Tour d'Europe vor den Wahlen: Geister gegen das Scheitern
Im Einsatz gegen rechten und linken Populismus: Der französische Philosoph Bernard-Henri Lévy tourt durch 20 europäische Städte.
BHL. Das Kürzel ist längst etabliert genug, um es dem freien Wortspiel zu überlassen. Bosnie-Hercégovine Libre – damit identifiziert sich Bernard-Henri Lévy, der mit dem Bosnienkrieg sein internationales Coming-out als öffentlicher Intellektueller hatte. Viel Spott wurde über Lévy ausgegossen. Doch am Montagabend war sein Berliner Publikum, das zu seiner „Looking for Europe“-Tour in die Urania gekommen war, ihm zugetan.
Der Saal etwas mehr als halb voll, etwa 500 Leute waren gekommen, um seiner Ode an Europa zu folgen, einem Ein-Mann-Stück, mit dem er bis zur Europawahl durch den Kontinent tourt. Die meisten über 60, die Jüngeren vom Typ Christian Lindner. Folgt diese Wahrnehmung bereits einem Klischee? Und wie kommt man raus aus dem Klischee angesichts eines Mannes auf der Bühne, der selbst im Klischee verschwindet und den das kaum zu stören scheint.
BHL. Da ist dieses zu weit aufgeknöpfte Hemd, das eher an Baywatch als an einen Hörsaal erinnert. Da ist das längere, lässig drapierte Haar, ein Bild von einem Mann, wie man es auf dem Pariser Boulevard Saint-Germain hundertfach antrifft, die Gigolos aus dem Bürgertum, wie es sie nur in katholisch geprägten Ländern gibt. Und da ist die insgesamt zu saubere Kleidung, in der er sich an die Kriegsschauplätze dieser Welt begibt – nur ein Schauspiel, wie es ein Denker niemals aufführen würde.
Mehr ein Philosophendarsteller als ein Philosoph also? Ein Selbstdarsteller, der bereits als Kind Nachrufe auf sich als berühmten Mann verfasste und sie rezitierte, wie er dem Figaro einmal erzählte. Ein geläuterter 68er und „nouvelle philosophe“, ein Medienstar und Millionenerbe, einer, der sich als Erbe Jean-Paul Sartres, als öffentlicher Intellektueller par excellence sieht.
Der Philosoph und der Krieg
Dabei scheinen alle Spötter, die aus BHL einen Witz machen wollen, ihn gleichzeitig für so mächtig zu halten, dass sie ihm zutrauten, als Präsidentenflüsterer einen Krieg angezettelt zu haben: „Er wollte den Krieg und er bekam ihn“, titelte die FAZ, als Sarkozy in Libyen intervenierte.
Gibt es eine unvoreingenommene Sicht auf diesen Abend? Sind die Spötter vielleicht bloß Tugendwächter?
BHLs Stück ist eine Art innerer Monolog, das fiktive Setting ein Hotelzimmer in Sarajevo, wo er migränegeplagt eine Konferenz vorbereitet, um nach 1914 und 1992 einen „dritten Selbstmord Europas“ zu verhindern. Dann geht es so dahin. Und BHL kennt nur eine Pose: Zwei Stunden läuft er auf und ab, hebt den linken Arm, hebt den rechten Arm, deklamiert die Namen großer Männer, Kant, Nietzsche, Hölderlin, Beethoven, bis man selbst erste Migräneanzeichen verspürt. Wie ein Wikipedia-Eintrag über die Geistesgeschichte Deutschlands wirkt dieser Monolog meist.
Wie männerlastig dieses Frankreich doch noch immer ist. Und wie anachronistisch dieser Mann auf der Bühne. Wörter werden zu Begriffsmumien und Kulturdenkmälern, und dennoch verausgabt sich BHL in dieser totalen Monotonie der Gesten, die nur stoppt, als er sich die Hose hochzieht. Sie sitzt viel zu hoch und rutscht an diesem Abend und legt den Blick frei auf einen gealterten Körper, dem nun die Silhouette fehlt.
Die Toten in Bosnien, neues Kriegsgeschrei, „Der Tod ist ein Meister aus Deutschland“, was war das in Chemnitz? Merkel ist das seltene Glück einer großen Persönlichkeit als Politikerin, Sloterdijk ein Denker des Ressentiments. BHL sagt auch viel Richtiges, doch Europa braucht mehr als die Beschwörung des Geistes Edmund Husserls gegen den Geist Martin Heideggers. Sein Vorschlag, den UN-Hauptsitz nach Kurdistan zu verlegen, klingt schon inspirierter.
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