Tischtennis im Freien: Flotte Schläger

In Berlin geht es an den Steinplatten im Freien mit Ehrgeiz und einem Hauch Anarchie um Punkte. In der Stadt boomt Tischtennis als Draußenspielsport.

Vier Menschen spielen an einer Platte im Freien Tischtennis

Ein schnelles Spiel an der Platte am Wildenbruchplatz Foto: Tina Eichner

BERLIN taz | „Baumseite fängt an.“ Die Gruppe Tischtennisspieler, die sich an dem Sonntagnachmittag an den Outdoor-Steinplatten am Wildenbruchplatz im Berlin-Neukölln eingefunden hat, kennt diese Regelung natürlich, aber als Neuling muss man noch in die hier herrschenden Gepflogenheiten eingeführt werden. Und zu denen gehört eben auch, dass automatisch klar ist, wer bei einem Match mit den Angaben beginnen darf. Das wird nicht durch Schnick, Schnack, Schnuck bestimmt und auch nicht dadurch, dass einer den Tischtennisball in einer Faust unter der Platte versteckt und der andere erraten muss, in welcher, und der Sieger dann die erste Angabe ausführen darf. Sondern wer die Bäume im Rücken hat, wenn er vor der Platte steht, fängt einfach an.

An beiden Platten, die an einen Spielplatz angrenzen, treten jeweils Zweier-Teams, also Doppel, gegeneinander an. Gespielt wird ein Satz nach der seit mehr als 20 Jahren überholten alten Zählweise bis 21 Punkte. Das Sieger-Duo darf an der Platte bleiben, die nächsten Herausforderer warten bereits.

So läuft das eben hier am Wildenbruchplatz: anders als in den Vereinen, anders als im organisierten Tischtennisbetrieb. Diese Outdoor-Tischtenniswelt, die seit Corona erblüht und inzwischen als echtes Phänomen bestaunt werden kann, funk­tio­niert ein Stück weit nach eigenen Regeln. Wozu nicht zuletzt gehört, dass, wie hier am Wildenbruchplatz, zwischendurch ordentlich gekifft wird, was in den Vereinen wahrscheinlich nicht nur auf Begeisterung stoßen würde.

Wenn man in den letzten Monaten mal unterwegs war in Berlin mit einem Tischtennisschläger in der Tasche, konnte man gut beobachten, dass da eine regelrechte Outdoor-Szene entstanden ist. Am Landwehrkanal in Kreuzberg ist es schon seit vielen Jahren so, dass im Freien auf hohem Niveau Tischtennis gespielt wird. Aber das war eine Ausnahme. An den meisten Steinplatten in der Stadt wurde doch eher bloß der Ball über das Netz geschubst, und das auch nur, wenn das Wetter wirklich herrlich war.

Topspins mit Niveau

Wenn man nun aber bei bestimmten Spots vorbeischaut, fällt auf, dass da plötzlich auf einem ganz anderen Niveau gespielt wird. Da werden Angaben aus dem Handgelenk gezaubert, bei denen einem schummrig werden kann, und Topspins ausgepackt, für die es eigentlich einen Waffenschein bräuchte. Gearbeitet wird dabei nicht mit irgendwelchen Kaufhausschlägern, sondern mit dem guten Material aus den Fachgeschäften. Dustin Hoffmann von einem der wenigen ausschließlich auf Tischtennis ausgerichteten Läden in Berlin, dem Butterfly Store in Kreuzberg, sagt, manche Outdoor-Spieler würden mit 400-Euro-Keulen herumrennen, und das sei bei Schlägern preislich schon deutlich im oberen Segment.

Festzustellen ist auch, wie geradezu besessen manche von ihrem Freizeitspaß sind. Egal ob man mehrmals hintereinander an den Platten im Böcklerpark in Kreuzberg oder am Comeniusplatz in Friedrichshain aufläuft, man trifft dabei so gut wie immer auf dieselben Leute.

Alle, mit denen man sich über den neuen Tischtennis-Boom im Freien unterhält, erzählen einem dieselbe Geschichte, wie sich dieser entwickelt hat. Während der Coronapandemie, wo zeitweilig so gut wie alles verboten war, was Spaß macht, war wenigstens Tischtennis zumindest im Freien die meiste Zeit erlaubt. So begab sich auch so mancher Vereinsspieler mal an eine Steinplatte, und wer mit Tischtennis sonst eigentlich nichts am Hut hatte, nahm aus lauter Langeweile vielleicht mal wieder seinen alten Schläger zur Hand. An bestimmten Outdoor-Spots bildeten sich schnell informelle Gruppen, die sich immer regelmäßiger trafen. Und mit der Zeit auch diese eigenen Regelwerke wie die Sache mit den Bäumen am Wildenbruchplatz. Und dass man hier oder dort lieber auf 21 zählt wie früher, das musste auch erst untereinander ausgehandelt werden. An vielen Orten wird so ambitioniert gespielt wie in den Vereinen, aber man unterwirft sich dabei nicht einfach den dortigen Gepflogenheiten, sondern bastelt sich das Spiel mit der kleinen Plastikkugel so zurecht, wie es einem am besten gefällt, und verbindet so tradierte Strukturen mit einem Hauch von Anarchie.

Es gibt nun auch Apps, über die man sich zum Match verabreden kann

Lasse, einer der 15 Spieler, die sich an dem Sonntag am Wildenbruchplatz eingefunden haben, sagt, auch ihre Gruppe habe während der Pandemie zusammengefunden. Erst habe man sich noch für die nächste Partie verabredet, bald wusste man, zu bestimmten Zeiten ist eh immer jemand da, und inzwischen habe man eine WhatsApp-Gruppe mit etwa 100 Mitgliedern. Es gibt nun auch in Berlin entwickelte Tischtennis-Apps wie Sportbench und Pongmasters, über die man sich an bestimmten Spots in der Stadt zu einem Match verabreden kann, eine Art Tinder für Freizeitspieler.

Tobi von der Wildenbruchplatz-Community erzählt, die meisten von ihnen konnten vor Corona kaum etwas an der Platte, inzwischen seien sie aber passable Tischtennisspieler. Angefangen hätten sie mit alten Keulen, mittlerweile sieht man aber auch am Wildenbruchplatz nur noch Schläger aus dem Fachhandel, mit denen sich einfach ganz andere Rotationen in den Ball bringen lassen und die es erst ermöglichen, dass aus bloßem Pingpong ein echter Sport wird.

Explosion nach der Pandemie

Während der Pandemie selbst habe er in seinem Laden von dem Outdoor-Boom noch gar nicht so viel mitbekommen, sagt Marc Lampe, der Inhaber des Kreuzberger Tischtennisladens. „Kurz nach Corona ist die Sache aber explodiert.“ In Berlin so extrem wie in keiner anderen deutschen Stadt, glaubt sein Mitarbeiter Dustin Hoffmann. Seitdem würden die beiden nicht mehr nur die Vereinsspieler nach bestimmten Hölzern und immer noch griffigeren Gummibelägen befragen, sondern auch die Outdoor-Spieler.

Lampe interessiert sich inzwischen sehr für diese neue Szene und hat sogar privat eine Liste mit 30 Spots in Berlin zusammengetragen, wo er ein erhöhtes Aufkommen an den Platten registriert hat. Sieben Tischtenniskneipen hat er in diese auch mit aufgenommen. Dabei ist die Kneipenszene, die es schon länger gibt in Berlin, doch etwas anders als die im Freien. In den Kneipen wird im Normalfall Rundlauf gespielt. Wer hier mit einem 400-Euro-Schläger aufläuft, kein Bier lässig in der Hand hält und auch noch verbissen versucht, die anderen rauszuschmettern, blamiert sich eher. Draußen aber, da wollen die meisten auch gewinnen, und sie dürfen auch gewinnen wollen, ohne sich vor sozialer Ächtung fürchten zu müssen.

Dabei wird darauf geachtet, dass es zu ernst doch nicht zugeht. Das Gewinnerduo darf am Wildenbruchplatz ja eigentlich an der Platte bleiben und die nächsten Gegner empfangen. Aber die beiden, die gerade einfach alle besiegen, bieten irgendwann von sich aus an, mal wieder auf den Bänken Platz zu nehmen. „Wir haben hier auch einen Safe Space“, sagt Tobi. Dazu gehöre, dass man ein gutes und faires Miteinander pflege. Aber auch, dass es an den Platten völlig egal sei, ob der eine nun Ferrari fahre und der andere bloß Fahrrad. Hier seien alle gleich. Zur gelebten Achtsamkeit gehöre auch, dass an ihrem Spot der Müll entsorgt werde und „wenn Kinder kommen und spielen wollen, dürfen die das sofort.“

Inwieweit diese Outdoor-Szene Tischtennis als Sport im Sinne der Vereine voranbringt, ist schwer zu sagen. Marc Lampe sagt: „Die meisten wollen diese Verpflichtung in den Vereinen gar nicht.“ Und İpek İpekçioğlu, besser bekannt als DJ Ipek, die man beim Zocken am Landwehrkanal trifft, der schon seit mehr als zehn Jahren ihr Lieblingsspot ist, meint, bei ihrem unsteten Lebenswandel als DJ würden ihr feste Trainingszeiten gar nichts bringen. Drei bis vier Mal die Woche würde sie, wenn sie in der Stadt ist, zu welcher Zeit auch immer draußen spielen.

Der Weg zurück in die Hallen

Steffen Zeidler, Vizepräsident der Öffentlichkeitsarbeit des Berliner Tischtennisverbands, lässt auf Anfrage dagegen ausrichten: „Grundsätzlich ist zu spüren, dass Tischtennis eine sehr beliebte Sportart ist. Dies kommt auch aktuell bei den Vereinen an!“, und teilt mit, dass viele Berliner Vereine inzwischen sogar wegen Überfüllung einen Aufnahmestopp verhängen mussten.

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Dass es diesen Transfer von der Straße in die Sporthallen gibt, glaubt auch Matthias Hatzak vom Lichtenberger Tischtennisverein SV Sparta. Er selbst sei der Beleg. Auch er habe während der Pandemie den Spaß mit dem Holzschläger im Freien neu entdeckt, sei dann aber genervt gewesen von Wind und Wetter und deswegen in den Verein eingetreten. Und mit ihm acht weitere ehemalige Outdoor-Spieler. „Der Verein war fast dabei sich aufzulösen, es spielten nur noch ein paar Männer über 60“, sagt er. Jetzt habe sich der sichtbar verjüngt und „hat jetzt auch eine Website.“

Dass Männer, ob alt oder jung, ob in einem Verein wie SV Sparta oder draußen, sich im Vergleich zu Frauen überproportional für Tischtennis begeistern, das ist einfach so. Am Wildenbruchplatz: nur Typen. In der WhatsApp-Gruppe der Community: Etwa 90 Prozent Männer. Auch deswegen hatte DJ Ipek gemeinsam mit einer Freundin die Veranstaltungsreihe „Queer Ping Pong“ während der Pandemie gegründet, wo ausschließlich Flinta* im Turniermodus im Freien gegeneinander antreten und dabei DJs auflegen.

Jetzt, wo bald wieder der Winter vor der Tür steht, müssen sich İpek und all die anderen Outdoor-Spieler übrigens nicht mal ein anderes Hobby suchen. Die Saison geht einfach weiter. Man bekommt am Wildenbruchplatz Handyfotos vom vergangenen Winter gezeigt, auf denen vermummte Gestalten zu sehen sind, die einen Schläger in der Hand halten. Über den Platten wurden Beleuchtungen für die Abendsessions montiert. Diese werde man demnächst wieder anbringen, sagt Lasse. Und klingt dabei so, als würde er sich schon darauf freuen.

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Dieser Artikel stammt aus dem stadtland-Teil der taz am Wochenende, der maßgeblich von den Lokalredaktionen der taz in Berlin, Hamburg und Bremen verantwortet wird.

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