Thomas Gainsborough-Ausstellung: Armut romantisch verklärt
Hamburgs große Thomas Gainsborough-Schau zeigt dessen technisch versierte Landschaftsbilder. Gemalt sind die durchweg aus der Perspektive der Oberschicht.
Von diesem Übergang von der gegenständlichen zur fast abstrakten Malerei lebt die aktuelle Gainsborough-Schau in Hamburgs Kunsthalle, die erste große monographische in Deutschland. Allerdings präsentiert sie den englischen Maler anders als gewohnt: nicht als honorigen Porträtmaler, der im England des 18. Jahrhunderts mit Joshua Reynolds konkurrierte, sondern als Maler von Landschaften.
Die soll der in Südengland geborene, später nach Bath und London gezogene Gainsborough stets geliebt und in vielerlei Varianten ausprobiert haben. Das war Forschung und Hobby für ihn; folgerichtig, dass er Landschaften – anders als die Porträts der Hautevolee – fast nie als Auftragswerke schuf. Zudem waren im protestantisch-puritanischen England bis dato meist Porträts gefragt, sodass die Landschaftsmalerei auf niedrigem Niveau stagnierte.
So kam es, dass Gainsborough für seine privaten Studien die hoch entwickelte niederländische und französische Landschaftsmalerei eines Jean-Honoré Fragonard, Jacob Isaacksz van Ruisdael und Peter Paul Rubens nutzte, rund 100 Jahre früher entstanden und von weit höherem Niveau als die englische. Fast wörtlich kopierte Gainsborough in den Anfängen die ausländischen Kollegen, wie die Hamburger Schau anhand einiger Beispiele zeigt. Doch Gainsborough emanzipierte sich zusehends, spielte immer versierter mit dem Licht; auf einigen Bildern hat er quasi jeden Grashalm einzeln beleuchtet, als sei die Natur selbst schon Licht.
Gainsborough wollte Natur nicht bloß beschreiben, die äußere Form nachzeichnen und kenntlich machen. Für ihn war Natur Spiegel subjektiver Stimmungen, ganz gemäß dem „Empfindsamkeits“-Credo jener Zeit, das schon auf die Romantik vorauswies. Um alle Nuancen genau auszuleuchten, hat Gainsborough sogar einen Guckkasten entworfen, in den er auf Glas gemalte Bilder schob, verschieden hell beleuchtete und mit verschiedenfarbigem Hintergrund zeigte.
Thomas Gainsborough. Die moderne Landschaft. Bis 27.5., Hamburger Kunsthalle
Auch die – winzig, aber kenntlich – in die Landschaft gesetzten Menschen verkörpern diese neue, subjektive Einfühlung in die Natur. Da sitzt ein Bauer im Wald, staunt über die Bäume, die er jeden Tag sieht, und man fragt sich: Wie kann das sein? Hat der nichts zu tun?
Antwort: Diese Figur ist bloßer Platzhalter und verkörpert den verklärenden Blick des Großstädters auf die Natur. Denn dieses Bild hat – wie die niederländischen und französischen Kollegen – ein Städter gemalt, der Natur als Vehikel seiner eigenen Sehnsüchte nutzte – und der einer bestimmten Gesellschaftsschicht.
Besonders das ländliche Dorf verklärte man zum fernen, an die vorgeblich gute alte Zeit erinnernden Idyll. Ein eigentlich absurdes Bildmotiv zu einer Zeit, in der Englands Parlament den Dörflern die Allmende – das gemeinsam bewirtschaftete Land – nahm, es einzäunte und den Gutsbesitzern zuschlug. Die Dörfler, ihrer Existenzgrundlage beraubt, mussten fortan für jene Gutsherrn arbeiten oder in die Städte fliehen, wo sie zum Industrieproletariat wurden. Ganz zu schweigen davon, dass der wirtschaftliche und kulturelle Aufstieg Großbritanniens im 18. Jahrhundert auf seiner Schlüsselrolle als Kolonialmacht basierte, die exzessiven Sklavenhandel betrieb.
Wer sich das vergegenwärtigt, liest das berühmte Bild „Mr. und Mrs. Andrews“ – eines der wenigen Porträts der Schau – ganz anders. Stolz verweilt das Gutsbesitzerpaar inmitten des eigenen Grundstücks, den Blick aus dem Bild heraus auf das eigene Haus gerichtet. Im Hintergrund umzäunte – und damit als Resultat der Enteignung kenntliche – Felder; das Dorf mit seinen Arbeitern ist nicht in Sicht.
Counterpart sind Bilder von Hütten im Wald mit Frauen und Kindern, im Abendlicht zum Idyll verklärt, als mache die Familie die Armut wett. Und wenn mal ein ganz realer Erntewagen als Metapher der Landflucht auftaucht, wird dieser Subtext wieder zurückgenommen, wenn vornehme Frauen und rustikale Bauern in trauter Gemeinschaft auf dem Wagen sitzen. Konsequent hat Gainsborough jedes sozialkritische Timbre ausgeblendet; vielleicht wollte er es sich nicht mit seinen Auftraggebern verscherzen.
All dies mindert nicht die Professionalität und Originalität seiner malerischen Experimente: Nicht nur, dass er manchmal Farben mit Glaspartikeln versetzte, damit sie stärker leuchteten. Spannend sind auch seine Versuche, Zeichnungen mit Butter oder entrahmter Milch zu überziehen, damit sie wie Ölgemälde glänzten.
Temperamentvoll hingeworfen
Diese auf braunes Papier gesetzten Küsten- oder Baumlandschaften sind zeichnerisch exzellent und überschreiten gekonnt die Grenze zwischen gegenständlicher Darstellung und fast kalligraphischer Abstraktion. Da wirken Berg, Baum und Schaf nicht mehr wie getrennte Elemente, sondern verschmelzen zu einer „Gesamt-Wesenheit“ namens Natur. Das Ganze oft temperamentvoll hingeworfen wie eine schnell erzählte Geschichte.
Wobei Gainsborough persönlich so lebhaft wie streitbar gewesen sein soll: Nicht nur, dass er sich mit der Royal Academy zerstritt, weil ihm die Hängungshöhe seiner Bilder nicht behagte. Ein Gemälde soll er zerschnitten haben, als der Auftraggeber daran herummäkelte. Ein Sammler ließ es wieder zusammensetzen. Insgesamt eine feine, mit Muße und Scharfblick zu genießende Schau, deren Besuch zu empfehlen ist.
Offen bleibt indes die Frage nach der gesellschaftspolitischen Relevanz der Schau. Denn letztlich transportieren diese Bilder den Blick einer Oberschicht, die von der Enteignung ihrer Landsleute sowie vom Kolonialismus profitierte. Warum man dies in einer Situation einer breiter werdenden sozialen Schere und einer lebhaften öffentlichen Kolonialismusdebatte zeigt, ohne dies kritisch anzumerken, bleibt unerklärt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Demokratieförderung nach Ende der Ampel
Die Lage ist dramatisch