Tierversuche in Berlin: Alte und neue Mäusebunker

Onkomäuse, Zebrafische und Meerschweinchen: Kaum jemanden interessiert noch, wie viele Tierversuche es in Berlin gibt, kritisiert unser Kolumnist.

Brutal ist nicht die Architektur, sondern waren auch die Tierversuche im Innern: Der Mäusebunker in Steglitz Foto: Paul Zinken/dpa

Gelegentlich fahren Busse durch die Stadt, auf denen Tierschützer für ein Verbot von Tierversuchen werben. Ein andermal wirbt ein Pharma- oder Kosmetikkonzern für ein neues Produkt. Der BVG ist es egal, ob für oder gegen Tierversuche geworben wird, beide zahlen dasselbe.

Früher protestierten die Tierschützer noch leibhaftig am Steglitzer „Mäusebunker“ der Freien Universität, in dem bis 2020 Versuchstiere gehalten wurden. Die Zeit schrieb: „Für Tierversuche kann man keine Sympathie erwarten. Sie finden in einer Parallelsphäre von Labors und Instituten statt, mit der kaum ein Laie je in Berührung kommt. Auch wer sie im Prinzip für nötig hält, will es wahrscheinlich gar nicht so genau wissen. Von den millionenfachen Experimenten profitieren wir lieber stillschweigend, als uns mit einem ethischen Dilemma zu belasten.'“

Inzwischen gibt es eine Kampagne „Rettet den Mäusebunker“, initiiert von Architekten, die dieses „Schlüsselwerk des Brutalismus“ erhalten wollen – nun für „Kreative“ statt für Versuchstiere. Für Letztere gibt es mehrere neue „Mäusebunker“ in Berlin-Buch. Dort werden allein im Max-Delbrück-Centrum durchschnittlich 105.403 Tiere pro Jahr „vernutzt“. Daneben gibt es auch noch den Charité-Campus Buch, wo man die Wirt-Virus-Beziehung bei Vampirfledermäusen erforscht, die mit einem neuartigen Morbillivirus infiziert wurden.

In der Krebsforschung sind Onkomäuse beliebt. Es sind gentechnisch modifizierte Nager, die infolge einer künstlich herbeigeführten Mutation Krebs haben. „Die Onkomaus ist ein Meilenstein,“ schreibt die Philosophin Lara Huber in ihrem Buch „Relevanz“ (2020). Da diese Mäuse in Harvard patentiert wurden, darf man sie bei Strafe nicht nachzüchten, man muss ständig neue kaufen.

Zebrafische und Meerschweinchen

In Berlin wird auch gerne mit Zebrafischen experimentiert. Es wurden bereits 25.000 wissenschaftliche Studien über sie veröffentlicht. An genetisch veränderten – durchsichtigen – Zebrafischen erforscht man „Störungen des Blutkreislaufs, Leberleiden, Nervendegenerationen und Krebs“. Forscher des Max-Planck-Instituts für Neurobiologie untersuchten Zebra­fische mit einem Cortisolmangel, dabei diagnostizierten sie Anzeichen einer Depression. Als sie Medikamente gegen Angstzustände, Valium und Prozac, ins Wasser gaben „normalisierte sich ihr Verhalten“. Schon ein Sichtkontakt mit anderen Zebrafischen besserte ihre Stimmung. In Berlin züchtet ein Forschungsinstitut am Müggelsee Zebrafische, auch die „Gläsernen“, was sie damit anstellen, weiß ich nicht.

Auch Meerschweinchen, die „Prügelknaben der Physiologen“, wie der Entomologe Jean-Henri Fabre sie nannte, werden immer noch massenhaft in Forschungslaboren (diesen Tier-Folterkammern für verrohte Karrieristen) vernutzt. Wenn im 19. Jahrhundert irgendwo auf der Welt eine Seuche ausbrach, packten Robert Koch in Berlin und Louis Pasteur in Paris je 100 Meerschweinchen ein und eilten damit ins Zentrum der Epidemie. Es war ein Wettrennen um den Nobelpreis. Ihre infizierten Meerschweinchen blieben auf der Strecke.

1890 gelang es, mit den armen Tieren ein Serum gegen Diphterie herzustellen. Aber der preußische Staat hatte zunächst kein Interesse, die Diphterie (an der jährlich über 1.000 Kinder allein in Berlin starben) zu bekämpfen. Er finanzierte stattdessen die Forschung an Tetanus, da dies eine große Gefahr für wertvolle Pferde darstellte. Es dauerte lange, bis die Firma Hoechst das Diphterie-Medikament auf den Markt brachte. Die Meerschweinchen waren dabei vom Versuchstier zu einem lebenden Laborgerät geworden, das Serum herstellte.

2012 wurden 3.721 Meerschweinchen für Hautsensibilisierungstests verwendet, heißt es auf „meerschwein-sein.de“. Sie würden zur Aus-, Fort-, und Weiterbildung sowie für die Human- als auch die Tiermedizin benutzt. 2007 sei auch der stark umstrittene Schwimmtest, bei dem die Tiere bis zur Erschöpfung schwimmen müssen, zur Anwendung gekommen. Der Test zur Erprobung von Antidepressiva sei an 349 Meerschweinchen durchgeführt worden.

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geb. 1947, arbeitet für die taz seit 1980, Regionalrecherchen, ostdeutsche Wirtschaft, seit 1988 kulturkritischer Kolumnist auf den Berliner Lokalseiten, ab 2002 Naturkritik.

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