Themenläden und andere Clubs: Rectal Superstar
■ Kunst, die bewegt: Biggy van Blond legt randgruppenrelevante Schallplatten auf
Seit kurzem gehe ich einmal die Woche in den Club Goldmine. Jeden Donnerstag findet dort einer dieser randgruppenrelevanten Abende statt, und die Veranstalter haben sich dafür den viel versprechenden Namen „Chantals House Of Shame“ ausgedacht.
Neulich sah der Freund eines Freundes dort den Auftritt der Drag Queen Krylon Superstar. Sie stand auf der Bühne, stammelte „Sorry, sorry!“, nahm sich dann zwei erntefrische Maiskolben und führte sie ein – anal, gleichzeitig, parallel gewissermaßen und einfach so. Anschließend flog Popcorn aus ihrem Mund.
Der Überlieferung zufolge reagierte das Publikum entsetzt, betroffen, manche senkten betreten den Blick. Der Freund des Freundes war immer noch ganz atemlos. Er sagte: „Also wirklich!“ Und ich fragte: „Popcorn?“ Und er sagte: „Genau!“ Und ich dachte: „Kunst, die bewegt!“ Tage später machte ich mich auf den Weg. Ins Haus der Schande. Am Eingang begrüßte mich eine freundliche Drag Queen mit schiefer Langhaarperücke und knöpfte mir etwas Kleingeld ab. Der Club Goldmine sieht aus wie die Sechzigerjahre in einem Austin-Powers-Film, die Möbel sind vor allem bunt. Obwohl es noch früh war, war der Laden bereits gut besucht. Ich setzte mich an die Theke und bestellte mir eine Cola.
Der Barmann nahm sich ein Glas, schaufelte es vor meinen Augen randvoll mit Eis und füllte es auf mit dem gewünschten Getränk. Nur ganz vorsichtig nahm ich einen Schluck, doch schon war das Glas leer. Also stellte ich es zurück auf den Tresen.
Das leere Glas voller Eiswürfel sah irgendwie komisch aus, so wie ein Mahnmal gegen übermäßigen Durst. Ich fühlte mich seltsam schuldig und bewegte ich mich dann eine Etage tiefer. Unten sah man jemanden tanzen, andere warteten. Ich wartete auch. Auf Krylon, auf Popcorn, darauf, dass etwas passiert. Doch an diesem Abend sollte nur Biggy van Blond ihre Platten auflegen.
Ich kannte Biggy van Blond als Briefkastentante eines Monatsmagazins. Ich kannte Biggy van Blond auch aus dem Fernsehen. Ich sah sie in einer Sendung auf TV.Berlin Zuschauerfragen beantworten und dabei neben Molly Luft sitzen, der dicksten Hure Berlins. Bei der Eröffnung von Nike-Town sah ich Biggy van Blond sogar die Treppe herunterfallen. Ich wusste nicht, dass sie auch als DJane arbeitet. Mitunter griff sie zum Mikrofon, sie hatte die Angewohnheit, ihre Platten „lustig“ anzusagen.
Diese Platten hatte ich schon tausend Mal gehört. Ich glaube, dass es irgendwo in der Stadt einen Verleih für DJ-Bedarf gibt, wo man sich fertig gepackte Plattenkisten für schwule Tanzveranstaltungen besorgen kann. Das Gay-Fun-Party-Komplettpaket, gegen Aufschlag auch mit Schlager-Zusatz. Darin findet man das Gesamtwerk von Donna Summer und Gloria Gaynor, etwas von Cher und Divine sowie einschlägige DiscoHouse-Tracks, die immer „Finally“ oder „Respect Me“ heißen. Immer. Bestürzt hat mir eine Freundin berichtet, dass bei Lesbenabenden ausschließlich Aretha Franklin gespielt wird. Ich glaubte ihr sofort.
Vielleicht hab ich es mir nur eingebildet, aber in diesem Moment glaubte ich die erste Strophe von „I Will Survive“ zu hören. Ich verließ das Haus der Schande. Harald Peters
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