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Tischtennis-WMNotizen zur Lage der Ästhetik

Team China räumt bei der WM mal wieder ab – auch bei Schönheitsfragen. Das deutsche Tischtennis steckt derweil im Biedermeier fest.

Reaktionsstark: Der spätere Weltmeister Wang Chuqin im Finale gegen Hugo Calderano Foto: Hussein Sayed/ap

H ugo Calderano hält die Platte sauber. Und zwar immer. Die Krönung zum Weltmeister am diesmal pinkfarbenen Tischtennistisch hat der putzneurotische Gentleman aus Brasilien verpasst am Sonntag; am Ende war das Halbfinalmatch gegen Liang Jingkun zu aufreibend gewesen. Auch für die Nerven. Der neue Weltmeister kommt also wie seine zahlreichen Vorgänger wieder einmal aus China; und Werner Schlager aus Österreich, Weltmeister 2003, ist immer noch der letzte Europäer, der den Titel holen konnte.

„Team China“ räumte also schwer ab bei den Weltmeisterschaften 2025 in Doha, Katar. Das sah lange gar nicht danach aus. Am Ende aber gewannen Japaner das Doppel der Männer – alle anderen Titel jedoch gingen nach China. Doch das Thema dieser Kolumne soll Ästhetik sein: Die Chinesen hatten auch die schönsten Trikots, noch vor Korea und Schweden, jedenfalls das Home-Dress (sie hatten noch ein blaues Away-Dress, das nicht ganz so schön war). Am Ende feierten Staff und Spielerinnen und Spieler mit Fahne – für China, im Gegensatz zu Deutschland, ist Tischtennis noch immer eine Angelegenheit von höchster nationaler Relevanz.

Was Abzünge in der B-Note gibt. Aber so sah es am Ende aus: Der chinesische Staatskapitalismus war letztlich siegreich; der öl-arabisch unterstützte Neoliberalismus bleibt (noch) auf der Strecke. Und doch dachte man bei den Bildern rund um den pinken Tisch, dass „representing China“ mittlerweile nicht mehr nottut. Denn auch Tischtennis wird in der Spitze immer mehr zu einem Individualsport, für den Nationen nur noch den schwächer werdenden Rahmen bilden. Und das ist gut so.

Die Sie­ge­r:in­nen­eh­rung hatte etwas Bizarres. „Bro comes with a flower vase for trophy“, kommentierte das jemand im Chat. Die Spielerinnen und Spieler, die sich eben noch den Arsch aufgerissen hatten, um einen kleinen Plastikball bei Höchstgeschwindigkeit hin und her zu schießen, sahen plötzlich wie brave Abiturienten bei der Zeugnisvergabe aus. Es gab auch keinen Konfettiregen und niemand reckte triumphierend die Trophäe in den Himmel; stattdessen gab es Blumen und Monchichis für die Herren sowie nicht minder niedliche Puppen mit Kopftuch für die Damen. Die lächelten ebenso sanft wie die Herren und hielten ihre Medaillen in die Kameras.

Im Biedermeier gefangen

Ein Eindruck, der sich in den sozialen Medien verstärkte: Extravaganzen gibt es im Tischtennis nur im Kleinen. Oder nur im Wettkampf – als Schreie, gereckte Fäuste, Gestampfe. Das von Dimitrij Ovtcharov gepflegte Stöhnen wie beim Damen-Tennis hingegen ist inzwischen so démodé oder, sagen wir: auf dem Rückzug wie das Tischtennis der Deutschen selbst.

Die Deutschen stecken nämlich auch spielästhetisch im Biedermeier fest, obwohl deren größter Spießer abgedankt hat. Ironischerweise war der nämlich, natürlich ist von Timo Boll die Rede, an der Platte eine Maschine mit mitunter genialischen Ideen. Schlägerhandwechsel bei laufendem Ballwechsel, das konnte nur er.

Sah man in Doha fast überhaupt nicht. Dafür sah man Calderanos beidhändige Rückhand, jede Menge „Chop Blocks“, ein paar Snakebälle, viele Flicks, haufenweise Ballonabwehr, die geschaufelte Rückhand, die Anton Källberg perfektioniert hat. Genies wie Simon Gauzy, Truls Möregardh und in Ansätzen auch Calderano hatten ihre Glanzzeiten; und Chinas Vorzeigespieler Wang Chuqin zeigte, dass er aus den Herausforderungen gelernt hat. Er wird niemals den Nimbus eines Unschlagbaren erreichen, wie ihn noch seine Vorgänger Ma Long und Fan Zhedong innehatten. Aber er ist ein würdiger Weltmeister 2025.

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René Hamann
Redakteur Die Wahrheit
schreibt für die taz gern über Sport, Theater, Musik, Alltag, manchmal auch Politik, oft auch Literatur, und schreibt letzteres auch gern einmal selbst.
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