: Think global, act local
Eine Konferenz im Wissenschaftszentrum Berlin fragte nach politischer Partizipation und globalen Protestaktionen
Manche der Teilnehmer des Arbeitskreises „Stadt und politische Beteiligung nach 2000“ werden wohl gleich in Berlin geblieben sein. Denn nach der Workshoptagung „Politische Partizipation und Protestmobilisierung im Zeitalter der Globalisierung“ im Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB), die am Wochenende vom Arbeitskreis Soziale Bewegung der Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaft, der Heinrich Böll Stiftung, der Otto Brenner Stiftung (Wissenschaftsstiftung der IG Metall) und dem WZB ausgerichtet wurde, beginnt heute in der Hauptstadt die Weltkonferenz zur Zukunft der Metropolen „Urban 21“. Auch dort wird es um Fragen der lokalen demokratischen Verantwortung, der Stärkung des bürgerschaftlichen Engagements, der Bildung von Partnerschaften zwischen dem öffentlichen und dem privaten Sektor beziehungsweise der Verwaltung und den verschiedenen Gruppen der Zivilgesellschaft gehen sowie um Fragen der Kooperation zwischen verschiedenen Regierungsebenen. „Multi-level-governance“ heißt dafür der Fachbegriff, der auch einer der beherrschenden Begriffe der WZB-Tagung war.
Multi-level-governance benennt die Verlagerung politischer Entscheidungskompetenzen in den Bereich supra- und transnationaler Institutionen und erweist sich damit als Reaktion auf die parallel zur wirtschaftlichen Globalisierung fortschreitende politische Globalisierung. Neben den traditionellen Akteuren lokal-, regional- und nationalstaatlicher Herkunft spielen solche globalen Akteure eine immer entscheidendere Rolle, wobei eine ähnliche Entwicklung im Bereich der auf lokaler wie internationaler Ebene operierenden gemeinnützigen, nichtstaatlichen oder auch privaten Organisationen zu beobachten ist. Die zunehmende Kooperation der Regierungspolitik mit den NGOs hängt nicht zuletzt mit den neuen Politikthemen zusammen, die, wie etwa die Klimafrage, nur im weltweiten Zusammenhang gesehen und behandelt werden können. Politische Globalisierung meint aber auch ganz aktuell eine neue Form der Protestmobilisierung, die sich – obwohl unter Umständen durchaus transnational organisiert – gegen andere supranationale Akteure richtet. Die Programmstichworte „Seattle“ und „Mobilisierung gegen die Weltbank“ waren es denn auch, die dazu reizten, die Tagung im WZB zu besuchen.
Doch das Geheimnis dieses vehementen antikapitalistischen Protests, der alle Welt vollkommen überraschte und seither die Frage nach dem nächsten Seattle – die International-Monetary-Fund (IMF)-Tagung in Prag am 26. September? – auf die politische und aktivistische Tagesordnung setzte, wurde auf der WZB-Tagung nicht weiter berührt. Seattle gilt eben als temporäres Ereignis, das sich wohl einer einmaligen Konstellation verdankt, in der sich die Aktionen von hunderten von Klein- und Kleinstgruppen synergetisch verbinden konnten, für die institutionen- und demokratietheoretische Sichtweise der Politologen wenig her. Im Workshop „NGO-Engagement und internationale Umweltpolitik“ stellte denn auch Dieter Rucht von der Universität Kent eine Reihe von „Mindestanforderungen“ ans Ende seines Papiers „Antikapitalistischer Protest als Medienereignis: Zur Resonanz der Proteste am 1. Mai in London“, die eingehalten werden müssten, damit derartige Proteste medial vermittelbar seien. Die Forderungen nach einer klaren Fokussierung der Botschaft, nach einem überlegteren Zusammengehen der verschiedenen Aktionsbündnisse und einer deutlichen Absage an Gewalt bedingen aber zwangsläufig eine Hierarchisierung und Führerschaft, wie sie von Protestbewegungen à la Seattle gerade nicht zu erwarten sind. Seattle wurde über das Internet organisiert und die Frage ist eher, ob es sich nicht selbst wie das Internet organisierte, über die schnellen Hotlinks der Straße, die die Minigruppen ad hoc vernetzen konnten und nicht weiter stabil sein mussten.
Dieter Rucht war keineswegs der einzige, dessen Vortrag mit normativen Forderungen endete. Auch Hartmut Behr von der Universität Pittsburgh wollte im Workshop „Migration und politische Mobilisierung in Deutschland und Europa“ eine „internationale Regimebildung“ für die transnationale Zuwanderungspolitik auf die Agenda setzen; vorstellbar analog zu den Organisationsstrukturen in Folge der internationalen Klimakonferenz in Rio de Janeiro 1992. Agendasetting ist eben eine Lieblingsbeschäftigung der Politologen.
Derzeit findet sich aber in Berlin vor allem Europa auf der Tagesordnung. Bestehende deutsche Gesetze müssen mit EU-Recht harmonisiert werden, und ein neu zu schaffendes Einwanderungsrecht muss von vornherein in Hinblick auf eine gesamteuropäische Regelung konzipiert werden. Diese Delegitimierung nationalstaatlicher Politik sollte freilich nicht zu der irrigen Annahme verleiten, der Nationalstaat sei nicht länger der zentrale Ort politischer Mobilisierung, so Hans-Peter Kriesi von der Universität Genf in seinem einleitenden Plenarvortrag. Die Öffnung der Grenzen, jener Prozess also, der neue Gewinner und Verlierer schafft, wird zuallererst im nationalstaatlichen Rahmen verhandelt werden und den politischen Diskurs bestimmen. Dabei lässt sich beobachten, dass es eine sozioökonomische und eine kulturelle Dimension dieses Gewinner-Verlierer-Konflikts gibt, wobei sich die traditionelle Linke gegen die sozioökonomische Denationalisierung wendet, während die konservative Rechte ihre Verliererklientel gegen die soziokulturelle Denationalisierung mobilisiert. In das aktuelle politische Tagesgeschehen der CDU/CSU übersetzt: Die Verlierer werden mit dem peinlichen Streit um Rita Süssmuth abgespeist, für die Gewinner im In- und Ausland aber gibt es die Blue Card. BRIGITTE WERNEBURG
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