Tote bei Protest in Niger: Repression im Namen von Corona
Massive Korruption bei der Rüstungsbeschaffung sorgt für Empörung in Niger. Aber Protest wird untersagt – wegen der Corona-Gefahr. Das endet tödlich.
„Alles, alles ist verbrannt“, sagt Hamadou, einer der Händler. Er trinkt Wasser und versucht einen Blick hinter die Polizeiabsperrung zu werfen. Normalerweise verkauft er Stoff am Straßenrand, aber das geht gerade nicht. Vier Menschen, so meldet Sani Chekraou Garo, der Präsident der Händlergewerkschaft von Niamey, sind am Sonntag hier verbrannt.
Ab 8 Uhr am Morgen hatten sich Tausende Demonstranten in der Nähe versammelt. Die Polizei hatte den Platz vor Nigers Parlament abgeriegelt und die Menge auseinandergetrieben, teils in die Seitenstraßen des Marktes. Gegen 10 Uhr brach dort Feuer aus. Demonstranten und Händler berichten, Tränengasgeschosse der Polizei hätten Stoffballen entzündet. Das Innenministerium bestätigte am Sonntagabend drei Tote wegen eines Brandes aus noch unbekannter Ursache und kündigt eine Untersuchung an.
Aufgerufen zur Demonstration hatten Oppositionsparteien, Juristenvereinigungen, Menschenrechtsgruppen – und Witwenverbände. Der Grund: Nigers Verteidigungsminister Issoufou Katambé, seit September 2019 im Amt, hatte nach Korruptionshinweisen eine interne Untersuchung eingeleitet. Dabei war herausgekommen, dass seit 2015 enorme Summen aus dem Rüstungshaushalt veruntreut worden sind. Es kursieren Zahlen von umgerechnet 120 Millionen bis 2,6 Milliarden Euro – das gesamte Staatsbudget Nigers beträgt etwa 2 Milliarden Euro pro Jahr.
Die Armeeführung hat demnach Waffenkäufe in China, Russland, Israel und der Ukraine abgerechnet, die Waffen aber weder bestellt noch bezahlt. Katambé hat darüber einen Bericht angefertigt und darüber in einem Video gesprochen, das seither in sozialen Medien die Runde macht. Die Regierung weigert sich, den Bericht zu veröffentlichen. Viele im Land glauben, dass keineswegs bloß einzelne Generäle solch astronomische Summen gestohlen haben. Präsident Mahamadou Issoufou müsse mitgemischt haben.
„Unsere Söhne, unsere Brüder“
Der Korruptionsskandal gewinnt besondere Dynamik dadurch, dass in den letzten Monaten immer mehr Menschen in Niger von bewaffneten Islamisten ermordet wurden, vor allem bei Großangriffen auf Militärbasen. Ein Redakteur des Staatsfernsehens schätzt, dass es in den letzten Jahren über 1.000 Tote unter den Sicherheitskräften gab. Im Aufruf für die Demo am Sonntag hieß es deshalb, die Schuldigen im Verteidigungsministerium hätten „nicht nur öffentliche Gelder gestohlen, sondern auch zum Tod Hunderter junger Soldaten, unserer Söhne, unserer Brüder, unserer Freunde, beigetragen“.
Die Veröffentlichung des Berichts war die wichtigste Forderung der Demonstration. Doch die Behörden untersagten den Aufzug – mit Verweis auf das Coronavirus. Das brachte viele Demonstranten erst recht auf. Denn zum einen ist bislang kein einziger Coronafall in Niger bekannt, zum anderen sind alle anderen öffentlichen Veranstaltungen weiterhin erlaubt.
Journalist in Untersuchungshaft
Schon zuvor hatte die Regierung die Pandemie benutzt, um gegen einen Kritiker vorzugehen: Seit dem 5. März sitzt der Journalist Mamane Kaka Touda im Gefängnis. Er hatte über einen Coronaverdachtsfall in einem Krankenhaus in der Hauptstadt Niamey berichtet – es ging um einen Poliziausbilder aus Italien. Als der Verdacht sich nicht bestätigte, berichtete Touda das ebenfalls. Trotzdem ordnete am vergangenen Montag ein Gericht U-Haft für ihn an, wegen „Verbreitung von Informationen, die zur Störung der öffentlichen Ordnung führen“. Touda arbeitet für das regierungskritische Radio Alternative FM.
Alternative FM wird betrieben von der zivilgesellschaftlichen Gruppe Alternative Espaces Citoyens (AEC), die zu den Mitorganisatoren der Demo am Sonntag gehörte. Während der Demo verhaftete die Polizei nach Angaben von AEC deren Geschäftsführer Moussa Tchangari, den Gewerkschafter Mounkaila Halidou und den Regimekritiker Nouhou Arzika. Die Händlergewerkschaft rief dazu auf, aus Protest am Montag und Dienstag alle Geschäfte geschlossen zu halten.
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