Tobias Schulze über Merkel und den Brexit: Rassismus nicht befeuern
Angela Merkel setzt auf Nachsicht. Anders als SPD und EU-Spitze fordert die Bundeskanzlerin weder möglichst rasche noch möglichst harte Austrittsverhandlungen mit den Briten. Im Bundestag nannte sie gestern einen ihrer Gründe, und der ist nicht ohne: Sie denke auch an „die vielen deutschen Staatsangehörigen, die in Großbritannien leben und von denen sich manche Sorgen über ihre Zukunft machen“, sagte die Christdemokratin. Die Regierung werde an Lösungen „im Interesse unserer Bürgerinnen und Bürger“ arbeiten.
Im Sinn hat sie vermutlich profane Dinge wie Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigungen. Die EU könnte zwar ohne weiteres die Freizügigkeit der Briten beschneiden, um sie für den Brexit zu bestrafen. Blöderweise könnte London im Gegenzug aber genauso mit EU-Bürgern verfahren. Davon hätte am Ende niemand etwas.
Hinzu kommt eine zweite Ebene, die Merkel vielleicht noch nicht auf dem Schirm hat, die aber weit erschreckender ist: den Nationalismus und Rassismus einiger Briten, der sich nach dem Referendum gegen EU-Bürger in Großbritannien richtet.
Ein bewegendes Beispiel war gestern Morgen in einer Talksendung des Londoner Radiosenders LBC zu hören. Dort rief eine Deutsche an, die seit Jahrzehnten in England lebt. Unter Tränen berichtete sie, dass sie sich seit drei Tagen nicht mehr aus dem Haus traue. Nachbarn hätten sie nach dem Referendum bedroht und beschimpft. Falls das stimmt, ist sie kein Einzelfall. Die Polizei meldete nach dem Referendum eine Welle von rassistischen Übergriffen auf EU-Bürger.
Natürlich wäre es gefährlich, die Täter dafür auch noch zu belohnen und die Austrittsverhandlungen betont locker anzugehen. Noch gefährlicher wäre es aber, den Austritt der Briten aus gekränkter Eitelkeit mit unnötig harten Auflagen zu garnieren. Das könnte nämlich danebengehen und die nationalistischen Tendenzen in Großbritannien nur noch weiter befeuern.
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