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Topographie des TerrorsZweifel an Opas Unschuld

Eine Ausstellung über den Umgang mit den Nazis nach 1945 wurde von einem Schulmuseum gestaltet. Sie wendet sich auch vor allem an jüngere Besucher.

Einer der Forderungen der jugendlichen Ausstellungsberater: Dass man sich zwischendurch hinsetzen und nachdenken kann Foto: Sebastian Eggler

Berlin taz | Am Anfang steht der Schlussstrich. „Schluss mit Entnazifizierung, Entrechtung, Entmündigung“ fordert da die FDP 1949 auf einem blutroten Wahlplakat. „Die Deutschen sind verantwortlich“ für den Krieg: Das bejahen in einer Umfrage von 1946 nur 28 Prozent der Befragten, eine „Teilschuld“ sehen dagegen 63 Prozent. 68 Prozent sind der Auffassung, dass die Deutschen aufgrund des Versailler Vertrags ein Recht gehabt hätten, einen weiteren Krieg zu beginnen. In der zweiten Hälfte der 1940er Jahre war ein Großteil der Bevölkerung freilich nicht mit Reflexionen über Vergangenes beschäftigt. Vor allem suhlte man sich im eigenen Leid, das doch den durch die Nazis verursachten Horror mindestens überwiegen würde, so die landläufige Auffassung.

„Die Nazis waren ja nicht einfach weg“, lautet der Titel der Sonderausstellung in den Räumen der Topographie des Terrors, die der Frage nachgeht, wie die Deutschen in Ost und West nach 1945 mit dem Nationalsozialismus umgingen. Die Schau operiert mit Stellwänden, Tischen, einigen Objekten – soweit geht es dort zu wie bei vielen Ausstellungen zum Thema Nationalsozialismus. Doch hier ist etwas anders.

Denn diese Schau wurde von einem Schulmuseum gestaltet, genauer: vom Schulmuseum in Nürnberg. Und an der Präsentation waren nicht nur Historiker und Pädagogen beteiligt, sondern auch Schülerinnen und Schüler von Realschulen und Gymnasien ab der 9. Klasse aufwärts, beteiligt war auch das Kant-Gymnasium in Spandau.

Das merkt man schon vor dem eigentlichen Beginn, denn da sprechen Schülerinnen und Schüler auf einem Monitor über ihre Vorstellung, wie es in Deutschland im Jahre 1945 ausgesehen haben mag. Dabei bleibt es nicht. Nicht großformatige Bilder von Nazigräueln und Häusertrümmern beherrschen die Stellwände, sondern Zeichnungen illustrieren sieben der acht Kapitel. Eine Art Wimmelbilder, die nackte Informationen greifbarer machen, als Zahlen dies könnten. 80 oder gar 90 Jahre sind für einen 15-Jährigen unendlich weit weg. Wie schafft man es dennoch, Interesse für diese Zeit zu wecken?

Deutsche Kinder nach dem Krieg

Da verbrennen Jugendliche eine Hakenkreuzfahne, darüber steht in Maschinenschrift „Alle Inschriften der N.S.D.A.P. müssen entfert werden.“ Da deutet der Grafiker David von Bassewitz die zerstörten deutschen Städte an. Dazu erscheinen die Opferzahlen: 6,3 Millionen tote Deutsche, größtenteils Soldaten, 26 Millionen getötete Sowjetbürger, sechs Millionen Juden, 350.000 psychisch Verletzte und körperlich Behinderte, 200.000 Sinti und Roma.“

Die Schau richtet sich, wie sollte es bei einem Schulmuseum anders sein, vor allem an junge Menschen (ist aber durchaus auch für Ältere keine Überforderung). Glücklicherweise sind die Ausstellungsmacher aber nicht auf den Gedanken gekommen, komplizierte Sachverhalte zu simplifizieren.

Aber poppiger darf das Ganze schon sein, ohne deshalb ins Banale abzugleiten. Kurator Mathias Rösch berichtet, die jugendlichen Berater hätten sogar Wert darauf gelegt, dass man sich in der Schau zwischendurch an Thementischen auch mal hinsetzen und nachdenken könne. „Die Schüler haben gefordert: Rückt das Thema an uns ran“, berichtet Rösch.

Deshalb will die Schau die Perspektive junger Leute in den Mittelpunkt nehmen. Und so kommen in den Tafeln und Objekten ganz besonders Menschen zu Wort, die damals in dem Alter waren, in dem die Jungen heute sind. Da antwortet ein Schüler einer 7. Klasse 1946, warum der Krieg verloren gegangen ist.

Eine 14-Jährige sieht Deutschland als das Volk, das besonders habe leiden müssen. Ein anderer Schüler schwadroniert 1951, dass Polen „sehr grausam“ und „schlampig“ seien – Beispiele dafür, wie sich der NS-Rassismus in den Köpfen der Jugendlichen festgesetzt hat. Die Statements von damals werden in die damalige Debattenkultur eingeordnet. Aber die Ausstellung operiert deshalb nicht mit dem erhobenen Zeigefinger.

War Opa wirklich unschuldig?

Der 21-jährige Karl Hoffmann berichtet 1944 seinen Eltern von seinen Fronterfahrungen. „In wenigen Minuten sausten über 10 Russen brennend in die Tiefe. Ihr könnt euch die Freude vorstellen. Herrliche Bilder“, schreibt Hoffmann, der bald darauf selbst fällt. Es sind solche Zitate, die Zweifel säen an der Unschuld von liebevollen Großvätern und Urgroßvätern 80 oder 90 Jahre später.

Die Täter, die aus dem Krieg zurückkehren, tun das in aller Regel ohne Reue, auch wenn sie Mörder sind. Schon bald dürfen frühere Gestapo-Männer beim westdeutschen BND tätig werden, während ehemalige Nazis sich im Osten als Spitzel von der Stasi anwerben lassen.

Wenn es um die eigene Schuld geht, das macht die Schau deutlich, gibt man sich unschuldig wie eine Braut. Auf die Frage nach der Mitschuld an der Judenvernichtung antworten 88 Prozent mit Nein. Ähnlich unschuldig gibt sich die bundesdeutsche Justiz, die bei der Verfolgung der Täter bemerkenswerten Langmut zeigt. Und auch dieses betrübliche Kapitel Nachkriegsgeschichte geht in der Schau auf den Fall eines Mannes ein, der als 16-Jähriger als SS-Angehöriger im KZ Menschen gequält hat – und deshalb mit einer Jugendstrafe davon kommt.

Die Ausstellung geht auch auf die überlebenden Opfer ein, besonders auf die kleine Gruppe, die sich entscheidet, trotz des Geschehenen in Deutschland zu bleiben. Da wird Charlotte Knobloch zitiert mit den Worten: „Ich wollte nicht zurück nach München, ich wollte nicht mit den Menschen zusammen sein, die uns so ausgegrenzt, die uns so beleidigt, die uns angespuckt haben, die uns gehasst haben.“

Der Zeithorizont der Ausstellung reicht bis zum heutigen Tag, was zwangsläufig dazu führen muss, dass manche Entwicklungen nur angetippt werden können. Andererseits: Würde die Schau früher enden, entfiele auch die Identifikation der jüngeren Besucher mit ihren Inhalten. Schließlich leben sie in der Gegenwart und deshalb gehört es unbedingt dazu, auch davon zu erzählen, wie sich Rechtsextremisten heute wieder darum bemühen, mit ihren braunen Pfoten die deutsche Geschichte zu besudeln.

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