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Tod von Gerhart BaumEinsamer Rufer in der FDP-Wüste

Kommentar von Gunnar Hinck

Gerhart Baum hielt seine liberalen Werte auch dann hoch, wenn es unbequem war. Christian Lindners Trauer-Statement ist reichlich verlogen.

Ur-liberales Gegengewicht: Gerhart Baum (l.) neben Hans-Dietrich Genscher und Helmut Schmidt im Bundestag auf der Regierungsbank Foto: dpa

I mmer wenn ein Sozialliberaler oder eine Sozialliberale der FDP aus einer Zeit, als sich die Partei noch stolz mit Pünktchen schrieb („F.D.P.“), stirbt, ist die zumindest vorgezeigte Bestürzung groß. Die FDP und das Land verlieren eine starke Stimme für Bürgerrechte und das soziale Gewissen, heißt es dann. Das war bei Burkhard Hirsch und Hildegard Hamm-Brücher so, das ist jetzt auch bei Gerhart Baum der Fall, der nun mit 92 Jahren gestorben ist.

Baum war ein mutiger Politiker, der seine Werte nicht nur dann hochhielt, wenn es opportun erschien. Im „Deutschen Herbst“ 1977 fiel er als einer der ganz wenigen auf, die zu staatlicher Mäßigung aufriefen. Er war damals Staatssekretär im Bundesinnenministerium, später wurde er Innenminister. Damals – die RAF hielt die Bundesrepublik mit einer tödlichen Anschlagsserie in Atem – überboten sich Regierung und Opposition darin, die Bürgerrechte und die Rechte von Angeklagten kleinzumachen und die Macht von Polizei und Ermittlungsbehörden auszuweiten.

Gerhart Baum teilte die Methoden der Linksterroristen nicht, wollte aber ihre Motive verstehen. 1979 führte er als Innenminister im Spiegel ein Streitgespräch mit RAF-Mitbegründer Horst Mahler, der damals als Freigänger noch halb im Gefängnis saß. Das wäre so, als wenn Nancy Faeser die verurteilten Aktivisten der Letzten Generation im Gefängnis besuchen würde. Undenkbar, oder?

Baum war zuletzt ein einsamer Rufer in der FDP-Wüste. Er kritisierte, dass sich die FDP zu einer Einmannpartei verengt hat. Und: Die FDP müsse mehr auf eine Einhegung der Digitalkonzerne und Klimaschutz setzen und dürfe keine Klientelpartei für Reiche sein, so seine Mahnung.

Mit Gerhart Baum verliere die FDP „eine der kräftigsten Stimmen für Freiheit, Menschenrechte und Demokratie“, schreibt Ein-Mann Christian Lindner nun. Das ist wohlfeil. In Wirklichkeit tut er nichts dafür, Stimmen zu fördern, für die Liberalismus mehr bedeutet, als die eigenen Ellenbogen auszufahren. Die FDP ist eine intellektuell und programmatisch verarmte Partei, und das ist in erster Linie das Werk des Parteivorsitzenden.

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ist Redakteur im taz-Ressort Meinung.
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15 Kommentare

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  • Die Zeit der Einmannpartei F.D.P. ist vorbei. Der eine Mann, der sie noch (mehr als nur) repräsentierte, war Gerhart Baum. Wichtige Fragen hat er bis vors Bundesverfassungsgericht gebracht und so das Recht im Rechtsstaat noch gelegentlich wieder grade gerückt. Pflöcke echter Liberalität in den Boden der Verfassung geschlagen zugunsten der BürgerInnen. Von sowas ist die heutige FDP astronomisch weit entfernt. Wobei: Wenn wir sie auf den Mars schießen, will der Musk garnicht mehr dahin! Das hätte was für sich!

    Zur Zeit gibt es keinen Mann mehr in der FDP. Nur Memmen, die nicht mal 4 Jahre einer Koalition treu dienen können.

  • Einer der letzten aufrichtigen Politiker der Republik.



    Unzählig die Stellungnahmen und praktischen Aktionen für Menschenrechte, Gleichberechtigung und Gerechtigkeit.



    Mir war nie klar warum er ,Angesichts der FDP Politik der letzten Jahrzehnte, Mitglied dieser Partei blieb.



    R.I.P.

  • Apropos Krokodilstränen für den Liberalismus: dass die FDP für politischen Liberalismus stand - falls überhaupt je als Partei -, ist wohl schon ewig her. Das Loblied sollte sich allerdings auch die Gründungsjahre der "Liberalen" bis in die 50er vergegenwärtigen, rechts von der CDU. Und auch ein Blick in den Spiegel verrät: das Grün nahm zum Ende des letzten Jahrtausends eine diametral andere Schattierung an. Le Monde Diplomatique, hier nicht unbekannt:



    "The leaders and the entire executive committee of its youth organisation also resigned, and even quit the party because it was taking a direction incompatible with their ideals. Yet the national leadership shows no sign of changing course. Robert Habeck has called for Germany to spend 3.5% of its GDP on defence, effectively devoting a third of the federal budget to the most environmentally damaging sector of the economy. The idea of positioning Germany and the EU as a force for peace between the rival blocs in the new geopolitical reality is not even mentioned." -The Greens, driving force of German militarism, LMD Feb 2025

  • Danke - klare zutreffende Worte

    unterm——zur Dimension —- Gerhart Baum vs:



    “…Damals – die RAF hielt die Bundesrepublik mit einer tödlichen Anschlagsserie in Atem – überboten sich Regierung und Opposition darin, die Bürgerrechte und die Rechte von Angeklagten kleinzumachen und die Macht von Polizei und Ermittlungsbehörden auszuweiten.“



    In der Tat. Le feldwebel BK Helmut Schmidt verließ bei der Schleyerentführung den Boden seines Amtseides “Keine Denkverbote!“



    ——& Däh



    ( Bei dem ehemaligen stellvertretenden Frankfurter Polizeipräsidenten Wolfgang Daschner zB - fiel das auf fruchtbaren Boden!



    de.wikipedia.org/wiki/Daschner-Prozess



    & bis zur Folterrelativierung =>



    Einen Prof Horst Dreier - “Folter des mutmaßlichen Täters zum Schutz des Lebens eines entführten Opfers“ - kostete solches - bis dato unverstellbares - die Berufung Karlsruhe!



    Zu recht •



    de.wikipedia.org/wiki/Horst_Dreier



    ps mit BMI Nancy La Maxima Fraency van Görg Ffm - ist vllt dennoch immer noch Luft nach oben! Gelle - rechtsdrifting ist noch nicht ausgereizt - liberale Stimmen kannste im Überbietungschor der Blöden - mit der Lupe suchen!

    Gerhart Baum Farewell 💐

  • "Ellenbogenpartei" - das Recht des Stärkeren habe ich woanders schon mal bekrittelt.



    Ist noch in der Pipeline.



    Von Christian Lindner kann man nichts anderes erwarten als Einmannpartei mit Ellenbogen.



    Farewell Gerhart Baum

  • "1979 führte er als Innenminister im Spiegel ein Streitgespräch mit RAF-Mitbegründer Horst Mahler, der damals als Freigänger noch halb im Gefängnis saß. Das wäre so, als wenn Nancy Faeser die verurteilten Aktivisten der Letzten Generation im Gefängnis besuchen würde. Undenkbar, oder?"

    Die RAF war verantwortlich für 33 Morde. Hat die Letzte Generation aufgerüstet, als ich nicht hinsah? Muss hier wirklich auch das Ökoterroristenklischee bedient werden?

    • @Paul Anther:

      Versuchens doch - statt ehr Klischee zu bedienen - mal um eine Ecke mehr zu denken.



      Nancy Fraency sind die Dimensionen abhanden gekommen! Get it? Fein.

  • Klimaschützer mit der terroristischen RAF zu vergleichen ist aber schon ziemlich daneben!

    • @Minelle:

      Vielleicht finden Sie ja diesen Vergleich aus dem Munde eines verdien(enden)ten Politkers weniger daneben: www.zeit.de/politi...visten-strafen-raf



      Meines Erachtens war nicht eine Gleichsetzung von RAF und (zur kriminellen Vereinigung erklärten) Klimaschützern das Ziel des Vergleichs, sondern die Bereitschaft eines Politikers sich mit deren Positionen zu befassen. Und hier finde ich einen Vergleich durchaus statthaft.

  • Ob die FDP eine „programmatisch verarmte“ Partei ist, hängt wohl von der Sichtweise ab. Ich schätze Christian Lindners Standhaftigkeit und sehe Perspektive für die FDP.

  • Ruhe in Frieden, Gerhart Baum. Jetzt gibt es mit Frau Leutheusser-Schnarrenberger nur noch eine "Elder-Stateswoman", die die liberale Fahne hochhält.

  • Gerhard Baum, einer der letzten Liberalen, erlebt jetzt wenigstens nicht mehr, wie die honorige FDP in der Versenkung verschwindet, weil ein eitler und vernagelter Vorsitzender an einer Schuldenbremse festhält, die, wie J.D. Vance deutlich werden ließ, nichtmehr in diese Zeit paßt. denn jetzt geht es um alles oder nichts.

  • Wie tief ist die FDP heute gesunken, hoffentlich bald aufgelöst.

  • Hat hier jemand von Lindner etwas anderes erwartet?

  • taz: *Die FDP ist eine intellektuell und programmatisch verarmte Partei, und das ist in erster Linie das Werk des Parteivorsitzenden.*

    Mit diesem letzten Satz im Kommentar von Gunnar Hinck wurde alles kurz und bündig zusammengefasst, was diese "Porsche-Partei" heute ist.