Totalumbau beim Mischkonzern: Alles muss raus bei Thyssenkrupp
Die kriselnde Industrie-Ikone Thyssenkrupp wird zerschlagen, ihre Betriebsteile „kapitalmarktfähig“ getrimmt. Arbeitnehmervertreter:innen machen mit.

Die betroffenen Arbeitnehmervertreter:innen bewerteten die geplante Aufspaltung des Konzerns, die am Montag verkündet worden war, nicht so eindimensional: IG Metall und Konzernbetriebsrat wissen, dass Thyssenkrupp seit Jahren wankt – weniger wegen der Politik als vielmehr wegen hauseigener Fehler und stark konjunkturabhängiger Produkte.
Die Arbeitnehmervertreter:innen kritisierten deshalb zwar, dass sie „nicht angemessen in die strategische Diskussion eingebunden“ worden seien. Einer „sinnvollen strategischen Neuausrichtung“ von Thyssenkrupp stünden sie jedoch „nicht im Wege“, heißt es in einer Mitteilung.
Fit für Börse oder Fusionen
Thyssenkrupp-Boss Miguel López hatte kurz zuvor einen erneuten Strategieschwenk für die 96.000 Mitarbeitenden weltweit angekündigt: die Zerschlagung des seit Jahren kriselnden Industriekonzerns. „Kern der Überlegungen ist es, schrittweise alle Geschäftsbereiche von Thyssenkrupp zu verselbstständigen und für die Beteiligung Dritter zu öffnen.“ Im September solle der Aufsichtsrat darüber beschließen.
Die einzelnen Sparten sollen fit für die Börse oder für Fusionen gemacht und die Restbeteiligungen unter dem Dach einer verschlankten Zentrale in einer Holding gebündelt werden. Ähnlich hatte es Lopez’ Vorgängerin Martina Merz bereits 2023 vorgeschlagen – und war demontiert worden. Dann träumte der frisch installierte López von einer „stärkeren operativen Steuerung“ aller Sparten durch die Zentrale in Essen. Nun also die Wende der Wende.
Dahinter stecken dramatisch schlechte Bilanzen: Im Geschäftsjahr 2023/24 fuhr Thyssenkrupp ein Minus von 1,5 Milliarden Euro ein, zuvor hatte es bereits einen Verlust von 2,1 Milliarden Euro gegeben. Das Votum vieler Beteiligter: Der weitverzweigte Mischkoloss ist in seiner derzeitigen Form nicht überlebensfähig.
Deshalb hatte López bereits angefangen, einen Anteil von Thyssenkrupp Marine Systems abzuspalten. Immerhin hat die Tochter zuletzt mehrere milliardenschwere U-Boot-Aufträge an Land gezogen. An die Holding des tschechischen Milliardärs Daniel Křetínský sind zudem bereits 20 Prozent der angeschlagenen Stahlsparte verkauft worden, 50 Prozent sollen es werden. Aber die Lage von Deutschlands mit derzeit noch 27.000 Mitarbeitenden größtem Stahlhersteller ist weiter prekär.
Der Sektor kämpft mit der Zurückhaltung wichtiger Kunden aus Automobilindustrie und Maschinenbau. Hinzu kommen hohe Energiekosten sowie der Druck durch Billigimporte aus China und Indien. Die Stahlpreise sind laut einem am Dienstag veröffentlichten Bericht der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) auf dem niedrigsten Stand seit vier Jahren.
Grünes Stahlprojekt fraglich
Deshalb fehlt der Branche laut OECD Geld, das sie für den klimafreundlichen Umbau ihrer Produktion bräuchte. So soll in Duisburg für rund drei Milliarden Euro eine Anlage entstehen, die mit Wasserstoff umweltfreundlichen, „grünen“ Stahl produzieren kann. Bund und Nordrhein-Westfalen beteiligen sich mit rund zwei Milliarden Euro an dem Projekt. Aber im März gab López bereits zu, es sei „nicht sichergestellt, dass wir die Anlage in absehbarer Zeit wirtschaftlich betreiben können“.
Auch die anderen Sparten sollen „kapitalmarktfähig“ getrimmt, also möglichst profitabel gemacht werden. Wahrscheinlich zu Lasten der Arbeitsplätze. Aber: Ohne frisches Kapital werden es auch die „Perlen“ im Thyssenkrupp-Portfolio schwer haben. Da ist zum Beispiel Nucera zur Herstellung von grünem Wasserstoff mit bereits über 600 Elektrolyseprojekten weltweit. Eine Pilotanlage für die industrielle Nutzung wurde am Dienstag im thüringischen Arnstadt präsentiert. Schwieriger wird die Partnersuche wohl für die Sparten Werkstoffe und Autoteile.
Es müsse klare Aussagen zu Beschäftigung und Standorten geben, betriebsbedingte Kündigungen ausgeschlossen werden, hieß es von Seiten der Arbeitnehmervertreter:innen. Der Konzern dürfe nicht einfach filetiert und nach und nach an die Börse gebracht werden – „ohne Zukunftsbilder mit Perspektiven für Mitarbeiter und Standorte in allen Bereichen“.
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