Theater: "Es geht um euch selber, Kids!"
In "Ferienlager - die dritte Generation" werfen türkischstämmige Kreuzberger Jugendliche ihren eigenen Blick auf ihr Leben. Der ist eigen und manchmal sehr bitter.
Dass dieser Engel irgendwie kein Heiliger ist, ein Schlitzohr sogar, ahnt man gleich. Zu sehr ist er auf Du und Du mit seinem Kumpel, dem Teufel: Zwar zoffen die beiden sich zwischendurch auch mal - wobei der Engel ("Was willst du, du Opfer!?") ziemlich unengelhaft daherkommt - doch meist ist der Sturm schnell vorbei, und die beiden ziehen Arm in Arm ab: "Lass ma Tee trinken."
Tatsächlich kennen sich Engel und Teufel, seit sie sechs sind: Ozan Aksu (18) und Eray Kaya (17) sind zusammen in Kreuzberg aufgewachsen. Ihre Sprache, ihr Stil, ihr Witz zeichnet sie unverkennbar als junge Berliner Turkodeutsche aus. Der eine von beiden geht aufs Gymnasium, der andere besucht ein Schulschwänzerprojekt. Als Engel und Teufel stehen sie gemeinsam auf der Bühne: In "Ferienlager - die dritte Generation", das im Ballhaus Naunynstraße nun zum zweiten Mal im Programm steht. Die ersten Vorstellungen nach der Premiere Ende März waren zu schnell ausverkauft.
Die dritte Generation, das sind die Kinder der Kinder der Einwanderer, immer noch Migranten genannt, ohne dass sie selbst je woanders als in Berlin gelebt hätten. Die Stadt ist ihre Heimat. Dass das nicht jeder so sieht und dass man sie das spüren lässt, ist auch Thema ihres Theaterstücks. "Ferienlager" ist die Fortsetzung der Inszenierung "Klassentreffen - die zweite Generation", in der Regisseur Lukas Langhoff und die Dramaturgin Hülya Duyar die mittlere Generation der Einwanderer aus der Türkei auf die Bühne brachten: die Vierzigjährigen, häufig als kleine Kinder von den Eltern aus der Türkei hergebracht, ungefragt umgesiedelt und dennoch voller Bereitschaft, die Herausforderung anzunehmen.
Der grüne Bildungspolitiker Özcan Mutlu etwa gehörte zu den Darstellern des "Klassentreffens". Wie jenes Stück baut auch das "Ferienlager" auf den Erfahrungen, Wünschen und Hoffnungen der MitspielerInnen selbst auf.
"Alles im Stück ist von uns", sagt Alkim, einer der zehn Jugendlichen, die im "Ferienlager" auf der Bühne stehen. In langen Gesprächen mit ihnen haben Regisseur Langhoff und Dramaturgin Duyar die Themen und Szenen des Stücks entwickelt.
Etwa die Bollywood-Tanzszene, Beitrag der Hobbytänzerin und -sängerin Duygu Ince: Kitschig werden die romantischen Vorstellungen der Mädchen von Liebe in Szene gesetzt - bis die Jungs, eben noch anständige Bollywood-Helden, mal zum Rauchen rausmüssen und dort vor der Tür lautstark darüber fachsimpeln, wer nun bald welches Mädchen rumkriegt.
Beziehung - das sei, sagt Duygu, "so ein Punkt, wo ich merke: Wir sind anders als gleichaltrige Deutsche." Für sie und ihre Freundinnen, die nicht alle türkischer, aber alle nichtdeutscher Herkunft sind, gebe es einfach andere Grenzen, "wie weit man mit Jungen geht". Deutsche kennt die 19-Jährige von der Schule: Duygu besucht die Oberstufe eines Neuköllner Gymnasiums. Dort gebe es Klassen für Hochbegabte, Klassen für Deutsche und Klassen für Nichtdeutsche, erzählt sie: "Die Deutschen kriegen Musikworkshops und wir Antiagressionstraining." Gefördert würden sie nicht.
Auch solche Erfahrungen der besonderen Behandlung für SchülerInnen nichtdeutscher Herkunft haben die Jugendlichen in das Theaterstück eingebracht. Aus dem Mund von Ozan, dem Engel, der an dieser Stelle des Stücks in der Rolle eines Sozialpädagogen auftritt, klingt das dann so: "Hallo Kiddies! Im Interesse einer Erhöhung der bestehenden Integrationsangebote für das soziale Problemfeld Migration und Flüchtlingskinder in Deutschland möchten wir an eurer Schule sozialpädagogische Bedarfserhebung zur differenzierten Problemfeld- und Sachstandsanalyse vornehmen! Ja! Es geht um euch selber, Kids!" Wer mal hören will, was die "Kids" selber dazu sagen, wird im "Ferienlager" schlauer.
"Ferienlager - die dritte Generation", Ballhaus Naunynstraße, Kreuzberg, Sa., 16. 5. bis Di., 19. 5., 21 Uhr, Karten 7/10 Euro
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