Tiktok-Format „Unverlangt eingesandt“ : Lustiger Literaturbetrieb
Ein Mensch schickt einen Text zur Veröffentlichung an einen Verlag – und der stellt ihn dann öffentlich bloß. Humor ist immer so eine Sache.
A lle müssen Content machen. Auch bei deutschen Literaturverlagen, deren Marken sich ja meist eher aus der eigenen Tradition generieren, ist angekommen: Wer neue Zielgruppen erreichen will, muss auf Social Media. Und zwar nicht einfach nur mit einer nüchternen Bewerbung des eigenen Programms, sondern mit Verlosungen, Behind-the-scene-Material und witzigen Videos.
Nun ist Humor natürlich immer so eine Sache. Hierzulande funktioniert er augenscheinlich am besten, wenn nach unten getreten wird. Folgerichtig hat sich der Kölner Verlag Kiepenheuer & Witsch (KiWi) das Tiktok-Format „Unverlangt eingesandt“ ausgedacht, bei dem sich in Kurzvideos über Manuskript-Einreichungen lustig gemacht wird. Also ein Mensch schreibt da jahrelang an einem Text, fasst sich irgendwann ein Herz, sendet ihn an einen Verlag und der guckt dann bloß rein, um daraus pseudolustigen Content zu generieren.
Für Lacher soll in „Unverlangt eingesandt“ der selbstsichere Ton der Anschreiben sorgen sowie die Formfehler und Forderungen der unbekannten Autor_innen. In einer Einsendung etwa verlangt der_die Autor_in 10.000 Euro Vorschuss für das beiliegende Manuskript und gibt an, dass der Text noch vier weiteren Verlagen zum Angebot vorliegt. Was den Zuschauer_innen aber unausgesprochen als lächerliche, weil dreiste Forderung verkauft wird, ist in Wahrheit ein sehr realistisches Angebot für einen Konzernverlag wie KiWi. Und für die schreibende Person sowieso: Angenommen in einem Romanmanuskript stecken zwölf Monate Arbeit, dann sind das zehn Riesen durch zwölf brutto – was daran ist nochmal dreist und funny?
Es verwundert kaum, dass wir in dem Format nichts über die Textqualität der Manuskripte erfahren, sondern lediglich von den Anschreiben. Denn das unfreiwillig Komische an „Unverlangt eingesandt“ ist, dass suggeriert wird, irgendein Großverlag schaue sich 2023 noch die unverlangt eingesandten Manuskripte an. Dabei treffen doch längst Literaturagenturen die Vorauswahl, lektorieren Manuskripte vor, bieten sie den Verlagen an. Der Verlag braucht sich somit gar nicht mehr durch Texte wühlen, die abseits von diesen Strukturen entstehen, er bietet einfach mit anderen Verlagen um jene Texte und Autor_innen, die ihm irgendwie „gut verkäuflich“ vorkommen, gemessen an einem chronisch verspäteten Trendverständnis. Und beschwert sich anschließend darüber, dass die Agenturen den Markt kaputt machen. Kurz: Es ist eigentlich genauso wie überall.
Branchenübliche Codes
Nur dass in einer anderen Branche vielleicht die Hemmung größer wäre, sich öffentlich über Jobbewerbungen lustig zu machen. Denn nichts anderes ist eine Manuskripteinreichung: eine Bewerbung. Und nichts anderes ist das Autor_innendasein: ein Job. Der kapitalistische Blick auf (noch) nicht kommerziell erfolgreiche Autor_innen und generell Künstler_innen ist dagegen ein mitleidiger bis verächtlicher: „Haha, guck mal, der Spinner denkt, er sei was Besseres. Geh mal arbeiten.“
An diese Denke scheint das KiWi-Format anknüpfen zu wollen. Das fehlende Wissen um branchenübliche Codes wird nicht etwa als Hinweis auf unvorhandenes soziales Kapital gewertet, sondern als Gradmesser für schriftstellerisches Talent. Ist doch nur Spaß, werden sich die Urheber_innen jetzt rausreden. Aber ausgerechnet von einem Literaturverlag hätte man sich doch ein bisschen mehr Originalität gewünscht in puncto Humor, it’s giving Stefan Raab, Leute.
Erfreulicherweise geht der Witz aber ohnehin nicht richtig auf, der Verlag kassiert vor allem Unverständnis bei der eigenen Klientel, wie die Kommentare zeigen. Womöglich hilft aber auch das in der Aufmerksamkeitsökonomie, so ein kleiner Shitstorm hat noch keinem Konzern geschadet. Fragt sich bloß, was das mit Nachwuchsautor_innen macht, auf die KiWi genauso angewiesen ist wie die ganze Branche.
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