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Tod eines Staatsanwalts in Argentinien„Wollt ihr uns auch erschießen?“

Die Regierung stellt den Tod von Sonderstaatsanwalt Alberto Nisman als Selbstmord dar. Die Bevölkerung glaubt das nicht und demonstriert.

19.1.2015: Demonstranten fordern die Aufklärung des Todes von Alberto Nisman in Buenos Aires. Bild: ap

BUENOS AIRES taz | Der argentinische Sonderstaatsanwalt Alberto Nisman soll sich selbst in den Kopf geschossen haben. Die gerichtsmedizinische Untersuchung habe keine Hinweise auf Fremdeinwirkung ergeben, sagte die zuständige Staatsanwältin Viviana Fein am Montagabend. Am Dienstagmorgen bestätigte Fein jedoch, dass an den Händen des Toten keine Schmauchspuren gefunden wurden. Wie der Widerspruch zu erklären ist, blieb zunächst offen.

Nisman war am Sonntag mit einer Schusswunde im Kopf tot im Badezimmer seiner Wohnung in Buenos Aires aufgefunden worden.

Die Regierung übernahm sofort die These vom Selbstmord. „Was war es, das einen Menschen zu der furchtbaren Entscheidung bringt, aus dem Leben zu scheiden?“, schrieb Präsidentin Cristina Kirchner am Montagabend in einer Karte auf Facebook. Es war die erste öffentliche Reaktion der Präsidentin, gegen die Nisman am vergangenen Mittwoch Anzeige erstattet hatte. Der Staatsanwalt warf der Präsidentin eine „kriminelle Verschwörung“ vor, mit der sie die Aufklärung des Anschlags auf das Gebäude des jüdischen Hilfswerks Amia verhindern wollte.

Dass Nisman freiwillig aus dem Leben schied, glaubt ein Großteil der Bevölkerung jedoch nicht. Zwar gibt es keine Blitzumfragen, aber dafür gingen Montagabend spontan mehrere Tausend Menschen in der Hauptstadt Buenos Aires und vor der Präsidentenresidenz in der Vorstadt Olivos auf die Straße. Einige trugen Plakate mit der Aufschrift „Wie alle sind Nisman – wollt ihr uns auch erschießen?“.

Mit rhythmischem Klatschen und Kochtopfschlagen forderten sie Aufklärung über die Todesumstände des Staatsanwalts. Spontane Kundgebungen fanden auch in anderen Städten und den Urlaubsorten an der Atlantikküste und dem uruguayischen Badeort Punta del Este statt. Der Tod des Staatsanwalts überrascht Argentinien mitten in den großen Sommerferien.

Nisman war 1997 zu den Ermittlungen um die Aufklärung des Amia-Anschlags im Jahr 1994 hinzugezogen worden. Bei dem Bombenanschlag auf das Gebäude der Amis in Buenos Aires wurden 85 Menschen getötet und etwa 300 verletzt. 2004 macht ihn der damalige Präsident Néstor Kirchner zum Sonderstaatsanwalt in Sachen Amia. Nisman durfte eine eigene Ermittlungsabteilung einrichten.

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1 Kommentar

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  • Immerhin, das haben wir gemeinsam, Christina Kirchner und ich: Wir wissen nicht, was Sonderstaatsanwalt Nisman trotz seiner erklärten Absicht, eine "Verschwörung" aufzudecken, veranlasst haben könnte, sich in den Kopf zu schießen. Was allerdings "einen Menschen zu der furchtbaren Entscheidung bringt", einen andren erschießen zu lassen, kann ich mir durchaus vorstellen: Mit Angst gepaarte Machtgier beispielsweise. Ob Frau Kirchner genau so viel Fantasie hat wie ich? Wohl kaum, sonst wäre sie ja nicht so sicher, dass dieser Tod, der zwar ein paar Fragen offen lässt, der ihr dafür aber um so mehr zupass kommen dürfte, ein Selbstmord war.