Gehsteig auf. Aber „unsere eigenen Gäste sind alle toll, und wenn’s im Supermarkt eine Schlange gibt, stört mich das nicht“, sagt Birgt Kahlke. Nur ins touristische Zentrum vor der Seebrücke und zum viel gerühmten Strand gehen die beiden im Sommer nicht. Da ist ihnen einfach zu viel los.
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