Tod nach widerrechtlicher Haft: Biesenbach soll gehen
Ein Hilferuf aus der Zelle erschüttert die Suizid-Theorie der Landesregierung. Nun fordern SPD und Grüne den Rücktritt des NRW-Justizministers.
Biesenbach habe bisher verschwiegen, dass der 26-Jährige Syrer am Brandabend den Alarmknopf in seiner Zelle gedrückt und damit um Hilfe gerufen habe, sagte SPD-Landtagsfraktionsvize Sven Wolf. Damit habe der Minister „in einer sehr zentralen Frage das Parlament und die Öffentlichkeit falsch informiert“.
Auch die Fraktionsvorsitzende der Grünen, Monika Düker, forderte den Abgang des Christdemokraten: Nordrhein-Westfalens CDU-Ministerpräsident Armin Laschet sei „in der Verantwortung, diesen Minister zu entlassen, um den Weg für eine glaubwürdige Aufklärung freizumachen“.
Amed A. war am 17. September bei einem Brand in seiner Zelle so schwer verletzt worden, dass er am 29. September nach einer Lungentransplantation in der Bochumer Unfallklinik Bergmannsheil starb. Zuvor hatte der Bürgerkriegsflüchtling seit dem 6. Juli widerrechtlich in Haft gesessen: Ein von der Staatsanwaltschaft Hamburg mit zwei Haftbefehlen gesuchter Schwarzafrikaner aus Mali hatte als Alias einen ähnlichen Namen benutzt wie den von Amed A.
Die Verwechselung fiel nicht auf, weil nordrhein-westfälische Polizeibeamte es versäumten, Fotos, Geburtsort oder Staatsangehörigkeit zu vergleichen. CDU-Landesinnenminister Herbert Reul hat deshalb „schwere Fehler“ seiner Polizei eingeräumt.
Justizminister Biesenbach hatte bisher den Eindruck erweckt, der Verzweifelte könne seinen Tod selbst herbeigeführt haben. Ein nicht-öffentlicher Bericht seines Ministeriums, der der taz vorliegt, erschüttert jetzt aber diese Suizidtheorie. Danach hat Amed A. am 17. September um 19:19:10 Uhr sehr wohl den Alarmknopf seines Haftraums mit der Nummer 143 gedrückt und versucht, Hilfe zu rufen.
„Die Ermittlungen, die andauern, werden sich auch auf die Frage erstrecken, ob und wann das durch die Gegensprechanlage ausgelöste Lichtsignal deaktiviert wurde“, heißt es in dem Bericht an die Landtagsfraktionen.
Zuvor hatte es die Justizvollzugsanstalt gemeldet, die Überwachungsdaten, die den Notruf sekundengenau festhielten, seien bereits gelöscht worden. Justizminister Biesenbach will von einen Rücktritt dennoch nichts wissen: „Wir haben immer darauf hingewiesen“, ließ der seit Tagen angegriffen wirkende Christdemokrat seinen Sprecher Marcus Strunk erklären, „dass es auch neue Informationen geben kann“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Geschasste UN-Sonderberaterin
Sie weigerte sich, Israel „Genozid“ vorzuwerfen
MLPD droht Nichtzulassung zur Wahl
Scheitert der „echte Sozialismus“ am Parteiengesetz?
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Förderung von E-Mobilität
Habeck plant Hilfspaket mit 1.000 Euro Ladestromguthaben
Vertrauensfrage von Scholz
Der AfD ist nicht zu trauen