Tim Fischer im Interview: "Ich will leben, statt gelebt zu werden"
Der schwule Entertainer Tim Fischer hat die Rolle der depressiven Diva satt. Er leidet nicht mehr, er ist glücklich - und will das auch zeigen.
taz: Sie haben mit dem Rauchen aufgehört? Unglaublich
Tim Fischer: aber wahr! Ich hatte eine Stimmbandoperation und musste aufhören. Ich bin jetzt anderweitig glücklich.
Durch Nikotinpflaster?
Nein, mein Freund hat gesagt: Hör auf, es ist besser für dich, es ist bessser für mich. So einfach.
Sie sehen viel besser aus als früher. Männlich. Ihre Augen strahlen.
Danke schön. Ich fühle mich auch super, denn ich bin verliebt. Wir kennen uns seit August vorigen Jahren, sind verlobt und am 29. Februar werden wir heiraten.
Ein rascher Entschluss, oder?
Fanden Freunde auch. Da hab ich gesagt: Wenn ich den jetzt schon lange kennen würde, tät ich ihn gar nicht heiraten. Machen wir das also jetzt!
Wie fühlt sich Ihr Leben an?
Schön. Beruflich mit dem Stück von Georg Kreisler läuft es. Und eben auch privat. Erstaunlich.
Geboren: 12. März 1973 in Delmenhorst
Karriere: mit 15 erste Auftritte; später Bühnenpartnerschaft mit dem Komponisten und Pianisten Rainer Bielfeldt
Privat: Verlobt mit Rolando; Heirat am 29. Februar
Bilanz: erfolgreichster Performer in der Kleinkunstszene
Meriten: Einladungen vom Goethe-Institut; Benefiz-CD "Songs against Aids"
Aktuell: "Adam Schaf hat Angst", das Ein-Mann-Musical von Georg Kreisler
Anerkennung: u. a. der Rolf-Mares-Preis für "Außergewöhnliche Leistungen Darsteller" in diesem Kreisler-Stück
On Tour: bis 17. Februar in Berlin, später Erfurt, Nürnberg, Eisenach, Heidelberg, Darmstadt
Infos: www.timfischer.de
Warum staunen Sie?
Ich hatte ja damit überhaupt nicht mehr gerechnet. Als Chansonette muss man leiden, dachte ich immer, unglücklich und betrunken sein, immer schön nah am Abgrund stehen.
Das erwartet Ihr Publikum, nicht?
Dieses Depressive fand ich nicht mehr interessant. Ich möchte gern mein eigenes Leben leben.
Heißt das eigentlich, dass Sie den Abgründigen nur noch auf der Bühne spielen?
Ja. Früher habe ich die negativen Facetten des Lebens betont. Alkohol, Drogen, Strich und schlimme Liebesgeschichten. Ich hatte meinen Stempel weg: Der traurige Junge, der wahrscheinlich bald ins Gras beißen wird, weil er das ganze Leben nicht verkraften kann. Ich dachte auch: Privates Glück und mein Beruf, das geht nicht zusammen.
Woher auch? Ihre Kindheit muss übel gewesen sein.
Ich war einfach ein Einzelgänger, ich hatte kein Zugehörigkeitsgefühl zu den Kindern in meinem Alter. Ich wusste ziemlich früh, dass ich schwul war, habe mich in Jungs verliebt.
Ihre Familie schützte Sie?
Der wars gar nicht recht, einen Schwulen zum Sohn zu haben.
Sie aber hatten den Mut, sich früh als schwul zu bekennen.
Ich hatte keine Chance, es zu verbergen. Man hats mir so stark angemerkt.
Wie denn?
Ich hab mit Puppen gespielt, mir die Haare nicht schneiden lassen. Ich war sehr mädchenhaft, zart, puppenhaft: weiblich.
Haben Sie sich gewehrt?
Ich habe versucht, die Jungsrolle zu spielen. Aber das gelang mir überhaupt nicht.
Sie hätten den bösen Jungs doch eine scheppern können.
Es gab ja auch welche, die mich mochten. Aber schlimm sind die Menschen ja nur in Gruppen.
Dann Flucht nach vorn?
Ich war total extrovertiert. Einfach total drüber!
Klingt toll!
War auch toll. Macht aber auch wieder einsam.
Jean Cocteau sagte: Ausnahmemenschen sind der Reiz einer Durchschnittwelt, die sie ausstößt.
Das trifft es wohl. Aber mittlerweile bin ich ja auch älter, da verflüchtigt sich vieles. Auch die weiblicheren Männer werden mit dem Alter männlicher, so wie Frauen ja auch im Alter vermännlichen.
Mit dem Androgynen sind Sie berühmt geworden: Man feierte, was sonst Wut provozierte.
Ja, der einsame, zarte Junge. Wie aus dem "Tod in Venedig".
Wollten Sie ein Tadzio sein?
Nein. Totlangweilig. Visconti ist nur was für alte Männer. Und diesen Jungen fand ich schon deshalb nicht attraktiv, weil ich selbst so aussah. Ich habe mich lieber in andere Jungs verliebt.
Sie fanden Fassbinders Film "Lili Marleen" besser?
Unbedingt. Das mag mit meinen Großmüttern zu tun haben, die immer von Krieg und Flucht erzählt haben. Diese dramatische Kriegsatmosphäre mit kleinen Highlights, zum Beispiel dieses Lied von "Lilli Marleen" zu hören.
Sind Sie zu Ihren Großmüttern, selbst Flüchtlinge, gegangen, weil Ihre Eltern einen Sohn wie Sie nicht wollten?
Das ist übertrieben. Es war einfach der Druck von außen. So in der Art: Kannst du mal bitte deinen Jungen abholen, der steht hier in Stöckelschuhen und kocht was. Mit sechs Jahren! Das empfand man als bedrohlich.
Aber Sie waren authentisch?
Ja, das war ich. Aber der Druck von außen auf meine Eltern war enorm. Bei meinen Großmüttern durfte ich jedoch alles. Mich verkleiden, Kleider anziehen. Einmal kamen meine Eltern zu früh, um mich abzuholen. Dann stand man da mit Lippenstift. Mutter bekam Schreikrämpfe, und dann durfte man die Großmutter nicht mehr sehen.
Vielleicht hatten Ihre Eltern Angst, dass Ihr Sohn unglücklich wird.
Sie wollten mich schützen, bestimmt. Aber als junger Mensch empfand ich: Die wollen mich nicht akzeptieren, die wollen etwas anderes aus mir machen.
Und heute?
Haben wir einen Superkontakt. Sie kommen auch zu unserer baldigen Hochzeit. Rolando hat gerade seine Schwiegereltern besucht. Er hat sogar für meinen Vater gekocht.
Sie haben viele Jahre die Diva verkörpert. Wir sagen: Es kann keine Diven mehr geben.
Ja, die haben sich überlebt.
Weshalb denn?
Weil die heutigen Mütter ganz offen zu ihren schwulen Söhnen stehen. Es ist nicht mehr dieses Leid da. Eine Diva zu geben, heißt ja, die eigene Mutter zu parodieren. Das braucht es nicht mehr.
Die Divenperformance hat was Aggressives.
Mittlerweile ist das nur noch was für ein Spießerpublikum. Die denken: Guck mal, der Typ in dem Kleid sieht ja besser aus als meine Alte. Aber den Schwulen an sich interessiert das nicht mehr. Wenn man dem Klischee zu sehr entspricht, dann wird man gelebt, anstatt zu leben.
Sind Schwule noch Freaks?
Nein. Und ich mochte es auch nie, wenn Schwule dann andere Gruppen gehasst haben, Heteros zum Beispiel.
Empfinden Sie sich heute als männlicher?
Ich habe mich niemals als weiblich empfunden. Weder habe ich eine Brust noch eine Muschi, für mich hat sich dieses Problem nie gestellt.
Also dürfen Jungs doch auch mit Puppen spielen!
Selbstverständlich. Ist doch schön. Und das haben damals auch andere Jungs gemacht, aber die waren physisch kräftiger, nicht so zart, und hatten deshalb weniger Probleme als ich.
Georgette Dee hat mal ein Konzert abgebrochen, weil sie das Kegelvereinspublikum als Zumutung empfunden hatte. Die haben sich einfach totgelacht und ihre Show als Comedy interpretiert. Ist Ihnen ähnliches passiert?
Ich erinnere mich an das erste Musical, in dem ich mitgespielt habe: "Kennwort einsames Herz". Da war ich gerade 17, ich habe eine Transe gespielt. Aber ganz bürgerlich, so im Hosenanzug. Und die Szene war eine tragische Liebesgeschichte zwischen der Transe und einem Grundschullehrer, der nicht weiß, dass sie ein Mann ist. Ich hatte mir das so zu Herzen genommen, und dann kam ich auf die Bühne, und die Leute haben sich totgelacht. Das hatte mich so verletzt, weil es eben auch etwas mit mir zu tun hatte. Ich lag dann heulend in den Kulissen - und niemand hatte die Zeit dazu, sich um mich zu kümmern.
Sind Sie froh, Ihre früheren Peiniger überwunden zu haben?
Wir waren gerade auf Kuba. Rolando kommt ja daher. Wir gingen in eine Disko. Da gab es Leute, denen hat das gar nicht gepasst, dass wir mehr Geld haben, ein Auto, und dann auch noch schwul sind. Da entstand dann in Nullkommanix eine Prügelei. Sehr unappetitlich war das, mit Steinen, die geschmissen...
...bekamen Sie Hilfe?
Von niemandem. Auch nicht von den Leuten, die vorher mit uns getrunken hatten. Aber das ist nicht spezifisch für Kuba, das kann einem überall passieren. Sobald die Leute erkennen, dass man anders ist, bewegt man sich trotz der wachsenden Akzeptanz auf einem gefährlichen Terrain. Es geht ums Anderssein - ob nun schwul oder schwarz.
INTERVIEW: JAN FEDDERSEN & MARTIN REICHERT
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