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Tour de France-Berichterstattung trotz DopingUngebremste Fahrt

Auch nach drei Dopingfällen berichten ARD und ZDF weiter von der Tour de France. Ein Ausstieg komme nur infrage, wenn systematisches Doping erkennbar sei. Nur, wo ist die Grenze?

Dreimal ist keinmal. Bild: reuters

Deutsche Medienvertreter systematisch gedopt? Stehen sie unter dem Einfluss wahrnehmungsverzerrender Mittel?

Der Vorwurf klang durch, als sich Michael Holczer, der Teamchef des deutschen Radsportteams Gerolsteiner, vor Kurzem zu Wort meldete und in nur unwesentlich blumigerer Formulierung mitteilte, dass ihm das unendliche Gewese und die Moralisiererei der Medien um Doping im Radsport allmählich gegen den Strich gehe.

Manche Profiradsportler trinken nämlich nur Wasser, das weiß die ganze Branche - und trotzdem steht das Team des angesehenen Holczer womöglich bald ohne Sponsor da. Der Geldgeber steigt aus, und offenbar will partout kein anderer in Sportler investieren, deren ganzes Berufsfeld unter Generalverdacht steht.

Generalverdacht ist gemein, da hat Holczer zweifellos recht. Quatschen die Medien also das tolle Familienspektakel Fahrradfahren kaputt? Übertreiben es die Journalisten mit ihrer Kritik, nachdem sie jahrzehntelang nicht einmal mit dem linken Knie daran gedacht hatten, sich um das systematische Doping im Radsport zu kümmern? Und andererseits: Was sollen sie machen? Alles schlucken, was die Fahrer so sagen? War da nicht mal was?

Das Thema ist heikel, und weil Nikolaus Brender, der ZDF-Chefredakteur, das weiß, ruft er sogar persönlich aus seinem Urlaub (Mallorca) zurück, um Fragen zu beantworten, statt einen Referenten vorzuschicken. Die möglichen Kritikpunkte an der Tour-de-France-Berichterstattung der Öffentlich-Rechtlichen sind schließlich zahlreich. Im Einzelnen:

- zu viel Berichterstattung über die Tour als Sportereignis, zu wenig über die Tour als Apothekenrundfahrt

- umgekehrt

- jegliche Berichterstattung über die Apothekenrundfahrt

- überhaupt keine Berichterstattung über das Sportereignis

2007 waren ARD und ZDF aus der Berichterstattung über die Tour ausgestiegen, als der deutsche T-Mobile-Fahrer Patrik Sinkewitz positiv getestet wurde (obwohl das doch mit den Sendern vorher so nicht ausgemacht gewesen war). Und nun, 2008? Drei Dopingfälle, ein ausgestiegenes Team?

"Es gibt Unterschiede zwischen 2007 und 2008", so Brender. "2007 hatten wir nicht den Eindruck, dass die Organisatoren alles getan hätten, um Doping zu verhindern." Das sei dieses Jahr anders. 2007 "waren die Löcher zu groß", sagt er. "Diese scheinen geschlossen zu sein. Es gibt kein Verantwortungs-Bermuda mehr." Die Dopingkontrollen würden nun von der französischen Dopingagentur durchgeführt - und die drei erwischten Fahrer würden nur zeigen, dass die Kontrollen greifen. "Jetzt auszusteigen, wo die Erfolge des Antidopingkampfes sichtbar werden, wäre ein Fehler", gibt sich Brender überzeugt.

Und so hat man sich bei ARD und ZDF darauf verständigt, das große Radsportereignis Tour de France weiterhin zu übertragen. Zunächst. "Ein Ausstieg ist momentan kein Thema", heißt es auch aus der ARD. Er komme nur infrage, wenn systematisches Doping erkennbar sei. Nur: Wo ist die Grenze? Ab welcher Häufung von Einzelfällen ist Doping systematisch? Drei gedopte Einzelfahrer und ein wegen Dopings ausgestiegenes Team reichen also noch nicht - an diesem Punkt befindet sich die Tour schließlich bereits. Reichen vielleicht fünf Einzelfahrer und zwei systematisch gedopte Teams? Neun Einzelfälle, selbst wenn es bei einem systematisch Doping betreibenden Team bleibt? Schwer zu sagen. Also bleibt man dabei - und auch mit guten Argumenten: Über die "Gesundheitsschädlichkeit zu berichten, die erheblichen Konsequenzen von Doping für den Körper - da besteht ein öffentlich-rechtlicher Auftrag", sagt ZDF-Chefredakteur Brender jedenfalls.

Zeitgleich allerdings meldete sich am Freitag noch einmal die ARD über die Nachrichtenticker und brachte einen weiteren Aspekt ins Spiel. "Es wäre ein großer Fehler, auszusteigen", sagt NDR-Programmdirektor Volker Herres da: "Wir sind uns einig, dass man keinen abstrakten Punkt definieren kann", an dem man die Übertragung einfach lassen sollte. Herres meinte allerdings nicht die Tour de France damit, er meinte die Olympischen Spielen. Ein Ausstieg aus der Tour-Berichterstattung hätte Konsequenzen für die Olympia-Übertragung. Warum hier aussteigen und nicht da?

Und die Rechte an Olympia waren ja auch nicht ganz billig.

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1 Kommentar

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  • SD
    Stefan Dernbach

    Soweit die Quote trägt

     

    Mitten im Kampf aufhören? Das fällt den Fahrern der Tour de France, wie auch den Sendern, die das Rad-Spektakel übertragen, schwer.

    Der Ausstieg der Medien hätte weitreichende Konsequenzen. Man denke nur an die kommende Olympiade und andere Sportveranstaltungen, wo Dopingkontrollen noch erfolgreich geblockt werden.

     

    Der Radsport, auch wenn es erneute Dopingfälle gibt, versucht wenigstens Aufklärung zu betreiben.

    Die Unbelehrbaren wird es weiterhin geben. Denn es geht um viel Geld. Auch für die Sender.

     

    Stefan Dernbach, Siegen (Flimmerwelt)