Thermometerfabrik in Indien: Tödliche Quecksilbervergiftungen
Seit Jahren kämpfen Aktivisten und Arbeiter einer ehemaligen Fabrik gegen Unilever. Der Konzern soll Böden und Menschen vergiftet haben.
In der südindischen Gebirgsstadt Kodaikanal, in einem malerischen Wald auf 2.200 Metern gelegen, spielt sich seit 15 Jahren ein Konflikt um die einstige Unilever-Fabrik ab. Damals wurde die Fabrik von der Umweltbehörde des Bundesstaats Tamil Nadu geschlossen, weil mehrere Tonnen quecksilberverseuchten Mülls auf einem nahe gelegenen Schrottplatz entdeckt wurden. Die Firma musste 300 Tonnen Mülls und Bodens zur Entsorgung in die USA exportieren.
Der Konzern, der in Deutschland Marken wie Rama, Langnese und Knorr vertreibt, behauptet, die Umwelt sei nur teilweise und die Arbeiter gar nicht vergiftet worden. Da es in Indien keine etablierten Sanierungsstandards für Quecksilber gibt, streiten sich Umweltschützer und Konzern wegen der Dekontaminierung des Bodens. Vor dem Hohen Gericht von Madras klagen seit knapp zehn Jahren die ehemaligen Arbeiter auf Entschädigung.
Doch Behörden und Gericht arbeiten langsam und die Geschichte verschwindet immer wieder mal aus dem Blickfeld der Öffentlichkeit. In diesem Sommer wurde der Fall weltweit bekannt, als die Rapperin Sofia Ashraf ihm ein eigenes Video widmete. Sogar Firmenchef Paul Polman sah sich zu einer Reaktion genötigt: Er twitterte, dass Unilever seit Jahren an einer Lösung arbeite, und kritisierte „falsche Emotionen“ – vermutlich aufseiten der Kritiker.
Empfohlener externer Inhalt
Die ehemalige Hindustan Unilever Thermometerfabrik liegt auf einem Gebirgskamm im Süden von Kodaikanal, zwischen Wohnhäusern und einer Kirche. Die Haupthalle steht seit über einem Jahrzehnt leer, aber am Tor hängt noch das Eingangsschild, Sicherheitsleute verwehren den Zugang. Am Hang hinter der Fabrik beginnt der geschützte Wald Pambar Shola.
Anfang der 80er Jahre, als Gesetze für den Umgang mit Quecksilber in den USA verschärft wurden, verschob die Kosmetikafirma Chesebrough-Pond’s ihre Thermometerfabrik nach Indien. Die Maschinen wurden in Watertown ab- und in Kodaikanal wieder aufgebaut. In der kleinen Stadt war dies die erste Industrieansiedlung und viele jungen Männer bewarben sich.
ist ein Schwermetall, das bei Zimmertemperatur flüssig ist und Dämpfe abgibt.
Giftigkeit: Bei der Aufnahme über den Verdauungstrakt ist es eher ungefährlich, eingeatmete Dämpfe wirken stark toxisch.
Vorkommen: Meist findet man es als Mineral in Form von Zinnober in Gebieten mit ehemaliger vulkanischer Aktivität.
Verwendung: Thermometer, Energiesparbirnen, Amalgamfüllungen, Batterien, Medikamente.
Entsorgung: In Deutschland wird es in Untertagedeponien aufbewahrt und recycelt.
„Man hat mehr verdient als mit anderer Arbeit“, sagt Raja Mohammad, Generalsekretär der Arbeitergewerkschaft. „Wir haben gehofft, in der internationalen Firma Karriere machen zu können.“ 1986 kaufte Unilever die Firma auf, bis 2001 produzierte sie rund 165 Millionen Quecksilberthermometer. Nun klagt die Gewerkschaft im Namen von mehr als 500 Arbeitern auf Entschädigung.
Umweltschützer und ehemalige Arbeiter werfen der Fabrikleitung einen sehr laxen Umgang mit einem der giftigsten Stoffe der Welt vor. So seien die Beschäftigten gar nicht über die Wirkungen von Quecksilber aufgeklärt worden und unzureichend vor Vergiftung geschützt worden. Ehemalige Arbeiter leiden an zitternden Händen, Nierenbeschwerden, Gedächtnis- und Gewichtsverlust, Zahnausfall und Fehlgeburten – Symptome, die auf Quecksilbervergiftung hinweisen. 45 sind inzwischen gestorben, viele von ihnen erreichten nicht einmal das 30. Lebensjahr.
Illegal auf Schrottplätzen entsorgt
Die Firma soll außerdem tonnenweise mit Quecksilber durchsetzten Glasmüll illegal auf Schrottplätzen entsorgt haben. Nach eigenen Berechnungen von Unilever sind mehr als zwei Tonnen Quecksilber in die Umwelt entwichen, und im Boden des Fabrikgeländes sind noch immer 360 Kilo des Stoffes enthalten.
Aktuelle Studien von Flechten im Wald unterhalb der Fabrik weisen noch hohe Quecksilberwerte auf, laut Umweltschützern ein Indiz, dass die Umgebung noch verseucht ist. Für die Sanierung des Gebietes will Unilever einen Richtwert von 20 Milligramm Quecksilber pro Kilo Erde anwenden, der in Deutschland für Wohngebiete gilt – Umweltschützer argumentieren aber, dass die sensible Natur in der Umgebung einen viel strengeren Standard erfordere.
Quecksilber ist das einzige Metall, das auf der Erde in flüssiger Form zu finden ist. Bei Raumtemperatur bildet es giftige Dämpfe und kann bei Menschen kurzfristig Schwindel und Übelkeit auslösen. Ehemalige Arbeiter erzählen, dass verschüttetes Quecksilber oft bis zum Ende des Arbeitstages liegen blieb. Wegen ihres Unwissens hantierten sie mit dem Stoff auch frei.
Mit Quecksilber beworfen
„In der Fabrik war es laut, um die Aufmerksamkeit von jemandem zu bekommen, bewarfen wir ihn oft mit Quecksilber”, erzählt einer der Arbeiter. Ein anderer erzählt, wie sich das Schwermetall auf Augenbrauen und Schnurrbart ablegten und es so auch in ihre Wohnungen gelangte. Viele erzählen, dass sie mit der Zeit Schwächeanfälle bekamen und Blut brachen.
Laut Unilever wurden die Arbeiter regelmäßig auf Quecksilber untersucht und versetzt, wenn sie zu hohe Werte aufwiesen. Der Konzern bestreitet, dass die Symptome der Arbeiter oder die Todesfälle etwas mit der Fabrik zu tun haben, und schreibt in einer Erklärung: „Wir würden niemals zulassen, dass die Gesundheit unserer Angestellten beeinträchtigt würde, ohne dies anzugehen.“ Der Konzern verweist auf mehrere medizinische Gutachten, die aber wegen des laufenden Gerichtsverfahrens nicht einzusehen seien. Bis auf eine allgemeine Erklärung hat sich Unilever geweigert, Fragen der taz zu beantworten.
Zwei Gutachten, die vor dem Hohen Gericht von Madras eingereicht wurden, liegen der taz vor und verdeutlichen die zwei Argumentationen. Für beide untersuchten Ärzte die ehemaligen Arbeiter vor Ort. Das eine Gutachten, das immer wieder von Unilever bemüht wird, weist darauf hin, dass die Symptome der Arbeiter zwar von Quecksilbervergiftung stammen könnten, aber nicht zwangsläufig. Hinzu zieht es interne medizinische Dokumente von Unilever, denen zufolge es keine außerordentliche Belastung bei den Arbeitern gab. Fazit: Die Symptome müssen von einer anderen Quelle stammen.
Stapelweise Studien und Gegenstudien
Das andere, vom Arbeitsministerium der indischen Bundesregierung erstellt, basiert auf den Aussagen der ehemaligen Beschäftigten über ihre Arbeitsbedingungen – Aussagen, die seit 14 Jahren in ähnlicher Form geäußert werden – und argumentiert, dass sie offensichtlich von Quecksilber belastet sein müssten. Fazit: Ein Großteil der ehemaligen Arbeiter sind vergiftet und ihnen steht Entschädigung zu.
Wenige Minuten vom Strand im Süden Chennais entfernt hat Nityanand Jayaraman ein kleines Zweiraumbüro. Darin stapeln sich die Studien und Gegenstudien, die seit 2001 rund um die Thermometerfabrik entstanden sind. Jayaraman war der Journalist, der die illegale Verkippung des Quecksilberschrotts 2001 aufdeckte.
Er organisierte damals den Protest und ist seitdem in das Geschehen involviert, die Rapperin Sofia Ahraf ist eine Freundin von ihm. Noch bevor die Fabrik geschlossen wurde, sei Unilever für ihn unglaubwürdig geworden: In einem Brief leugnete der Konzern (.pdf) damals, dass die Verkippung stattgefunden hatte – der einzige Punkt, den Unilever heute nicht bestreitet.
Quecksilber im Boden lassen
Die gesamte Geschichte sei voll von solchen Widersprüchen. „Kurz nach der Schließung haben sie noch einen höheren Standard für die Sanierung angeboten, den wir auch abgelehnt haben“, sagt Jayaraman. Doch dann beauftragte Unilever eine Studie, die argumentiert, dass es besser für die Natur sei, das Quecksilber im Boden zu belassen – die Entnahme des verseuchten Bodens würde das sensible Ökosystem stören.
Seitdem befürwortet Unilever den schwächeren Standard für deutsche Wohngebiete. Diese Studie, die ebenfalls der taz vorliegt, besagt außerdem, dass die Mehrkosten für einen höheren Standard für den Milliardenkonzern „unzumutbar“ seien.
Ende September fand erneut eine Sitzung der Umweltbehörde von Tamil Nadu statt, zu der Unilever und Umweltaktivisten eingeladen wurden. Unilever wiederholte das Bekenntnis zu dem schwachen Standard, die Umweltschützer lehnten ihn erneut ab. Berichtet wurde wieder nur in der Lokalpresse, das Interesse ist wieder abgeflaut.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Pistorius lässt Scholz den Vortritt
Der beschädigte Kandidat
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen