: „Torhüter sind aggressiv“
Besuch bei José Luis Chilavert, dem robusten Keeper von Racing Straßburg, der mit der Nationalelf Paraguays bei der Fußball-WM gern gegen Oliver Kahn und das deutsche Team spielen würde
aus Straßburg PETER PUTZING
Es ist nicht einfach, einen Termin mit José Luis Chilavert zu bekommen. Der Torhüter, der Ende der 90er mehrfach zum besten Keeper der Welt gewählt wurde, mag die Medien nicht. Mit Argentiniern redet er gar nicht, mit Medienleuten aus Paraguay und Frankreich, wo „Chila“ derzeit bei Racing Straßburg unter Vertrag steht, selten.
Doch Marc Keller, der neue Racing-Manager und Exprofi des Karlsruher SC, setzte sich ein – und machte einen Termin. Um ja pünktlich zu sein, hieß das: Bei Eiseskälte eine Stunde am Trainingsplatz an der Meinau stehen – und Chilavert bewundern. Der Mann, den man weltweit wegen seines bärbeißigen Auftretens nur „Bulldogge“ nennt, gab sich locker und scherzte sogar mit den Fans. Dann: Abpfiff durch Straßburgs Coach Ivan Hasek. Auge in Auge mit dem Koloss (188 cm/94 kg) aus Südamerika. „Marc Keller hat einen Termin gemacht? Er ist für Racing zuständig – nicht für Chila. Chila macht seine Sachen selbst!“
Wumm. Umsonst gefahren, gewartet und gefroren? Doch dann: eine Drehung, ein breites, gönnerhaftes Grinsen – ein freundschaftlicher Hieb auf die Schulter. „Aber Chila hat Zeit für einen deutschen Schreiber. Ich mag Deutschland.“ Dann sprudelt es nur so aus dem Topstar Südamerikas heraus, der in seiner Heimat ein ganz besonderes Auto fährt. Das „Papa-Mobil.“ Als Johannes Paul II. Paraguay besuchte, kaufte der tiefgläubige Chilavert das Papstfahrzeug nach dessen Abreise. Für Chila ist das Beste gerade gut genug.
José Luis Chilavert ist nicht nur Kapitän der Nationalelf von WM-Teilnehmer Paraguay, sondern auch der beste Torschütze unter den Torhütern dieser Erde. 65 Treffer erzielte er schon, vier davon in der WM-Qualifikation für 2002, zwei Freistöße, zwei Elfmeter. Für Racing hämmerte er im Pokalfinale den entscheidenden Elfmeter ins Netz.
Der 36-Jährige ist ein Titelsammler. Die Meisterschaften von Paraguay und Argentinien errang er neunmal, den Weltpokal hielt er ebenso in den Händen wie den französischen Cup. Bei der WM 1998 scheiterte er mit Paraguay im Achtelfinale unglücklich am späteren Titelträger Frankreich. In der Heimat hat er einen fast göttlichen Status. Zeigt sich „Chila“ in der Öffentlichkeit, ist das so, als würde Paul McCartney mit Franz Beckenbauer durch München schlendern. Für die Zeit nach seiner Profikarriere hat er ein bescheidenes Ziel: Er will Präsident von Paraguay werden.
Doch im Moment hechtet der kommende Staatsmann in den Niederungen der zweiten französischen Division dem Ball hinterher. „Ich kam zu Racing, als Straßburg Erstligist war. Aber Racing konnte mir auch in der zweiten Liga das bezahlen, was ich wollte. Zudem werden wir aufsteigen“, so der Torhüter, der gerne über den Rhein nach Deutschland fährt, wo er sich mit seiner Familie unerkannt bewegen kann. „Wir fahren oft nach Baden-Baden, Karlsruhe, Stuttgart oder auch Freiburg. Deutschland gefällt mir sehr.“ Auch der deutsche Fußball interessiert ihn – und er kennt sich aus, weiß, dass Werder Bremen einen Torhüter sucht. „Ich habe bei Racing einen Vertrag bis 2003. Aber natürlich kommen immer wieder Anfragen aus dem Ausland. Ich kenne Werder Bremen, und das würde mir sehr gefallen. Ich bin Profi – und jeder Profi hört gerne neue Angebote.“
Doch die wurden von Jahr zu Jahr weniger, denn auch Prügeleien und Provokationen gehören zu seinem Tagesgeschäft. Als er Anfang der 90er bei Real Zaragoza auf der Bank saß, ohrfeigte er Mitspieler. Mit dem Kolumbianer Fausto Asprilla lieferte er sich einen Boxkampf, den Exkapitän der argentinischen Nationalelf Oscar Ruggeri bespuckte er – wie kürzlich auch Brasiliens Roberto Carlos. Das brachte Chilavert eine Sperre für die beiden ersten Partien bei der WM 2002 in Japan ein. „Ich finde, das Urteil ist ziemlich hart. Dass ich Roberto Carlos angespuckt habe, war ein sehr schlechtes Beispiel von mir für junge Fußballer, aber manchmal zeigen Sportler Emotionen und Reaktionen.“ In Südamerika werden für Chilavert schon mal Recht und Gesetz zurechtgerückt. Als er beim argentinischen Spitzenclub Velez Sarsfield spielte und wegen einer Schlägerei 13 Monate Berufsverbot plus eine Gefängnisstrafe von drei Monaten kassierte, durfte er nur drei Tage nach Urteilsverkündung wieder in der Nationalelf ran – Amnestie wegen nationalen Fußballnotstandes.
„Alle guten Torhüter sind aggressiv im Spiel“, rechtfertigt sich Chilavert. „Sie in Deutschland kennen das doch. Denken Sie an Kahn, Toni Schumacher oder auch Sepp Maier. Aggressivität verschafft Respekt, und Respekt bringt gute Leistung.“ Wenn er vom deutschen Fußball redet, dann spricht er über Oliver Kahn, seinem Nachfolger, als bestem Torhüter der Welt. „Kahn hat ein sehr hohes Niveau. Er und die anderen älteren, erfahrenen Torhüter sind die Besten. Ich denke an Schmeichel, Barthez und eben Kahn.“ Gern würde Chilavert einmal gegen Deutschland und gegen Kahn spielen, am liebsten schon in diesem Jahr bei der WM in Korea. „Oder vielleicht auch 2006, bei der nächsten WM in Deutschland.“
Bei der WM könnte er allerdings sehr beschäftigt sein, denn Paraguay entließ trotz erfolgreicher WM-Qualifikation nach zuletzt schwachen Spielen Trainer Sergio Markarian. Nachfolger wird der Italiener Cesare Maldini, doch ein heißer Kandidat soll auch José Luis Chilavert – als Spielertrainer – gewesen sein. „Alles ist möglich. Den nötigen Trainerschein erwarb ich vor Jahren in Argentinien“, sagt der Torwart. Insider munkeln, dass der 70-jährige Maldini ohnehin nur Staffage sein wird. Die Entscheidungen treffe: natürlich Chila.
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