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Tiktok to go

Start-up-Ketten wie LAP und Munchies verwandeln Alltagsware via Social Media in Lifestyleprodukte. Damit überrollen sie die Innenstädte, hinterlassen Müllberge und setzen lokale Cafés und Imbisse unter Druck

Life Among People: eine LAP-Coffee-Filiale in Berlin Foto: Maurizio Gambarini/Funke Foto Services/imago

Aus Berlin Lilly Schröder

Für welches exklusive Gut stehen all diese Menschen bei strömendem Regen mehrere hundert Meter in der Schlange? Ist es eine neue Supreme-Kollektion? Die limitierten Labubu-Plüschtiere? Overkill-Sneaker? Nichts dergleichen. Es handelt sich um Alltagsware: Kaffee.

Die LAP-Stores („Life Among People“) schießen derzeit bundesweit wie Pilze aus dem Boden. In Berlin gibt es inzwischen 13 Standorte der indigoblauen Kaffeekette, in München drei, in Hamburg wird eine weitere Filiale eröffnet – und das alles in weniger als zwei Jahren.

Das Konzept ist simpel: Günstigen Kaffee verkaufen auf wenig Raum. Ein Cappuccino kostet 2,50 Euro, ein Flat White 3 Euro, Hafermilch gibt es ohne Aufpreis. LAP bezieht seine Bohnen von der Berliner Rösterei 19grams, die fairen Handel verspricht. Der Trick, um die Preise zu drücken: radikaler Minimalismus. Es gibt keine sperrigen Siebträgermaschinen, bei denen der Kaffee gemahlen, gebrüht und ausgeklopft werden muss, sondern Maschinen, die vollautomatisiert arbeiten und auf Knopfdruck funktionieren. Nur die Milch wird per Hand aufgeschäumt.

Die Filialen sind klein und spartanisch eingerichtet, Sitzmöglichkeiten gibt es kaum. Das Konzept ist ganz auf to go ausgelegt: Es gibt kein Geschirr und Keramikbecher, nur Papp- und Plastikbecher. Kun­d*in­nen können online vorbestellen, es gibt eine digitale Stempelkarte und ausschließlich Kartenzahlung. Das alles spart Personalzeit und Kosten.

Mit „Life Among People“ im Wortsinne hat das wenig zu tun. Dabei gibt die Kette an, ein Ort für Gemeinschaft sein zu wollen. „Wir erreichen Menschen, die bisher selten Kaffee to go gekauft haben“, erklärt LAP-Gründer Ralph Hage der taz: „Studierende, Schichtarbeiter*innen, Kuriere, Nachbar*innen.“ Doch LAP ist trotz niedriger Preise längst kein Treffpunkt für alle. „Das Konzept schließt bestimmte Gruppen automatisch aus“, sagt Philipp Reichel. Der Berliner kennt die Kaffeeszene bestens: Er betreibt das Isla Coffee in Neukölln, hat die Berlin Coffee Week, eine jährliche Kaffeemesse, mitinitiiert und das Röstkollektiv Communal Coffee gegründet, in dem sich Röstereien Produktionsflächen teilen. „Die kühle Edelstahl- und Betonoptik richtet sich klar an eine jüngere, urbane Generation“, sagt Reichel. Viele Menschen würden auch das Lifestylebranding, das konsequente Marketing auf Englisch sowie die digitale Ausrichtung abschrecken.

Andere zieht genau das an. Während die Gemeinschaft in den Stores fehlt, boomt die Community im digitalen Raum. Der indigoblaue To-go-Becher wird wie ein Statussymbol durch die Straßen getragen. Wer ein Foto davon postet, signalisiert Zugehörigkeit. Die Community ist jung, urban, überwiegend weiß und orientiert sich an einem glatten, hippen Lebensstil.

Kaffee wird bei LAP nur am Rande verkauft – verkauft wird vielmehr ein Lifestyle. Auf den Social-Media-Kanälen greift LAP aktuelle Tiktoktrends auf, nachgestellt von jungen Mitarbeiter*innen. Ergänzt wird das durch Formate, die Einblicke in den Arbeitsalltag geben oder Events in Szene setzen. „Das ganze Konzept basiert auf Cross-Marketing und Eventisierung“, erklärt Philipp Reichel. „Und die Kun­d*in­nen haben Bock auf Events, sie wollen Teil von etwas sein und sich selbst inszenieren.“

Ob Beauty-Event mit der Kosmetikmarke Sol de Janeiro, Kooperation mit der Streetwear-Marke 032c, der Sportmarke Lululemon, der Dating-App Bumble oder dem Lifestyle­magazin Highsnobiety – LAP koppelt Kaffee mit Hype-Marken. Dazu kommen „Sunday Runs“ mit Adidas, Live-Painting-Vernissagen oder Kaffee-Raves am Morgen. Das Ziel der permanenten Inszenierung: FOMO – „Fear of Missing Out“ – erzeugen und den Kaffee zum Lifestyleprodukt aufwerten.

Während eine bestimmte Szene LAP feiert, stößt das Konzept bei anderen auf Kritik. Ein häufiger Kritikpunkt: der Verpackungsmüll. Zwar hat LAP inzwischen das Mehrwegsystem Recup eingeführt, doch Reichel hält das für Augenwischerei: „Es gehört schließlich zum Branding, sich mit den LAP-Bechern ablichten zu lassen.“

Kritisiert wird zudem die Verdrängung von kleinen Cafés und Gastronomien. Cafés ohne Investorengelder können mit den niedrigen Preisen von LAP kaum konkurrieren. Orte wie das Café Três am Kottbusser Tor in Kreuzberg oder Al Ghazali, ein Shawarma-Imbiss am Boxhagener Platz in Friedrichshain, mussten wegen der hohen Mieten nach Jahrzehnten schließen – in beiden sind nun LAP-Filialen. „Das ist unangenehm zu beobachten und tut weh“, sagt Reichel.

Cafés und Gastronomie sollten ultimativ soziale Orte für Austausch sein. „LAP ist das Gegenteil: Sie tun auf kiez- und community-orientiert, dabei verdrängen sie gerade jene Orte, die wirklich nachbarschaftlich geprägt sind“, sagt Reichel. LAP-Gründer Hage entgegnet: „Wir eröffnen in Mikro‑Lagen und dort, wo Nachfrage klar ist – nicht Tür an Tür mit langjährigen Indie‑Cafés.“

Doch in der Café-Szene sorgt LAP für Frust. Viele befürchten, dass bald auch in ihrer Nähe eine Filiale aufmacht und ihnen Kundschaft wegnimmt. Ärger entstehe auch, weil viele Betriebe an Werten wie Gemeinschaft und Nachhaltigkeit festhielten, während LAP kompromisslos auf Wachstum und Effizienz setze, so Reichel. „Wir sind aber auch neidisch“, räumt er ein. „Wir haben verpasst, digitaler zu werden, etwa durch automatisierte Prozesse oder KI-Lösungen in der Rösterei.“

Langsam wächst auch im Kiez der Widerstand. Auf Google Maps häufen sich negative Rezensionen von Anwohner*innen. Und auf Instagram formiert sich unter „Resist LAP“ Protest gegen das, was dort „Life Among Profits“ genannt wird.

Denn hinter dem 2023 in Berlin gegründeten Unternehmen stehen zwei Koryphäen aus der Start-up-Szene: Ralph Hage (Ex-Delivery Hero, Gründer des Lieferdienstes Yababa) und Tonali Arreola (ehemals bei Lime und Flink). Investoren sind große Venture-Capital-Fonds aus den USA, wie HV Capital und Foodlabs, die auf schnell skalierbare Konsummarken setzen.

Philipp Reichel glaubt jedoch nicht, dass der Hype von Dauer sein wird. „Sobald LAP kleine Cafés verdrängt hat, werden sie die Preise anziehen, um wirtschaftlich zu bleiben – und damit an Attraktivität verlieren“, sagt er. Zudem sei die Strategie, über laute Events und Kollaborationen Sichtbarkeit zu erzeugen, kurz gedacht: „Social-Media-Hypes sind schnelllebig und können genauso schnell wieder kippen.“

Der indigoblaue To-go-Becher wird wie ein Statussymbol durch die Straßen getragen. Wer ein Foto davon postet, signalisiert Zugehörigkeit

Doch derzeit funktioniert das Konzept. Und LAP ist damit nicht allein: Auch andere Marken verwandeln durch Lifestylemarketing via Social Media banale Produkte in begehrte Lifestyle­objekte. So etwa die Berliner Burgerkette Goldies oder die Fastfoodkette Munchies. Letztere eröffnete Ende 2023 eine Filiale im Bergmannkiez, inzwischen gibt es weitere in Charlottenburg und am Alexanderplatz. Die Schlangen ziehen sich über Hunderte Meter, in der Filiale am Alex kämen im Schnitt täglich 1.000 bis 1.500 Gäste, so der Geschäftsführer zur taz. Das Ziel: 2026 soll es in jeder größeren Stadt in Deutschland Munchies geben. Munchies bietet mexikanische und US-amerikanisches Fastfood: Burger, Pommes, Birria Tacos – alles in Einwegverpackungen. Besonders bei Jugendlichen ist der Halal-Imbiss beliebt. Vor der Eröffnung am Alexanderplatz campierten Jugendliche ab 5 Uhr morgens, um zu den ersten Gästen zu gehören.

Auch bei Munchies spielen Tiktok, In­flu­en­ce­r*in­nen und Food-Blogger*innen eine zentrale Rolle. Das Essen ist Nebensache, im Vordergrund steht das Community-Gefühl: aktuelle Tiktoktrends werden aufgegriffen oder Aktionen wie Schnitzeljagden mit Gutscheinen gezeigt, die Nut­ze­r*in­nen im echten Leben suchen. Auch sie arbeiten mit Marken wie Lamborghini zusammen. Vor der Eröffnung am Alexanderplatz wurden VIPs (Influencer und Blogger) exklusiv eingeladen – und alles sorgfältig auf TikTok und Instagram dokumentiert.

Doch auch Munchies stößt bei den An­woh­ne­r*in­nen auf Kritik. Wieder ist der Verpackungsmüll ein zentrales Problem – denn im Bergmannkiez gibt es wie bei LAP keine Sitzplätze.

Doch Verdrängung, Gentrifizierung und Umweltbelastung scheinen die urbane Lifestyleszene kaum zu stören, solang eins stimmt: der Social-Media-Auftritt.

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