Thronwechsel in den Niederlanden: Willem der Letzte
Am 30. April tritt Königin Beatrix ab, Sohn Willem wird neuer Regent. Nicht alle Niederländer werden in den Jubelchor einstimmen.
„Königin Beatrix. Den Haag“ steht auf dem Kuvert. Es ist etwas überdimensioniert, 100 mal 50 Zentimeter groß und von diesem unverwechselbaren Dunkelblau mit leichtem Violettstich, das alle steuerpflichtigen Niederländer kennen.
Jeder scheint an diesem Morgen über die Kuverts zu reden, in der S-Bahn, im Radio, denn es ist „blauer Freitag“ und damit die letzte Möglichkeit, zum Monatsende die jährliche Steuererklärung einzureichen.
Anjo Clement ist ein aufmerksamer älterer Herr. Um auch die Königin an den blauen Freitag zu erinnern, ist er in aller Frühe nach Den Haag gekommen. Jetzt läuft er mit diesem übergroßen Umschlag, ordnungsgemäß addressiert an die Steuerbehörde, durch den Wald in Richtung Huis ten Bosch, Beatrix’ Wohnsitz.
Oranjes: Seit 1813 stellt das Haus Oranje-Nassau in Erbfolge das niederländische Staatsoberhaupt. Königin Beatrix regiert seit 1980.
Einfluss: Das Staatsoberhaupt unterzeichnet jedes neue Gesetz und hat formell den Vorsitz im Staatsrat, der die Regierung berät. Die Vermittlerrolle bei der Regierungsbildung wurde dem Monarchen 2012 vom Parlament genommen. Premier Rutte regte an, diesen Schritt rückgängig zu machen.
Pro und Contra: Nach einer Langzeituntersuchung sind 75 Prozent der Bevölkerung für die Monachie und 15 Prozent dagegen. Der Meinungsforscher Maurice de Hond geht von jeweils 20 Prozent Befürwortern und Gegnern aus, die Mehrheit sei indifferent.
Lied und Leid: Schlagerproduzent John Ewbank hat ein "Königslied" für die Zeremonie geschrieben. Ob des erbärmlichen Textes ergoss sich eine Welle an Spott über Ewbank, der daraufhin das Lied zurückzog. Nun soll es doch gesungen werden. (tm)
Jogger ziehen vorbei, eine Kitagruppe in blauen T-Shirts wartet mit großen Augen vor dem schmiedeeisernen Tor, und dann steht Clement vor einem jungen Polizisten: „Wir haben hier eine Steuererklärung für die Königin“, sagt er ernsthaft. „Die muss heute jeder abgeben, und sie doch auch, eigentlich?“
40 Millionen Subvention
Es ist dieses „eigentlich“, das ihn an den Palast bringt. Natürlich weiß er, dass das niederländische Königshaus, mit knapp 40 Millionen Euro an Zuwendungen aus öffentlichen Mitteln das teuerste in Westeuropa, von der Steuerpflicht befreit ist. Clement ist Vorsitzender der republikanisch gesinnten Nieuw Republikeins Genootschap (NRG).
Dass Beatrix und ihre Familie wie alle anderen Bürger Steuern zahlen sollen und ihre Bezüge gesenkt werden, fordert die NRG seit ihrer Gründung vor 15 Jahren. Dies sind die Nahziele. Langfristig wollen sie der „Herrschaft des Hauses Oranje-Nassau ein Ende machen“, steht in ihrem Manifest.
An diesem Morgen steht Anjo Clement nicht allein vor dem Tor. Begleitet wird er von einem schlaksigen jungen Mann mit schwarzer Stoppelfrisur. Er trägt ein Jackett und einen lässig gebundenen Schal um den Hals, und in einem Moment, in dem die Wache nicht hinsieht, zieht er mit geübtem Griff einen Aufkleber aus der Tasche. Im nächsten Moment ziert das rot umrandete Logo mit durchgestrichener Krone ein Messingschild neben dem Tor. Der Mann zückt sein Handy, macht ein Foto und mit ein paar Daumenbewegungen hat er es gepostet. Ein Grinsen hängt in seinen Mundwinkeln. Der Tag fängt gut an.
Es ist 2013
Gegen die Monarchie, sagt Gijs Peskens, ist er eigentlich schon, solange er sich erinnern kann. Aber in den letzten Monaten widmet er sich verstärkt einem Netzwerk namens „Het is 2013“ („Es ist 2013“). Die überwiegend jungen Mitglieder wollen die Thronübergabe am 30. April nutzen, um in der Hauptstadt zu protestieren. Weil sie ein Königshaus „nicht mehr zeitgemäß“ finden, fordern sie ein Referendum über dessen Zukunft. IT-Spezialist Peskens, 27, ist einer der Köpfe der Bewegung.
Es ist eine eigentümliche Allianz, die da in diesem Frühjahr zueinanderfindet, und deren Vertreter sich nun im Wald vor dem Schloss treffen: auf der einen Seite die etablierten Republikaner, meist über 50 und gut situiert, auf der anderen die junge, social-media-affine Protestbewegung.
Fast scheint es, als wollten sie in Beatrix’ letzten Monaten auf dem Thron auf ironische Weise unterstreichen, was die Anhänger des Königshauses so oft zu seiner Verteidigung vorbringen: dass die Oranjes das Land vereinen, dass sie Zusammenhalt bieten und Identifikation stiften, gerade in den politisch turbulenten Jahren, die hinter den Niederlanden liegen. Und nun wird ausgerechnet die Thronübergabe zum Amalgam zweier Gruppen, die zuvor kaum Berührungspunkte hatten.
In der Welt von Gijs Peskens gibt es Computertüfteleien, Nächte vor dem Bildschirm, Kaffeeflecken auf dem Taschenkalender und viel Aktivismus. Er ist Mitglied der Piratenpartei und lebte als Occupy-Aktivist monatelang im Amsterdamer Camp. „Schon als Achtjähriger habe ich mich über Ungleichheit geärgert“, erzählt er, als er und Anjo Clement später ihre Aktion in einem Ausflugscafé besprechen. „Das betraf Armut in Afrika ebenso wie die Monarchie.“
Muse Joanna
Clement, der ganz seriös mit dunklem Mantel und Hut daherkommt, war im Vergleich dazu ein Spätberufener. Mit Anfang 20 gründete er an der Universität von Tilburg eine Studentengewerkschaft und war überhaupt viel mit der Frage nach den Machtverhältnissen beschäftigt. „Da landet man automatisch bei den Oranjes.“
30 Jahre lang hat Clement für die Stadtverwaltung von Den Haag gearbeitet. Unter anderem entwarf er eine Imagekampagne, um das Ansehen der Stadt, die das Jugoslawien-Tribunal beherbergt, auf dem Balkan zu verbessern. Auch als Pensionär will Clement von schwierigen Missionen nicht die Finger lassen. Neulich schrieb er einen Brief an alle Abgeordneten: Einem König, der nicht demokratisch gewählt ist, seien sie gar nichts schuldig.
Dass nun der seriöse Clement und der aktivistische Peskens zusammensitzen, hat mit einer Frau zu tun, die Gijs Peskens “unsere Muse“ nennt und die im Januar als „Studentin Joanna“ bekannt wurde. Wenige Tage nachdem die Königin ihren Abschied verkündet hatte, besuchte sie Utrecht. Eine Gruppe Menschen erwartete Beatrix an einer Absperrung, als Joanna zufällig vorbeikam. Spontan besorgte sie sich ein Stück Pappe und bemalte sie mit den Worten: „Es ist 2013! Weg mit der Monarchie!“
Keine Minute später wurde sie von zwei Polizisten aus Sorge um die öffentliche Ordnung abgeführt. Nach einem Talkshow-Auftritt war die Studentin auf dem besten Weg zum Medienstar, doch dann trat die 23-Jährige auf die Bremse. Heute hält sie sich am Rand der Protestbewegung, die sich seither nach ihrem Karton „Het is 2013“ nennt.
Für die traditionelle republikanische Bewegung wurde der Fall Joanna zum Weckruf. Endlich schien die Frage nach der Monarchie eine Rolle zu spielen, und der Zustrom der meist studentischen Aktivisten wirkte wie eine belebende Infusion. An einem Frühjahrsabend treffen sich alle Gruppierungen in einem kleinen Kellerlokal im Zentrum von Utrecht: die etablierten Republikaner, Vertreter der „Kritischen Studenten Utrecht“, einige ältere Anarchisten und der niederländische Zweig der Menschenrechtsgruppe Hijos. Vor der Versammlung teilen sie Flugblätter aus: Sie fordern, Jorge Zorreguieta, den Vater der neuen Königin Máxima, vor Gericht zu stellen, der zur Zeit der argentinischen Junta Staatssekretär für Landwirtschaftschaft war.
14 Abgeordnete dagegen
Dann betritt Gijs Peskens das Podium. „In einer Demokratie müssen alle Ämter allen zugänglich sein“, beginnt er. Und dann ist da wieder dieses linkische Grinsen. „Wenn ich will, muss ich auch Staatsoberhaupt werden können.“ Lachen im Publikum. Dann erläutert er die nächsten Schritte: Während der offiziellen Zeremonie bei der Thronübergabe soll in kleinen Gruppen protestiert werden, da in der näheren Umgebung schon vier Personen als unerlaubte Demonstration gelten. Ein anarchistischer Blogger stimmt ihm zu.
„Wir müssen uns trauen, die Oranjes auszulachen und öffentlich zu zeigen, wie lächerlich sie sind. Ich hoffe auf lustige Szenen am 30. April.“ Und dann fügt er hinzu: „Auf dass die antimonarchische Opposition zum letzten Mal in einen Bierkeller passt.“
Ein paar Wochen später sitzen Gijs Peskens und Anjo Clement auf dem Rückweg vom Palast im Auto und erörtern den Stand der Dinge. „Hast du gehört? Der Chef der Sozialdemokraten will, dass die Königin Steuern zahlt – mittelfristig“, sagt Peskens. Auch Clement hat gute Nachrichten. Vier weitere Abgeordnete wollen Willem-Alexander den Eid verweigern. „Damit sind es insgesamt 14.“
Ob das die Folge seines Briefes ist, vermag er nicht zu sagen. Immerhin, so der alte Republikaner, sind das alles Zeichen dafür, dass sich die Dinge ändern. „Ich denke, dass Willem wirklich der letzte König sein wird.“ Sein junger Mitstreiter stimmt zu. Dann steigt Gijs Peskens aus und fährt mit dem Zug weiter. Doch zuvor klebt er vor dem Bahnhof noch ein paar Sticker mit durchgestrichener Krone an.
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