Thüringer Minister über Coronaprotest: „Anschläge sind nicht auszuschließen“
Der Verfassungsschutz überwacht die „Querdenken“-Bewegung. Sie sei eine Gefahr für die Demokratie, sagt Thüringens Innenminister Georg Maier.
taz: Herr Maier, Sie haben sich im Dezember als erster Innenminister für die Beobachtung der „Querdenken“-Bewegung durch den Verfassungsschutz ausgesprochen. Jetzt beobachtet der Inlandsgeheimdienst die Bewegung bundesweit. Wieso war dieser Schritt notwendig?
Georg Maier: In den letzten Monaten mehren sich konkrete Anhaltspunkte und Hinweise, dass Teile der sehr heterogen zusammengesetzten „Querdenker“-Bewegung unser demokratisches System destabilisieren möchten. Insbesondere auch in Thüringen beteiligen sich rechtsextremistische Zusammenschlüsse wie die NPD, Rechtsextremisten und Reichsbürger an den Demonstrationen.
Vielfach werden in den Ankündigungen und Reden Hass und Hetze oder antisemitische Inhalte verbreitet. Sie wollen auf allen Ebenen die Unzufriedenheit mit dem demokratischen System weiterschüren und so mehr Zustimmung für ihre extremistischen Ziele erreichen.
Es hat in den letzten Monaten bundesweit eine deutlich sichtbare Radikalisierung stattgefunden. Daher liegen die gesetzlichen Voraussetzungen vor, um die Gruppierungen im Rahmen unserer „wehrhaften Demokratie“ bundesweit vom Verfassungsschutz als Verdachtsfall in den Fokus zu nehmen.
Welche Gefahr birgt diese Radikalisierung?
Die Gefahren sind vielfältig. Anschläge auf Personen des öffentlichen Lebens oder Institutionen sind dabei ebenso wenig auszuschließen wie andere Straftaten. Durch eine weitere Radikalisierung von Teilen dieser Bewegung steigt die Gewaltaffinität insgesamt. Dies kann auch zum Anwachsen eines aggressiven Klimas und einer weiteren Polarisierung der Gesellschaft und letztlich zu einer Destabilisierung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung führen.
Die Polizei müsse die Teilnehmenden der „Querdenken“-Demos „wenn nötig streng kontrollieren“, sagten Sie im Dezember. Allerdings finden bis heute Massendemonstrationen statt, bei denen Coronamaßnahmen nicht beachtet und zunehmend auch Pressevertreter:innen angegriffen werden. Verliert die Politik die Kontrolle über die Bewegung?
In einer freiheitlichen Demokratie sind Meinungsfreiheit und Versammlungsfreiheit unverzichtbare Grundwerte. Ich habe durchaus Verständnis für kritische Meinungen zu Maßnahmen der Bundes- oder Landesregierungen. Jedoch müssen sich Proteste im Rahmen unserer Rechtsordnung bewegen, das heißt, behördliche Auflagen und Gesetze sind, insbesondere in Pandemiezeiten, einzuhalten.
Die Sicherheitsbehörden müssen sich entsprechend vorbereiten, um auch bei größerer Teilnehmerzahl eingreifen und notfalls Versammlungen auflösen zu können. Die Handlungsfähigkeit und damit auch die Glaubwürdigkeit des Rechtsstaats sind gerade jetzt von großer Bedeutung.
Thüringen hatte auch die AfD als erstes Bundesland beobachten lassen. Inwieweit sieht sich das Bundesland in einer Vorreiterrolle?
54, ist seit 2017 Innenminister Thüringens. Im September 2020 wurde er zum Landesvorsitzenden der Thüringer SPD gewählt.
Wenn es um die Sicherheit geht, geht es nicht um einen „Wettbewerb“ zwischen einzelnen Bundesländern. Dort, wo es sicherheitsgefährdende Bestrebungen gibt, müssen diese im Rahmen der geltenden rechtlichen Bestimmungen von den Sicherheitsbehörden bearbeitet werden.
Ich weise auch darauf hin, dass es durchaus Unterschiede bezüglich der rechtlichen und sonstigen Rahmenbedingungen in den einzelnen Ländern gibt, die es hier zu beachten gilt. Maßstab ist allein die Gefährdung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung und nicht die Beobachtung um der Beobachtung willen.
Richtig ist jedoch, dass in Thüringen bereits früh Gefahren erkannt wurden und wir entsprechend gehandelt haben. Hier wird der Thüringer Verfassungsschutz seinem gesetzlichen Auftrag als „Frühwarnsystem“ voll gerecht.
Was tun Sie, um die „Querdenken“-Bewegung in Thüringen zu bremsen?
Thüringen wird weiterhin alle Formen des politischen Extremismus konsequent bekämpfen. Dort, wo es geboten ist, wird im Rahmen des vorhandenen rechtlichen Instrumentariums gehandelt. Dies gilt auch für Teile der „Querdenken“-Bewegung. Entscheidend ist für mich, dass wir zum Schutz der Demokratie gemeinsam mit der Zivilgesellschaft agieren. So konnten wir beispielsweise durch das Zusammenwirken von Polizei, Demokratiebündnissen und Versammlungsbehörden das Phänomen der Rechtsrockkonzerte deutlich zurückdrängen.
Gleiches gilt auch für die jüngsten Bedrohungen der Demokratie im Zuge der Pandemie. Unsere Demokratie ist unter Druck wie niemals zuvor in der Geschichte der Bundesrepublik. Sie zu schützen ist unser aller Aufgabe.
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