Tomatenverkostung in Österreich: Another day in Paradeis

Von säuerlich-süß über zitrisch bis stachelbeerig: Tomaten schmecken ziemlich unterschiedlich. Eine Erkundung im österreichischen Burgenland.

Zwei aufgeschnittene, rot-grünliche Tomatenhälften

Die Ananas Noire in voller Pracht Foto: Stekovics/Angerer

Erich Stekovics hat sich im Burgenland einen Namen gemacht. Der 56-Jährige ist bekannt als „Kaiser der Paradeiser“, schließlich besitzt er mit mehr als 7.000 als Saatgut archivierten Sorten die größte Tomatenvielfalt der Welt, rund 1.000 davon hat er in diesem Jahr angebaut.

Eingeladen in Stekovics’ Domizil nahe dem Neusiedler See hat mich Koch.Campus, eine Interessenvereinigung für österreichische Landwirtschaft, Produkte und Küche. Auf dem Programm stehen Verkostungen, Workshops und Feldbegehungen. Stekovics sagt, die Tomate sei eine der intelligentesten Gemüsesorten, weil sie unter der Erde mittels Duftstoffen über Schädlinge kommunizieren und diese besser abwehren kann. Die Zucchini zähle dagegen zu den eher minderbemittelten Gemüsesorten. Communication is key.

Uns will Stekovics eine Auswahl aus 21 Sorten verkosten lassen, aufgeschnitten, roh und pur. Ich stelle die Behauptung auf, dass Tomaten jeder kann, erinnere mich dann aber an die häufige Erwähnung von „Tomaten“ im Poesiealbum unter der Frage „Das mag ich nicht so gern“. Zum Glück mag ich Tomaten herzlich gern.

Der nun auszufüllende Fragebogen für die Verkostung beginnt mit Äußerlichkeiten: „Wie ist die Haut der Tomate?“, wobei als exemplarische Antworten „zart, trocken, spröde, saftig …“ vorgeschlagen werden. Die grün-gelb-gestreifte Haut der Sorte „Grünes Zebra“, um die es an dieser Stelle gehen soll, fühlt sich knackig, glatt und zart an. Sie erinnert mich an die Tomaten aus dem Garten meines Großvaters, die meine Schwester und ich im Sommer mit dem Körbchen einsammelten, Sorte unbekannt, aber im Radio lief „Pack die Badehose ein“ von Conny Froboess.

An welches Obst der Geschmack dieser Tomate erinnert, ist noch so eine Frage, und sie lässt mich an nächtliche Diskussionen auf WG-Partys denken, darüber, ob die Tomate nun ein Obst oder ein Gemüse sei. Und schon schmeckt die Grüne Zebra nach der jugendlichen Hybris, die uns Philosophiestudenten dazu trieb, botanische Fragen mit Biologen aushandeln zu wollen. Dann aber schmeckt sie säuerlich-süß, etwas zitrisch, mit der Erinnerung an den Opa kommen mir also Johannisbeeren in den Sinn, die dort auch wuchsen, außerdem Anklänge von Marille und Traube. Die Auswertung zeigt dann, dass die anderen außerdem Ananas, Banane und Sternfrucht geschmeckt haben. Für einige war die Grüne Zebra „fleischig“, „saftig“ oder gar „scharf“.

Zweig eines Tomatenstrauchs

So sieht Grünes Zebra aus … Foto: Stekovics/Angerer

Die Folgefrage nach dem passenden Gemüse ist schwieriger. Denn ich verbuche die Tomate kulinarisch – wenn auch nicht botanisch – als ebensolches, empfinde es aber als einfacher, eine geschmackliche Assoziation mit einer anderen Kategorie herzustellen denn mit derselben. Somit erinnert mich der Geschmack einer Tomate zuerst und zunächst an: eine Tomate, und vielleicht noch an die Paprikachips, die ich beim letzten Gucken von „Grüne Tomaten“ gegessen habe.

Doch die Teilnehmerschaft notiert wild, ich schmecke nach und kann mich auf die Notiz von „Gurke, Sellerie --> Gazpacho?“ einigen. Die anderen Anwesenden haben Noten von Zucchini, Aubergine und Paprika gefunden. Paprikachips, sag ich doch!

Fataler wird es bei der Frage, welcher Weinsorte die Tomate ähnelt. Denn Wein konsumiere ich zwar gern, habe aber von der Materie wenig Ahnung. In puncto herber Knackigkeit und Adstringenz denke ich an Grünen Veltliner oder Vinho Verde und das Gefühl von „noch grün hinter den Ohren“. Ich frage mich, wie meine Notizen wohl bei einer Blindverkostung ausgesehen hätten, und außerdem, wie nun „knackig“ zu „cremig“ passen soll, wie „fleischig“ zu „Sellerie“, bin aber im Großen und Ganzen zufrieden mit mir und schließe final ab mit „sehr frisch, fordernd, aber balanciert, stachelbeerig“, wobei ich nicht denke, dass letzteres Adjektiv existiert.

Tomate als ganze Frucht und als Scheibe.

… und so das Modell Kosovo Foto: Stekovics/Angerer

Damit liege ich im Spektrum dessen, was auch andere geschmeckt, gefühlt und gedacht haben. Nach der Verkostung stellt sich außerdem heraus, dass noch weitere Teile der Truppe Großväter mit Johannis- und Stachelbeeren im Garten hatten.

Auch Erich Stekovics, aufgewachsen mit einem väterlichen Nebenerwerbslandwirt, erinnert sich an „lange Nachmittage auf dem Dachboden meines Elternhauses, wo wir Samen aussortiert und in Damenstrümpfe, die meine Mutter ausgemustert hatte, abgefüllt haben“. Weitere Stationen seines Lebens sind das Studium der Theologie und eine Arbeit als Religionslehrer sowie sein Zivildienst, den er mit Chemotherapiepatienten verbrachte. Mit ihnen sprach Stekovics viel über die Bedeutung verbleibender Zeit und was man mit ihr täte, wenn man sie denn hätte. Vor rund 23 Jahren wechselte er dann komplett in den Gemüseanbaubetrieb des Vaters. Seine Frau Priska hat sich inzwischen übrigens auf Zwiebeln spezialisiert.

Tom Wagners Schatz und Justus Zuckersüß

Für uns geht es nun weiter, die Fragen nach Haut, Geschmack, Obst, Gemüse und Wein wiederholen wir mit 20 weiteren Tomatensorten. Etwa der „Big Rainbow“, einem deutlich reiferen, intensiveren und in seiner Süße konzentrierten Exemplar, rot-orange gestreift und von rosé-gelblichem Innenleben. Visuell ins Auge sticht besonders „Tom Wagners Schatz“, eine schwarze Kugel, prall gefüllt mit gelbem Fleisch und benannt nach dem bekanntesten Tomatenzüchter weltweit (der wiederum der Schöpfer der „Grünen Zebra“ ist). Die tief orangefarbene „Goldita“ ist eine Kirschtomate und kristallisiert sich mit ihrer honigsüßen Aromenstruktur schnell als ein Publikumsliebling heraus, selbst vor dem aromatisch recht ähnlichen, dafür aber knallroten Kollegen namens „Justus Zuckersüß“.

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Es gibt kaum eine Form und Farbe, die eine Tomate nicht annehmen kann, außer vielleicht Würfel und Blau. Die „Grüne Moldawische“ etwa sieht von außen aus wie ein noch unreifer Hokkaido und von innen wie eine Kiwi, die „Azoychka Russian“ hingegen wie ein reifer Kürbis, und die „Schwarze Ananas“ hat ein Innenleben, das ein zartgliedriges Kaleidoskop aus Feuerrot und Grün enthält.

Und was tut man an einem Abend nach 21 verkosteten Tomaten? Weitermachen. Die anwesenden Köche reichen die roten Gemüsefrüchte in Form von Soda, Caprese, Kraut und Sugo, gegrillt, gebacken und geschäumt, bis hin zum Eis. Danach gehen wir schlafen, denn morgen ist another day in Paradeis.

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