piwik no script img

Tote bei Armeeeinsatz im KongoFreiheiten „brutal unterdrückt“

Nach einem Einsatz der Armee gegen Sekten-Anhänger in Goma steigt die Zahl der Toten. Die UN-Mission im Kongo fordert eine zügige Untersuchung.

Unfassbare Gewalt gegen die eigene Bevölkerung Foto: Screenshot Video VOK/X

Kampala taz | Die Regierung der Demokratischen Republik Kongo hat das brutale Vorgehen von Soldaten gegen mutmaßliche Anhänger einer religiösen Sekte in der ostkongolesischen Provinzhauptstadt Goma verteidigt. Es sei „gerechtfertigt“ gewesen, um „die öffentliche Ordnung in der Stadt wieder herzustellen“, hieß es am späten Donnerstag in einer in der Hauptstadt Kinshasa veröffentlichten Erklärung.

Die offizielle Bilanz der Toten durch den nächtlichen Militäreinsatz wurde mit 43 Toten, 56 Verletzten und 158 Festgenommenen angegeben. Am Mittwoch hatte die Militärverwaltung der Provinz Nord-Kivu von lediglich sechs toten Zivilisten und einem toten Polizisten gesprochen, ein interner Armeebericht hatte dann laut eines AFP-Berichts 48 Tote genannt.

Die Regierung hatte in ihrer Erklärung den Angehörigen der Verstorbenen ihr ausdrückliches Beileid ausgesprochen und erneut erklärt, dass das brutale Vorgehen der Soldaten „gerechtfertigt“ gewesen sei, um die „öffentliche Ordnung in der Stadt wieder herzustellen.“

In der Nacht von Dienstag zu Mittwoch hatten die Sekten-Anhänger einen Gebetszug durch die Armenviertel am Stadtrand der Millionenstadt Goma unternommen. Gleichzeitig hatten sich Milizionäre der Gruppe Wazalendo nachts heimlich getroffen, um einen zuvor verbotenen Protestmarsch gegen die UN-Friedenstruppen am nächsten Morgen vorzubereiten. Die beiden Gruppen hatten sich im Morgengrauen wohl zusammengerottet und waren brutal gegen einen Polizisten vorgegangen, der später an seinen Verletzungen starb. Dann griff das Militär ein.

Angehörigen der Zutritt verwehrt

„Kongolesische Streitkräfte scheinen in die Menge geschossen zu haben, um einen Protest zu verhindern, eine äußerst brutale und illegale Art, ein Verbot durchzusetzen“, so Thomas Fessy von der internationalen Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) in Kongo: „Seit zwei Jahren nutzen die Militärbehörden das Kriegsrecht in der Provinz Nord-Kivu, um Grundfreiheiten brutal zu unterdrücken“, so HRW.

Glaubwürdigen Berichten zufolge werden die meisten Leichen in der Leichenhalle eines Militärkrankenhauses aufbewahrt, zu der Familienangehörigen der Opfer der Zutritt verwehrt wird. HRW fordert, dass „diejenigen hochrangigen Militäroffiziere, die den Einsatz rechtswidriger tödlicher Gewalt angeordnet haben, suspendiert und zur Rechenschaft gezogen werden“ sollten.

Todeszahlen nach oben korrigiert

Am Donnerstag musste letztlich auch der Militärgouverneur Constant Ndima die Todeszahlen korrigieren. „Seit gestern Morgen laufe ich durch die Stadt“, erklärte er Journalisten. „Gemeinsam mit dem Arzt haben wir in der Leichenhalle des Militärcamps in Katindo sowie im Militärkrankenhaus zunächst nur sechs Tote gezählt“, so der General. „Dann allerdings erhöhte sich die Zahl der Opfer schnell.“

Die Situation sei eskaliert, als Schüsse fielen, fügte General Ndima hinzu. „Die Demonstration, von der wir gehofft hatten, dass sie friedlich verlaufen würde, wurde zu einem Albtraum.“ Angesichts der sich rapide verschlechternden Lage sah sich die Armee gezwungen, einzugreifen, so der Militärgouverneur.

Bürgermeister hatte Sektenmarsch verboten

Der Bürgermeister von Goma, der diesen Marsch zuvor verboten hatte, betonte die gewalttätige und unberechenbare Natur dieser Sekte. Diese tragischen Ereignisse verdeutlichen die Notwendigkeit erhöhter Wachsamkeit gegenüber extremistischen Gruppen, die die öffentliche Sicherheit gefährden können.

Die Armee und Regierung rechtfertigt ihr brutales Vorgehen damit, dass die Jugendlichen bewaffnet gewesen seien. Videos, die nun von Zivilisten und Journalisten online gestellt werden, lassen allerdings darauf schließen, dass dies nicht der Fall war. In der Menschenmenge sind keine Waffen zu sehen.

Die taz hatte am Donnerstag bereits ein Video gesehen, auf welchem sechs Leichen auf einen Armee-Lastwagen gehievt und abgefahren wurden. Dieses Video bestätigte die offiziellen Angaben von sechs toten Zivilisten. Jetzt ist ein weiteres Video aufgetaucht. Es zeigt einen weiteren Armee-Lastwagen – bis an den Rand voller Leichen.

Die UN-Mission im Kongo, Monusco, fordert die kongolesischen Behörden nachdrücklich auf, „zügig eine unabhängige Untersuchung einzuleiten“ sowie die „Rechte der Gefangenen zu wahren“.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • Das Kriegsrecht erlaubt dem angegriffenen Staat, sich zu wehren und sich zu verteidigen ("Verteidigungskrieg). Wenn ein Staat einem anderen Staat mit Krieg droht, kann es sein, dass der bedrohte Staat dann einen Krieg beginnt. Das nennt man "Präventivkrieg". Man darf kein Kriegsrecht gegen eine illegale Demo mit unbewaffeneten Zivilisten einwenden! Dafür ist eine Bereitschaftspolizei normalerweise zuständig und nicht das Militär. Aber was ist schon "normal" in Goma?